Unsere Leseempfehlungen

Narges Mohammadi: „Frauen! Leben! Freiheit! – Frauen in iranischen Gefängnissen erzählen“

FRIEDENSNOBELPREIS 2023 für Narges Mohammadi!

Rowohlt Verlag, 2023, 308 Seiten, 14,00€

Angst, unbehandelte Verletzungen, Schmerz, Schlafentzug, Einsamkeit, Unwissenheit wie es Familie und Freunden geht, Ekel, Gedächtnisverlust und Verwirrtheit, das Gefühlt verrückt zu werden. Es sind die Emotionen und Erlebnisse die dreizehn, weiblichen politischen Gefangene in Isolationshaft erleben und in eindrücklicher Weise in Narges Mohammadis Buch schildern. Im englischen Originaltitel unter „White Torture“ erschienen. Diese Form der Folter zielt darauf ab die Psyche der Inhaftierten teilweise oder dauerhaft zu schädigen.

Als iranische Frauenrechtsaktivistin, Journalistin und Vizepräsidentin des Defenders of Human Rights Centers, war Mohammadi bereits zwölf Mal inhaftiert und schreibt das Vorwort des Buches in den letzten Stunden ihres Hafturlaubes 2021. Im selben Jahr war Narges Mohammadi für den Friedensnobelpreis nominiert. Im Unrechtsregime des Irans wird sie für das Buch für 8 Jahre Gefängnis und 74 Stockhiebe verurteilt. Der Vorwurf: Sie hätte das Ansehen der islamischen Republik Irans in der Welt beschmutzt.

Weiße Folter wird systematisch in iranischen Gefängnissen angewandt. Die Isolationshaft richtet körperliche wie seelische Schäden an. Gezielt werden die Gefangenen entmenschlicht, gedemütigt, entwürdigt. Die Schilderungen wie der Gestank der völlig verdreckten Toiletten den Gefangenen den Schlaf und jeglichen Appetit raubt, lassen nur erahnen, wie es ist in einer winzigen, kaum mit Frischluft versorgten Zelle ohne Tageslicht leben, essen und schlafen zu müssen. Wie das Licht, das 24 Stunden angeschaltet bleibt, den Schlaf fast unmöglich macht. Teilweise werden den Gefangen auch jegliche Reinigungsutensilien verweigert, was als zusätzliche Erniedrigung und Machtmissbrauch empfunden wird. Andere haben Zellen ohne Toiletten und müssen warten, ob und wann das Wachpersonal die Zelle aufschließt. So banal es klingen mag, es gibt auch keine Spiegel. Die Gefangene berichten, wie sie über sich selbst erschrecken sich nach Wochen oder Monaten, blass, müde und abgemagert zum ersten Mal wieder zu sehen.

Zusätzlich zu den Haftbedingungen in der Zelle, sind die stundenlange Verhöre verstörend und traumatisierend. Im Buch wird eindrücklich geschildert was es bedeutet in totaler Abhängigkeit von seinen Verhörern (meist ausschließlich Männer) zu sein. Bewusst wird das Gefühl erzeugt völlig ausgeliefert und schutzlos zu sein. Ihre Familien duften sie oftmals monatelang nicht kontaktieren. Teilweise versuchten die Verhörer die Gefangen zu brechen, indem sie behaupten, Familienmitglieder seien verstorben.  Nigara Afsharzadeh schildert wie sie den männlichen Verhörern den Geschlechtsverkehr mit Ihrem Ehemann „nachspielen“ musste.  Einer ihrer Verhörer putze sich Nase und warf sein Taschenbuch auf den Boden mit den Worten: „Frauen sind wie Taschentücher. Man benutzt sie und wirft sie dann weg“. In ihrer Zelle zerkleinerte sie ihr Essen, um Ameisen anzulocken und stundenlang mit ihnen zu sprechen, damit sie sich nicht so einsam und verlassen fühlte.

Die Berichte der politischen Gefangenen sind nur schwer zu ertragen. Vor allem in dem Wissen, dass einige der Interviewten aktuell (wieder) inhaftiert sind. Zudem gehen Schätzungen davon aus, dass seit der feministischen Revolution nach dem Tod von Jina Mahsa Amini über 20.000 weitere Gefangene hinzugekommen sind. Und gerade deswegen ist dieses Buch so lesenswert. Es ist auch ein Aufruf an die LeserInnen die todesmutigen Demonstrierenden im Iran nicht zu vergessen. Mohammdis Buch ist einer der aktuellsten und eindrücklichsten Aufrufe die Feministische Revolution mit allen Mittel zu unterstützen. 

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Shole Pakravan mit Steffi Niederzoll: „Wie man ein Schmetterling wird – Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari“

Berlin Verlag, 2023, 267 Seiten, 24,00€

Das grausame, zutiefst ungerechte und patriarchale Rechtssystem der Islamischen Republik Iran wird in diesem eindrücklichen und empfehlenswerten Sachbuch am Schicksal von Reyhaneh Jabbari deutlich. Das Leben der ehrgeizigen und erfolgreichen jungen Frau änderte sich an nur einem Nachmittag. Als ein Kunde sie versucht zu vergewaltigen, greift sie in Notwehr zu einem Messer und sticht einmal zu. Sie ruft den Rettungsdienst und flieht voller Panik. Bereits in der Nacht wird sie verhaftet und der folgende Gerichtsprozess ist eine Farce. In Haft wird sie gefoltert, ihr gesagt ihre Familie hätte sie verstoßen. Trotz vieler Beweise, die auf Notwehr hindeuten, hat Reyhaneh Jabbari vor Gericht keine Chance, da ihr versuchter Vergewaltiger ein mächtiger und exzellent vernetzter Mann war, der – selbst nach seinem Tod – von der patriarchalischen Gesellschaft geschützt wird.

Dieses emotionale Sachbuch zeichnet das viel zu kurze Leben von Reyhaneh Jabbari mit Hilfe von geschmuggelten Briefen und heimlich aufgenommenen Audiodateien nach. Ihrer Mutter Shole Pakravan ist es zu verdanken, dass ihr „Gerichtsprozess“ und ihre Haftzeit nachgezeichnet werden können. Fußnoten erklären iranische und islamische Begriffe für die deutsche Leserschaft. Diese Dokumentation der Ungerechtigkeit, der Willkür, der Misogynie, der entsetzlichen Schariagesetze ist oft schwer zu ertragen und doch kann man das Buch kaum aus der Hand legen.

In Haft, wissend das ihr Todesurteil vollstreckt werden kann, setzt sich Jabbari für ihre Mitgefangenen ein. Sie hört den verurteilten Frauen zu, die vergewaltigt, in die Prostitution gezwungen, misshandelt wurden. Beispielsweise Minas Geschichte: Von ihrer Mutter in die Prostitution gezwungen, damit ihre Brüder ein leichteres Leben haben.

Trotz Drohungen und Einschüchterungen des iranischen Unrechtsregimes, entschloss sich Pakravan an die Weltöffentlichkeit zu gehen, damit ihre Tochter noch gerettet werden könnte. So setzte sich in Deutschland auch unsere Mitfrau Mina Ahadi für Reyhaneh Jabbari ein und kämpft gegen die Todesstrafe und die Praxis der Steinigung. Sie startete Protestkundgebungen und Petitionen, auch unterstützt von TERRE DES FEMMES. Die Hoffnung war, dass ihr Fall bei Catherine Ashton, damalige Verhandlungsleiterin der EU über das Nuklearabkommen mit dem Iran, und Ahmad Shaheed, UN-Berichterstatter über Menschenrechtsverletzungen im Iran, Beachtung findet. Die Hinrichtung konnte trotz internationalem Protest nicht verhindert werden. Die Schilderungen von Reyhaneh Jabbaris Beerdigung gehören zu den intensivsten Beschreibungen des Buches.

Die Co-Autorin Steffi Niederzoll hat das Buch verfilmt. Sieben Winter in Teheran hat bei der diesjährigen Berlinale (2023) den Friedensfilmpreis erhalten. Das Buch endet mit Pakravans Wunsch, dass die neue, feministische Revolution im Iran siegen wird. Obgleich ihre Tochter nicht mehr lebendig wird, soll keine weitere Frau ihr Schicksal erleiden. Auf kurdisch Jin, Jiyan, Azadi - Frau Leben Freiheit sind auch Reyhanehs Visionen gewesen: Machtpositionen werden nicht mehr ausgenutzt, keine Frau mehr vergewaltigt, die Rechte der Schwachen werden nicht verletzt, nur weil sie schwach sind.

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Gilda Sahebi: "Unser Schwert ist die Liebe"

Buchcover: Gilda Sahebi: "Unser Schwert ist Liebe"

Die feministische Revolte im Iran
S. Fischer, 2023, 256 Seiten, 24,00 €

"Das ist ein Schlachtfeld. Unser Schwert ist Liebe.", so rappt der inhaftierte Toomaj Salehi. Er ist zum Zeitpunkt der vorliegenden Rezension immer noch inhaftiert und zum Tode verurteilt. Wer Sahebis Twitter Account folgt, kennt bereits viele der Geschichten und Informationen der seit September 2022 anhaltenden Revolution. Das Buch vertieft diese Geschichten, liefert Hintergrundinformationen und ergänzt. Insgesamt ein sehr lesenswertes und erschütterndes Buch.

Zwischen Dezember 2022 und März 2023, innerhalb kürzester Zeit geschrieben, ist es auch hoch aktuell. Es ist auch für Personen geeignet, die sich noch nicht eingehend mit der feministischen Revolution im Iran beschäftigt haben. Die Interviews mit Nasrin Sotodeh, Menschenrechtsanwältin, und Jakaw Nick, non-binärer Oppositioneller, gewähren einen erschütternden Einblick in die Ausmaße der staatlichen Willkür und Repression.

Gerne hätte sie auch differenzierter die politischen Dimensionen des Verhältnisses zwischen Deutschland und dem Iran, vor allem die wirtschaftlichen Verflechtungen, darstellen können.
Der lange Arm des iranischen Geheimdienstes, vor dem sich auch Exil-IranerInnen und Geflüchtete in Deutschland fürchten müssen, wird kaum angesprochen.

Das Buch der studierten Ärztin und Politikwissenschaftlerin ist dennoch empfehlenswert, da es unterschiedliche Aspekte der Revolution anspricht: Die Rolle der Musik, die feministische Perspektive sowie die lange und gewaltvolle Geschichte der staatlichen Unterdrückung. Sehr gelungen ist auch, dass Sahebi die noch viel weniger sichtbare Revolution in den marginalisierten Provinzen wie Sistan und Belutschistan heraushebt. Auf Grund der Armut, weniger Smartphones und weniger Möglichkeiten die staatliche Internetspeere zu umgehen, gelangen kaum Informationen an die Öffentlichkeit.

Trotz der im Iran vorherrschenden Düsternis schafft es Sahebi, das Licht der Hoffnung, dass die Demonstrierenden in sich tragen, sichtbar zu machen.

Hartmut Kreß: Religionsunterricht oder Ethikunterricht?

Entstehung des Religionsunterrichtes
Rechtsentwicklung und heutige Rechtslage – politischer Entscheidungsbedarf

Herausgegeben vom Institut für Weltanschauungsrecht, Nomos Verlagsgesellschaft, 2022, 238 Seiten, 68,00 €

Hartmut Kreß gelingt es auf eine verständliche und dezidierte Weise einen großen geschichtlichen Bogen von der Entstehung des heutigen konfessionellen Religionsunterrichts bis hin zu den künftigen Reformoptionen zu ziehen. Hierbei wird die Bonner Verfassung an die Weimarer Verfassung angeknüpft, die Zeit während des Nationalsozialismus bleibt ausgeklammert.

Kreß, emeritierter Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik in der Theologischen Fakultät Kiel, unterteilt den Band hierzu in Teil A. Geistes- und rechtsgeschichtliche Voraussetzungen des heutigen Religionsunterrichts, B. Religionsunterricht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der Weimarer Verfassung und abschließend Teil C. Heutige Problemkonstellation – künftige Reformoption.

Seit dem 16. Jahrhundert war der Religionsunterricht der Kern des Schulunterrichts und selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es noch die Auffassung, Religion und Religionsunterricht seien die Mitte der schulischen Erziehung. Indirekt gründet der Religionsunterricht in die Zeit der protestantischen Reformen, dem Übergang des Mittelalters in die Neuzeit und wurzelt somit in der Vormoderne. Kreß gelingt es den langen geschichtlichen Bogen komprimiert darzustellen und herauszuarbeiten warum die historischen Wurzen elementar sind und sich im unserem heutigen Grundgesetzt in Art. 7 Abs. 3 niedergeschlagen hat.

Im Schlussteil C werden neben der sozioreligiösen Pluralisierung und der Säkularisierung erläutert warum der Religionsunterricht in die Defensive geraten ist und sogar in kirchlichen Debatten eingeräumt wird, er sei kaum noch im Schulalltag durchzuhalten. Der durch Art.7 Abs. 3 GG gesetzte Rechtsrahmen im Schulalltag wird praktisch unterlaufen.

Folgerichtig resümiert Kreß, dass dies rechtsethisch nicht akzeptabel sei. Er plädiert für einen Ethik-Unterricht, welcher gegenüber einem konfessionellen Unterricht keine Segregation mit sich bringt, ein integratives und gemeinsames Lernen ermögliche und somit pädagogisch wie institutionell abzusichern sei.

Religions- oder Ethikunterricht? Diese Frage gelingt es Kreß eindeutig zu beantworten und hierbei die historischen Wurzeln und Entwicklungen einzubeziehen sowie auf die aktuellen Bedingungen einzugehen. Lesenswert und informativ.

 

 

Masih Alinejad: Der Wind in meinem Haar

Mein Kampf für die Freiheit iranischer Frauen
Alibri, 2022 Aschaffenburg, 478 Seiten, 24,- €

Ihr eigentlicher Vorname, Masoumeh, bedeutet übersetzt „unschuldig“: Ein Attribut, das ihr später von ihren fundamentalistischen Widersachern sicher abgesprochen wurde.
Alinejad wächst als jüngste einer achtköpfigen armen Bauernfamilie im Norden Irans auf. Sie wird 1976 geboren, nur knapp drei Jahre vor der Islamischen Revolution, die nach dem Sturz des Schahs die Islamischen Republik Iran begründet.

Besonders Frauenrechte sind in der Republik der Mullahs eingeschränkt. Alinejad bekommt dies früh zu spüren, da Mädchen ab sieben Jahren ein Kopftuch tragen müssen. Sie lernt schnell, dass in der Öffentlichkeit keine Haarsträhne unter ihrem Hidschab rausschauen darf, sonst drohen Schläge oder sogar eine Verhaftung. Ihr Aufwachsen ist geprägt von dem Satz – „Du kannst das nicht“, weil du ein Mädchen bist. Doch Alinejad beginnt, sich gegen das frauenfeindliche Regime aufzulehnen – zunächst in der Schule, der sie verwiesen wird, und später als Mitbegründerin einer Untergrundorganisation. 1996 werden sie und ihre MitstreiterInnen verhaftet und verhört, doch die junge Frau wird auf Bewährung freigelassen. Mit einer vorehelichen Schwangerschaft, ihrer rebellischen Art und späteren Scheidung bringt sie in den Augen ihrer Angehörigen Schande über die Familie.

Mit 24 geschieden, allein in Teheran, beginnt sie als Journalistin im Politikressort zu arbeiten und wird schließlich Parlamentsreporterin. Nachdem sie öffentlich die hohen Gehaltsabrechnungen der iranischen Politiker und die Korruption im Land anklagt, wird sie gefeuert. Sie ist fast 30 Jahre alt als sie zum ersten Mal die Grenzen ihres Heimatlandes passiert und - zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ihren Hidschab ablegen kann: In Beirut müssen muslimischen Frauen kein Kopftuch tragen! Was für ein befreiendes Gefühl!

2009 wird es für sie zu gefährlich im Iran. Sie muss das Land verlassen.

Zunächst studiert sie in Oxford, zieht später nach New York und setzt sich aus dem Exil heraus für iranische Frauen und gegen den Kopftuchzwang ein.

Mit ihrer Kampagne My Stealthy Freedom (Meine Heimliche Freiheit), die sie 2014 auf Facebook startet, wird sie über Nacht bekannt. Dort postet sie Fotos von Frauen aus dem Iran, deren Haar nicht von einem Kopftuch bedeckt ist. Nach kurzer Zeit hat sie hunderttausende UnterstützerInnen und wird im Iran gefeiert.

Alinejad wird zur Stimme der iranischen Frauenbewegung und kritisiert mit weiteren Kampagnen das Regime. Aus dem Exil unterstützt sie die Protestierenden in ihrer ehemaligen Heimat. Sie dreht einen Dokumentarfilm, schreibt und macht weiterhin auf die Situation der Frauen im Iran aufmerksam.

Die iranische Regierung versucht die Aktivistin jahrelang einzuschüchtern und setzt den Geheimdienst auf sie und ihre Familie an, doch die Journalistin lässt sich davon nicht einschüchtern.

Heute ist sie bekannt für ihre Lockenmähne, die immer mit einer gelben Blume geschmückt ist – weil sie stolz auf ihre Haare ist und diese nicht verstecken möchte. Damit alle iranischen Frauen diese Freiheit erleben können kämpft sie unermüdlich.

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