23.06.2014: TERRE DES FEMMES wendet sich gegen Operationen an weiblichen Genitalien, ohne medizinische Indikation

Genitalien sind in ihrer Form sehr unterschiedlich. TERRE DES FEMMES (TDF) ruft auf zu einer Wertschätzung dieser Vielfalt!

Wir beobachten mit Sorge den aktuellen Trend der Intim-Operationen [1].

Nach der Anpassung der sichtbaren Körperteile an ein übertriebenes Idealbild hat die Schönheitschirurgie nun auch die Genitalien für sich vereinnahmt: Bei den medizinisch nicht notwendigen Intim-Operationen wird die optische Erscheinung der Vulva normiert und den Kundinnen eine Verbesserung ihres Sexuallebens, ihres Lustempfindens und/oder ihres Selbstwertgefühls durch chirurgische Mittel versprochen.

Die körperliche Selbstwahrnehmung und das sexuelle Erleben werden von der Schönheitsindustrie als abhängig von anatomischen Details dargestellt und sexuelle Befriedigung wird ausschließlich der „richtigen“ Anordnung der Genitalien zugeschrieben.

Im Angebot der Schönheitsindustrie sind unter anderem Schamlippenverkleinerungen und – aufspritzungen, G-Punkt-Vergrößerung, Rekonstruktionen des Jungfernhäutchens (Hymen), Venushügelverkleinerung, Vaginaverengung und Klitorisverlegung. Diese Optionen machen u.a. den Orgasmus durch Penetration zur Norm und ignorieren andere Formen der Befriedigung und sexuellen Freiheit. Operationen statt Fantasie, Normierung statt Kreativität, Chirurgie statt gemeinsamen Experimentierens werden als Lösung für den angeblich „fehlerhaften“ natürlichen Körper präsentiert.

Aufklärung über erogene Zonen, Wissen um die Vielfalt der Sexualität und das Selbstvertrauen, befriedigende Praktiken für sich zu probieren, können sinnvollere Alternativen zu Intim-Operationen sein.

Die Form, Größe und Beschaffenheit der Schamlippen (Labien) sind so individuell wie ein Gesicht. Wie unsere Mimik sich je nach Laune ändert, reagieren auch unsere Genitalien z.B. auf Erregung. Dass die inneren Labien meist größer und länger als die äußeren Labien sind, ist vielen Mädchen und Frauen nicht bekannt, was zu hoher Verunsicherung führt und anfällig für die Strategien der Schönheitsindustrie macht.

Es gibt jedoch keinen Beleg dafür, dass die hohen Erwartungen an das soziale, psychische und ästhetische Ergebnis der Operation gerechtfertigt sind. Das Risiko einer unnötigen Operation und die Nebenwirkungen des Eingriffs wie Narbenbildung, Verlust der Empfindungsfähigkeit, Schmerzen und Entzündungen werden oft verharmlost.

Missstände:

1) Die Zahl der angefragten und durchgeführten Intim-OPs steigt seit Jahren. Ein solcher Trend kann seine Ursache in dem mittlerweile stark vereinfachten Zugang zu Pornographie sowie in der sexualisierten Darstellung von Frauenkörpern in der Werbung haben. Eine vermeintliche Norm wird so medial erzeugt und suggeriert, dass eine unveränderte Vulva nicht liebens- und begehrenswert sei.

2) Der gesellschaftliche Mainstream unterstellt Fehlerhaftigkeit, wenn das persönliche Sexualleben nicht jederzeit wie gewünscht funktioniert. Der natürliche weibliche Körper wird als „falsch“ angesehen und dabei ein unrealistisches, unnatürliches Bild vom weiblichen Körper als erstrebenswert verfestigt.

3) Die „normale“ Vulva ist unbekannt, da es keine seriöse Studie gibt, in der Größe und Proportion von Labien, Klitoris und Vagina gemessen wurden. Ein „zu groß“ oder „zu dunkel“ oder „zu unsymmetrisch“ bezieht sich damit auf einen fiktiven, irrealen Maßstab. Die “modische” Vulva entspricht dem äußeren Genital eines jungen Mädchens und repräsentiert somit eher einen pädophilen Traum als den Wunsch nach einer erwachsenen, gleichgestellten, entwickelten und selbstbewussten Partnerin.

4) Der medizinische Fortschritt steigert das Vertrauen in die Chirurgie und die enorme Verbreitung von Schönheitsoperationen verleitet dazu, recht spontan und unreflektiert den eigenen Körper dauerhaft und unumkehrbar einer Mode anzupassen. Das gewünschte Operationsergebnis kann nie garantiert werden, da dies von der natürlichen Beschaffenheit des Körpers abhängt. Die Kundinnen gehen also ein doppeltes Risiko ein: Das eines schwerwiegenden chirurgischen Eingriffs und das der Unzufriedenheit mit dem Ergebnis.

5) Die Anpassung des weiblichen Körpers an Modetrends, Ideale und Normen widerspricht einem gleichberechtigten, selbstbestimmten und freien Leben. Die Individualität und Einzigartigkeit jeder Frau sollte ihr als Stärke und Glück gelten, nicht als Abweichung.

Forderungen:

TDF fordert mehr Aufklärung und strengere Richtlinien in Bezug auf medizinisch unnötige Genitaloperationen sowie an die Ausbildung operierender ÄrztInnen.

TDF spricht sich gegen die ästhetischen Operationen aus und fordert ein Verbot von Werbung für plastische Operationen im weiblichen Genitalbereich, da diese Anreize schafft und die Risiken der Operationen verschleiert.

Die Aufklärung über die natürliche Vielfalt der weiblichen Geschlechtsteile und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Trend zu Schönheitsoperationen sollen bereits in der Schule stattfinden.

TDF fordert eine unabhängige Untersuchung zu den Folgeschäden medizinisch nicht indizierter Operationen.

TDF fordert eine unabhängige psychologische, medizinische und sexualtherapeutische Pflichtberatung vor jedem intimchirurgischen Eingriff.

TDF fordert, dass ästhetische Intimoperationen unabhängig von der Einwilligung der Eltern nicht vor der Volljährigkeit durchgeführt werden dürfen.

 

Exkurs Hymenrekonstruktionen [2]:

Bei ÄrztInnen häufen sich Anfragen von jungen Frauen aus patriarchal strukturierten Familien, die nach einer Wiederherstellung ihres Jungfernhäutchens (Hymenrekonstruktion) fragen. Ihnen geht es vor allem darum, in der Hochzeitsnacht ihre Jungfräulichkeit zu beweisen, indem sie bluten. Sie gehen fälschlicherweise davon aus, dass jede Frau ein Jungfernhäutchen hat, das beim ersten vaginalen Geschlechtsverkehr verletzt wird[3].

In patriarchalisch strukturierten Familienverbänden kommt der Jungfräulichkeit von Frauen eine hohe Bedeutung zu: Es wird erwartet, dass sie jungfräulich in die Ehe gehen, da andernfalls die Familienehre in Gefahr bzw. verletzt ist. Die Familie verliert ihr Ansehen in der Gemeinschaft, wenn die Braut nicht blutet. Um die Ehre wiederherzustellen, droht den Frauen, die ihre Jungfräulichkeit nicht beweisen können, im schlimmsten Fall der Tod. Daher sind Hymenrekonstruktionen nicht als „normale“ bzw. ästhetische Schönheitsoperationen anzusehen. Der soziale Druck sich solchen OPs zu unterziehen, ist ein anderer und auch die möglichen Konsequenzen für eine junge Frau sind gravierender, wenn sie nicht blutet[4].

Durch intensive Betreuung und Aufklärung über den Jungfräulichkeitsmythos sollte den Betroffenen Alternativen zu einer Hymenrekonstruktion aufgezeigt werden. In Fällen, in denen die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens die einzige Option ist, die Gesundheit oder sogar das Leben der betroffenen jungen Frauen zu schützen, sollte die Rekonstruktion ermöglicht werden. Sie darf allerdings kein Routineeingriff werden.

Verabschiedet durch den Vorstand von TERRE DES FEMMES am 23.06.2014.

 


1. Rekonstruktive und medizinisch indizierte Operationen sind hier an keiner Stelle gemeint. Hierunter fallen ausdrücklich auch die zur Anpassung des Körpers an die Geschlechtsidentität notwendigen Eingriffe.
 
 
3. Laut wissenschaftlichen Studien bluten mehr als die Hälfte der Frauen nicht beim ersten vaginalen Geschlechtsverkehr (Vgl. Joyce A. Adams, MD; Ann S. Botash, MD; Nancy Kellogg, MD: „Differences in Hymenal Morphology Between Adolescent Girls With and Without a History of Consensual Sexual Intercourse“, March 2004).
 
4. Studien haben ergeben, dass eine OP eine Blutung nicht garantiert (Vgl. Bianca R. van Moorst, Rik H. W. van Lunsen, Dorenda K. E. van Dijken and Concetta M. Salvatore: „Backgrounds of women applying for hymen reconstruction, the effects of counselling on myths and misunderstandings about virginity, and the results of hymen reconstruction“, April 2012).