Positionspapier von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. Ethik-Unterricht als Pflichtfach an allen öffentlichen Schulen

 

Hauptziele von TERRE DES FEMMES

  1. Ein integratives, wertevermittelndes Fach „Ethik“ an allen öffentlichen Schulen anstelle eines konfessionell gebundenen Religionsunterrichts.
  2. Eine Religionspolitik, die Art. 3 Abs. 2 GG (Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern) vorrangig behandelt im Vergleich zu Art. 4 Abs. 2 GG (Die ungestörte Religionsausübung)

  

Zu 1.

Ein integratives, wertevermittelndes Fach „Ethik“ an allen öffentlichen Schulen anstelle eines konfessionell gebundenen Religionsunterrichts

Deutschland ist kein laizistischer Staat: Es besteht keine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass der Staat die Kirchensteuer einzieht oder in öffentlichen Schulen konfessioneller Religionsunterricht angeboten wird. Insgesamt gesehen, haben viele Religionen frauenfeindliche Tendenzen und Strukturen. Aufklärung, Säkularismus, Religionskritik, Akzeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Selbstbestimmungsrecht der Frauen werden immer wieder in Frage gestellt. Insbesondere der traditionelle Katholizismus, das orthodoxe Judentum und der konservative Islam, mit massivem Einfluss von hierarchisch institutionalisierter, patriarchalisch-misogyner Haltung auf Staat und Gesellschaft, weisen aus feministischer Sicht rückwärtsgewandte Wertehaltungen auf.

Wenn es um das Frauenbild geht, unterstützen Teile der katholischen Kirche ebenso wie die konservativen Islamverbände traditionelle Rollenbilder, die davon ausgehen, dass Frauen nur gleichwertig und nicht gleichberechtigt seien. Der Vatikan hat bis heute die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) und die Europäische Menschenrechtskonvention (1950) nicht unterzeichnet. Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990 garantiert der Frau in Art. 6 zwar Gleichheit an Würde, aber nicht die Gleichstellung mit dem Mann.

Frauen werden in diesen beiden Religionsgemeinschaften besonders in den Punkten Führungspositionen, Empfängnisverhütung oder Abtreibung diskriminiert. Auch wird ihnen bis heute die Aufgaben eines Imams respektive das Priesteramt verwehrt. Mit der Forderung nach Abschaffung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts stellt TERRE DES FEMMES keineswegs die allgemeine und grundlegende Bedeutung von Religion als individuelle Werte-Orientierung und historisch-soziale Kulturträgerin verschiedenster Traditionen in Frage: Ein Pflichtfach „Ethik“ soll immer Religionskunde miteinschließen. Das Fach hat jedoch jenseits der Konfessionalität eine sachlich kritische Wissensvermittlung über die verschiedenen Religionen der Welt zum Ziel. An die Stelle eines religiösen Bekenntnisunterrichts, der laut Bundesverfassungsgericht Glaubenssätze als „bestehende Wahrheit“ vermittelt, soll ein philosophisch orientierter Erkenntnisunterricht treten, der in der Wahrheitsfrage nicht von einem Absolutheitsanspruch einzelner religiöser Bekenntnisse ausgeht.

In den besonders prägenden Jugendjahren – gerade in der Schule als Spiegel der Gesellschaft und Ort der Integration – gilt es, die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen, subjektiv für gültig erachteten Wertvorstellungen zu entwickeln sowie den Dialog mit Andersdenkenden zu üben.

TERRE DES FEMMES fordert deshalb ein Pflichtfach „Ethik“ an allen öffentlichen Schulen.

 

Zu 2.

Eine Religionspolitik, die Art. 3 Abs. 2 GG (Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern) vorrangig behandelt im Vergleich zu Art. 4 Abs. 2 GG (Die ungestörte Religionsausübung)

Eine Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Säkularität und weniger Einflussnahme seitens der Kirchen, Moscheevereine und anderer religiöser und weltanschaulicher Organisationen ist nur zu erreichen, indem man ein wissenschaftlich und philosophisch fundiertes Fach „Ethik“ zur Werteerziehung und Wertevermittlung in den Schulen zur Pflicht macht.

Religionsfreiheit bedeutet nicht, dass religiöse Werte über unserem Grundgesetz stehen und dass gesellschaftspolitische Vorstellungen unter dem Vorwand religiöser Gebote verwirklicht werden dürften. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit haben in Deutschland Verfassungsrang in den Artikeln 3 und 4 unseres Grundgesetzes.

TERRE DES FEMMES als Deutschlands größte Frauenrechtsorganisation fordert gemäß ihrem Grundanliegen eine Religionspolitik, die dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Frau und Mann mehr Bedeutung zukommen lässt als der gesellschaftspolitisch motivierten Auslegung religiöser Traditionen.

 

Geänderte Fassung verabschiedet durch den Vorstand

Berlin, 1. September 2020