Positionspapier von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. zu Verwandtenehen in der Bundesrepublik Deutschland

 

TERRE DES FEMMES positioniert sich zu Verwandtenehen in Deutschland, die unter Zwang geschlossen wurden oder sich in eine Zwangsehe entwickelt haben. Wir beziehen uns nicht auf freiwillige Ehen, die mit der ehrlichen Zustimmung beider PartnerInnen geschlossen wurden.

Definition

Die Verwandtenehe wird in der Fachsprache als konsanguine Ehe bezeichnet. Der Begriff leitet sich aus dem lateinischen „consanguinitas“ ab und bedeutet „Blutsverwandtschaft“. Heute wird darunter die Ehe zwischen zwei Personen verstanden, die genetisch mit einander verwandt sind.

Historischer Abriss und Ursprung

Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 waren Ehen zwischen Cousins und Cousinen erlaubt. Mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 01. Januar 1900 erlangte das Gesetz Gültigkeit in ganz Deutschland. Durch die Verwandtenehe wollten insbesondere sozial höhere Schichten in Deutschland den Besitzstand wahren.

In einigen Familien gilt es heute noch als vorteilhaft, innerhalb der Familie zu heiraten.

Ideelle und materielle Werte sollen somit innerhalb der Familie tradiert und deren Einfluss ausgebaut werden.

Aktuelle Situation weltweit

Verwandtenehen werden häufig in der arabischen Welt, in Süd-West-Asien und Nordafrika praktiziert, aber auch in Europa, Nord- und Südamerika sowie Ozeanien. Als Grund für innerfamiliären Eheschließungen wird häufig ein gering ausgebautes Wohlfahrtssystem angegeben. Allerdings geht die Zahl der Verwandtenehen in vielen Ländern auch dann nicht zurück, wenn Sozialleistungen wie Renten ausgebaut werden. Gleichzeitig können steigende Bildung, Mobilität und Verstädterung zu einem Rückgang führen, wie in der Türkei und Marokko der Fall.

Situation und Rechtslage in Deutschland:

Die bundesdeutsche Gesetzgebung sieht bei Eheschließungen zwischen Verwandten eine Unterscheidung nach Verwandtschaftsgrad vor. Nach Paragraph §1307 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), darf eine Ehe nicht zwischen Verwandten in gerader Linie geschlossen werden. Darunter fallen vollbürtige und halbbürtige Geschwister. Cousins und Cousinen ersten Grades dürfen nach deutschem Recht heiraten.

Zu der Anzahl von Verwandtenehen in Deutschland gibt es keine systematischen Erhebungen. Eine Studie zur Zwangsverheiratung in Deutschland zeigt jedoch, dass 27% der Befragten erwarteten, mit dem für sie bestimmten zukünftigen Ehegatten verwandt zu sein.Dabei bezogen sich die Angaben meist auf zukünftige männliche Ehegatten (Mirbach, Schaak, Triebl: Zwangsverheiratungen in Deutschland; 2011). Daraus lässt sich ableiten, dass Verwandtenehen und Zwangsehen häufig gemeinsam auftreten. Ein Problem, das sich aus der Verwandtenehe ergibt, ist die Tatsache, dass bei deren Nachkommen ein erhöhtes gesundheitliches Risiko besteht.  

Auswirkungen der Verwandtenehe für Frauen

  • Der Druck auf die Frauen, trotz schwerer Konflikte und Gewalt in der Ehe zu bleiben, ist höher als in anderen Ehen.
  • Frauen, die mit einem Verwandten verheiratet sind und sich entschließen, die Ehe zu verlassen, verlieren in der Regel jeden familiären Kontakt und jede Unterstützung, denn die Familie des Ehemannes ist gleichzeitig die eigene Familie.
  • Eine Ehe mit genetisch verwandten Personen bedeutet ein gesundheitliches Risiko für die Kinder, über das die Betroffenen in der Regel nicht informiert sind. Die Frauen werden häufig für die Geburt eines kranken oder behinderten Kindes verantwortlich gemacht.

TDF Forderungen:

  • Erstellung einer Studie zum Thema Zwangsheirat in Deutschland, bei der auch Zahlen zur Verbreitung der Verwandtenehe erhoben werden.
  • Kritische Prüfung der Sinnhaftigkeit des Paragraphen §1307; denn die Auswirkungen der Verwandtenehe sind gerade für Frauen äußerst negativ.
  • Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken einer Ehe mit genetisch verwandten Personen, um selbstbestimmt über den Nachwuchs zu entscheiden.
  • Umsetzung von Maßnahmen zur Unterstützung von Mädchen und Frauen, die von Zwangsheirat bedroht oder betroffen sind
  • TERRE DES FEMMES fordert einen offenen Diskurs zur konsanguinen Ehe in Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik.

 

Verabschiedet von den Vorstandsfrauen Prof. Dr. Godula Kosack (Vorsitzende), Inge Bell (Stellvertretende Vorsitzende), Christa Stolle (Geschäftsführender Vorstand), Dr. Necla Kelek und Dr. Hania Luczak.

Berlin, den 21. Mai 2019, geringfügige redaktionelle Änderung am 1. August 2019 verabschiedet durch Prof. Dr. Godula Kosack und geschäftsführende Vorstandsfrau Christa Stolle