von Gudrun Nositschka
Ohne Betrachtungen der Stellungen von Frauen in den Gesellschaften der monotheistischen Religionen, die Europa geprägt haben, also das Judentum und Christentum, so wie die Kämpfe der jüdischen und christlichen Frauen, besonders seit der Französischen Revolution, für eine Gleichberechtigung der Geschlechter, ist die Sorge vieler Feministinnen bezüglich der Forderungen einiger Muslima in Vorbildfunktionen unserer heutigen Gesellschaft, ein den Hals und die Haare bedeckendes Kopftuch tragen zu wollen, nicht zu verstehen.
Alle Rechte, auf die Frauen in Deutschland erst seit 1949 formal Anspruch haben - die Umsetzungen ließen teilweise bis in jüngster Zeit auf sich warten - so bei der Strafbarkeit von Vergewaltigungen in der Ehe oder der Wohnungsverweisung von Ehemännern bei Gewaltanwendung - wurden gegen die Lehren und Interpretateure der Bibel erfochten. (Auch mit Hilfe anderer Männer, auch Christen)
So lernten und lernen jüdische und christliche Mädchen und Frauen bis heute, dass sie nach dem 10. Gebot des ATs Eigentum von Vätern oder Ehemännern sind, dass das Menstruations- und Geburtsblut Frauen schmutzig macht, und dass sie nur durch bestimmte Riten wieder „rein“ für die Religionsausübung und den Mann werden können. In einigen Gegenden Deutschlands mussten sich kath. Frauen nach der Geburt eines Kindes bis zum 2. Vatikanischen Konzil im Jahr 1965 „aussegnen“ lassen, bevor sie wieder an der Messe teilnehmen und die Kommunion empfangen durften.
Der Apostel Paulus schrieb vor fast 2000 Jahren im 1. Korintherbrief, Kapitel 11, mit den Versen 3 - 16, auch Geschlechtergeschichte, insbesondere Frauengeschichte. Dort werden Frauen angewiesen, ihre langen Haare (kurze Haare waren ein Schandmal) zu bedecken, wenn sie in der Gemeinde „weissagten“. Sonst hätten sie sowieso in der Gemeinde zu schweigen. Durch spätere männliche Interpretationen wurde diese Anweisung auf alle Lebensbereiche der Frauen ausgedehnt, so dass es heute noch fundamentalistisch - christl. Glaubensrichtungen gibt, in denen Frauen Kopfbedeckungen (Tücher) tragen müssen, auf jeden Fall im Gottesdienst.
Dazu gehören die Pfingstler, die Mennoniten, einige osteuropäische Baptisten, alle orthodoxen Kirchengemeinden.
Die Frauen aus diesen christlichen Gruppen würden trotz Kopftuchtragen von ihren Männern nie die Erlaubnis erhalten, zu studieren und/oder in einer weltlichen Schule zu unterrichten, noch Richterin oder Kindergärtnerin in einer weltlichen Einrichtung werden.
Anmerkung: Im Gegensatz zum Judentum verordnete Paulus nun den christlichen Männern, barhäuptig vor ihren Gott zu treten, da sie ja Gottes Ebenbild wären.
Wir andere Frauen, die wir meinen, diese religiösen Bevormundungen und Einschränkungen hinter uns gelassen zu haben, sehen uns heute mit anderen patriarchalen Auswirkungen konfrontiert wie Pornographie, Frauenhandel, Reproduktionstechnologien, Modediktat. Das frauenverachtende westliche Patriarchat hat seine Tätigkeitsfelder von der Religion auf den Warenmarkt des Kapitals verlagert. Also kämpfen wir nun dagegen an und erleben plötzlich eine sichtbare zusätzliche Konfrontation durch unsere muslimischen Geschlechtsgenossinnen.
Betrachten wir deshalb den jüngsten Spross der abrahamitischen Religionen - den Islam.
Mit Genehmigung seines Gottes und seiner gläubigen Männer ist er in vielen Bereichen aus Frauensicht fortschrittlicher dahergekommen als die christlichen Gruppierungen, ist im Grunde weniger sexualfeindlich, auch wenn es in erster Linie dabei um die Freuden des Mannes geht, aber auch seine Pflichten „seine Frau, den Acker, zu bearbeiten“.
Wie im Judentum - teilweise auch im Christentum - wendet sich der jeweilige Gott immer an seine Männer, und lehrt diese, auch die Lebensgestaltung der Frauen zu regeln. So auch im Islam.
Hier besagt nun die Vorschrift, dass die Frauen und Töchter der Gläubigen angewiesen werden sollen, ihre Reize zu bedecken, zu ihrem Schutz vor den Nachstellungen fremder Muslime, aber auch zum Selbstschutz der gläubigen Muslime. Nur bedeckte Frauen (die Art der Bedeckung wird nicht vorgeschrieben) sind also für Männer, die nicht zur Familie gehören, sexuell tabu.
Besonders die Sure 33, Verse 58 und 59, soll in erster Linie die muslimischen Männer vor ihrer eigenen Begierde nach Frauen schützen, aber auch zur Konfliktvermeidung mit den anderen männlichen Gläubigen und deren Eigentum, sprich Frau/Tochter. Es geht hier also um eine Vereinbarung gläubiger muslimischen Männer untereinander, eine Art Territorienabsteckung.
Im Umkehrschluss hieße das: Unbedeckte Frauen (also ohne das Kopfhalstuch, ohne Tschador, oder Burka) sind schutzlos, vogelfrei, können sexuell, auch verbal, attackiert werden.
Fragen Sie junge Muslima ohne Kopftuch. Fragen Sie auch nicht muslimische Lehrerinnen und Schülerinnen und Kriminalbeamtinnen, die viel mit muslimischen Jungen und jungen Männern oder deren Väter zu tun haben, was sie sich im vier oder sechs Augengesprächen von ihnen anhören müssen.
Mein Fazit ist, dass diese muslimisch-männliche Vorschrift der Reizbedeckung von Frauen nichts mit Religion und nichts mit weiblicher Identität, aber um so mehr mit Sexismus zu tun hat, und daher unserem Grundgesetz widerspricht.
Mir sind Lehrerinnen persönlich bekannt – so in Berlin, in Hamburg und im Ruhrgebiet - deren Nerven blank liegen und die deshalb Jahre früher mit Abschlägen in Pension gehen, um den verbalen Attacken muslimischer Väter und Jungen in der Schule zu entkommen. Eine Kriminalbeamtin meiner Region vertraute mir an, dass sie ernsthaft überlege, Verhöre mit muslimischen jungen Männern nur noch in Gegenwart eines Kollegen zu führen, hat aber Sorge, dann nicht mehr als vollwertige Arbeitskraft im Polizeidienst zu gelten.
Jedes Kopftuch mehr an Schulen – von Lehrerinnen getragen - wird uns mehr Probleme mit muslimischen Jungen und Männern bescheren.
Außerdem wird der psychische Druck auf muslimische Mädchen, die bisher kein Kopftuch o. ä. tragen, verstärkt. Und die sind noch in der Mehrzahl.
Wir Frauen haben in Deutschland genug Probleme, immer wieder unsere hart erkämpften Rechte gegen Staat und Kirchen zu sichern, die allen hier lebenden Frauen zugute kommen. Wir brauchen die Solidarität muslimischer Frauen für diesen Kampf, keine zusätzlichen Problemstellungen, keinen Appell an unsere Toleranz, wenn sie sich unter dem Deckmantel vermeintlicher Religionsfreiheit als Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Juristinnen „freiwillig“ verhüllen wollen, um sich so als die „Ehre ihrer Männer“ sichtbar zu machen.
Ein „Kopftuch-Verbot“ von Muslimas außerhalb des öffentlichen Dienstes und der Institutionen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, lehne ich dagegen ab. Doch was würde ich wohl empfinden, wenn muslimische Schülerinnen „freiwillig“ auf einmal die Burka tragen wollten?
23. Januar 2010, ergänzt August 2014