Elena Favilli und Francesca Cavallo
Good Night Stories for Rebel Girls.
100 außergewöhnliche Frauen.
Es waren einmal zwei junge Frauen, die ein ganz besonderes Buch mit Gutenachtgeschichten schreiben wollten. Aber ach, ihnen fehlte das Geld dazu!
Doch im Nu spendeten viele Menschen für ihr Buchprojekt, und schon bald sammelten die beiden den höchsten Unterstützungsbetrag in der Geschichte des Crowdfunding!
Und tatsächlich: Mit „Good Night Stories for Rebel Girls“ haben die Autorinnen uns ein ganz wunderbares Kinderbuch geschenkt. Statt allseits bekannten Märchen von Prinzessinnen, die gerettet werden müssen, erzählen sie Geschichten von mutigen Mädchen und Frauen, die Gefahren trotzten und für die Verwirklichung ihrer Träume kämpften. Manche von ihnen waren bereit, große Opfer zu bringen, wie ihre Freiheit oder ihr Leben aufzugeben, um für die Rechte aller Menschen dieser Welt einzustehen.
Andere Frauen überwanden Vorurteile und wurden anerkannte Sportlerinnen, einflussreiche Politikerinnen, bahnbrechende Erfinderinnen, eigenwillige Künstlerinnen, neugierige Weltentdeckerinnen und alles, was sie nur sein wollten.
Jede Lebensgeschichten wird ergänzt durch ein prägnantes Zitat der jeweiligen Frau. Das philippinische Mädchen Ann Makosinski erfand eine Taschenlampe, die allein durch Körperwärme betrieben wird, und gewann dafür den ersten Preis auf der Google Science Fair. Ensprechend lautet ihr Credo: „Solange du lebst, produzierst du Licht.“
Die chinesische Astronomin Wang Zhenyi hinterfragte schon im 18. Jahrhundert tradierte Geschlechterrollen: „Auch Töchter können heldenhaft sein.“
Den Kurzbiographien wird auf der gegenüberliegenden Buchseite jeweils ein stilistisch individuell gestaltetes Portrait beigefügt. Die Taubblinde Schriftstellerin Helen Keller hält ein Buch in Braille in der Hand. Die irländische Piratin Grace O’Malley blickt entschlossen dem nächsten Abenteuer entgegen. Umgeben von weißen Rosen vertieft sich die Widerstandskämpferin Sophie Scholl in ein Buch.
Sechzig Künstlerinnen aus aller Welt haben diesen beeindruckenden Frauen und Mädchen phantasievolle und detailverliebte Bildnisse quasi auf den Leib geschneidert.
Und so Elena und Francesca wollen, hecken sie vielleicht schon das nächste Buch für Kinder und Jugendliche aus, das so bunt wie unsere Erde ist und unseren Gedanken neue Horizonte eröffnet.
Wie die Malerin Frida Kahlo schon sagte: „Wozu brauche ich Füsse, wenn ich doch Flügel habe?“
Besprechung: Delia Wartmann
Carl Hanser Verlag, München 2017, 224 Seiten, 24,00 €
Sorority (Hrsg.)
No More Bullshit
Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten
„Frauen wollen ja gar nicht in Führungspositionen!“
„Qualität statt Quote!“
„Verstehst du keinen Spaß?“
Die VerfasserInnen des vorliegenden Ratgebers verstehen tatsächlich sehr viel Spaß. Und genau deswegen ist die Lektüre darüber, wie man sexistischen Halbwahrheiten mit knallharten Fakten begegnen kann, so unterhaltsam.
Im Zuge der Veranstaltungsreihe „No More Bullshit!“ hat das österreichische branchenübergreifende Frauennetzwerk Sorority, AutorInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst eingeladen, hartnäckige Vorurteile rund um Feminismus und Geschlechterrollen aufzudecken und mit weitverbreiteten Vorurteilen und Irrglauben aufzuräumen.
Ergänzt wird die Theorie durch praxisnahe Ratschläge, wie man Sexismus im Alltag Kontra geben kann. Und der Humor kommt dabei nicht zu kurz.
„Bullshit“ nennen die AutorInnen sexistische Parolen, die sich hartnäckig am Stammtisch, in Online-Foren, beim Familienfest oder am Arbeitsplatz halten. Das ist nicht besonders objektiv oder wissenschaftlich formuliert, das wissen sie selbst, aber „Bullshit“ bringt es so passend auf den Punkt.
Sexistische, rassistische oder klassifizierende Aussagen machen sprachlos, machen wütend. Und auch wenn sie meistens völlig haltlos sind, reicht es nicht, seinen Gegenüber mit einem einfachen „Blödsinn“ in die Schranken weisen zu wollen. Die Beiträge zeigen wie man sexistische Floskeln wirksam entlarvt und entschärft.
Dazu schlagen sie verschiedene Strategien vor, wie und wann man überholten Stammtischparolen entgegentreten und Sprücheklopfern den Wind aus den Segeln nehmen kann.
Begleitet werden diese psychologischen Kniffe von witzigen Zeichnungen und Grafiken, die wiederum voller kleiner „Bullshit“-Haufen sind, aber vielleicht gerade dadurch den Spagat zwischen Humor und anschaulicher Aufklärung schaffen.
Konkrete Beispiele liefern die HerausgeberInnen im zweiten Teil ihres Handbuches. Darunter Klassiker, die wir wohl schon alle mal gehört haben: „Der Pay Gap ist ein Mythos“ oder „Mittlerweile werden Männer diskriminiert.“
Falsch, sagen die AutorInnen und geben Auskunft über die Entstehung solcher verallgemeinernden Aussagen und stellen diese richtig.
Da kann man es kaum erwarten, das Gelesene in der Praxis anzuwenden und die nächste sexistische Äußerung bei der kommenden Weihnachtsfeier als „Bullshit“ zu enttarnen und souverän zu wiederlegen.
Besprechung: Delia Wartmann
Verlag Kremayr& Scheriau GmbH & Co. KG, Wien 2018, 176 S., 19,90 €.
Unda Hörner
1919 – Das Jahr der Frauen
„Köchinnen, Krankenschwestern, alte Damen, Familien mit Vater, Mutter und Dienstmädchen, selbst mit kleinen Kindern kommen gezogen und stellen sich an.“ So beschreibt Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch die erste Reichstagswahl am 19. Januar 1919, an der zum ersten Mal Frauen das passive und aktive Wahlrecht wahrnehmen durften. Über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen nahmen damals ihr neu erlangtes Recht in Anspruch. Von den damals gewählten Abgeordneten waren 37 von 423 weiblich.
Die Künstlerin Käthe Kollwitz notiert in ihrem Tagebuch: „Zum ersten Mal gewählt. Hatte mich so sehr gefreut auf diesen Tag und nun er dran ist, von neuem Unentschlossenheit und halbes Gefühl.“ 1919 sollte für Kollwitz – und ihre weiblichen Kolleginnen - einen Meilenstein bereithalten: Am 24. Januar wird sie als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste berufen, im September wird ihr offiziell der Titel der Professorin verliehen.
Der frühe Tod ihres Sohnes, der 1914 im Krieg fiel, sollte noch fünf Jahre später ihre Gedanken überschatten. Mit ihrer Kunst, in der sie die sinnlosen Grauen des Krieges und das Elend der Armen wiederholt thematisiert, scheint sie auch ihren eigenen Schmerz verarbeitet zu haben. Trotz positiver Kritiken hadert sie mit ihrer Arbeit. Nur ihr Ehemann vermag ihr in dieser schweren Zeit Halt zu geben.
Kollwitz ist nur eine der Frauen, die die Autorin Monat für Monat durch das Jahr 1919 begleitet und uns so Einblicke in deren Lebensgeschichte gewährt: z.B. Marie Juchacz, die erste Frau, die eine Rede im deutschen Reichstag hielt, die Frauenrechtlerin und Pazifistin Anita Augspurg, die vergebens vor Adolf Hitler warnte oder die Marxistin Rosa Luxemburg, die ihren politischen Einsatz mit dem Leben bezahlen sollte; aber auch Künstlerinnen, wie die eigensinnige Hannah Höch oder die Expressionistin Else Lasker-Schüler sind darunter. Mit Frauen, wie der Nobelpreisträgerin Marie Curie, der Modemacherin Coco Chanel oder Sylvia Beach, der Gründerin der Buchhandlung Shakespeare and Company weitet Hörner den Blick über die deutschen Grenzen hinaus.
Dank der Briefe und Tagebucheinträge, auf die sie zurückgreift, zeichnet sie sehr persönliche und lebendige Bilder dieser so unterschiedlichen Frauen; nimmt sie uns mit auf eine Zeitreise in das erste Friedensjahr nach dem Weltkrieg, auf dessen politisches, kulturelles, wissenschaftliches und gesellschaftliches Leben die Frauen – erstmals – sichtbar Einfluss nehmen konnten.
Die Lücken, die das Sachbuch lässt, machen Appetit auf weitere Frauenbiografien.
ebersbach & simon, Berlin 2018, 249 S.
Bei Buch7 kaufen
5% des Einkaufspreises gehen an TERRE DES FEMMES
Meg Wolitzer
Das weibliche Prinzip
H&M verkauft T-Shirts mit feministischen Sprüchen für 14,99 €, Lena Meyer-Landrut erklärt per L’Oréal-Werbevideo, wie man mit ein bisschen grünem Lidschatten den perfekten „Statement Look FEMINIST“ zaubert und von Benedict Cumberbatch bis zu Ivanka Trump kämpft jede/r Celebrity um die Zuschreibung FeministIn. Lassen Beyoncé-Sakralisierung und Vulva-Wand-Dekor genug Raum für Inhalte? Gibt es den „richtigen“ Feminismus? Inmitten des Strudels der verschiedenen Feminismen veröffentlicht Meg Wolitzer ihren Roman.
Die Protagonistin des Romans, Greer Kadetsky, feiert auf ihrer allerersten College-Party. Im Verlauf des Abends fasst ein Kommilitone unter ihr Shirt und greift ihr hart an die Brüste. Dieser Akt sexualisierter Gewalt wird für die junge Studentin zum Erweckungserlebnis. Charakterisiert sie sich vor dem Übergriff noch als schüchtern, leise und unpolitisch, verwandelt sie sich nach dem Übergriff zu einer entschiedenen Kämpferin für Frauenrechte. Unterstützt wird sie dabei von der charismatischen Altfeministin Faith Frank, eine Schlüsselfigur des Second-Wave Feminismus, deren Meinungen von der neuen Generation der QueerfeministInnen inzwischen aber als überholt betrachtet werden. Kadetsky fühlt sich allerdings von ihr verstanden und beginnt nach dem abgeschlossenen Studium mit großem Erfolg und voller Idealismus in Franks Stiftung zu arbeiten.
Ihre dortige Arbeit birgt Stoff für eine weitere Konfliktlinie des Romans. Es wird deutlich, dass die Frauen nicht vor dem vermeintlich männlichen überzogenen Ehrgeiz und der Lust an der Macht gefeit sind. So verrät Kadetsky die Solidarität unter Frauen, als sie die Karriere ihrer besten Freundin Zee in Franks Stiftung verhindert. Auch das Image der Feminismus-Ikone selbst bröckelt. Die Stiftung wurde ihr von einem stein
reichen, ehemaligen Liebhaber mit zweifelhaftem Ruf geschenkt. Das ursprüngliche Anliegen Frauen in Not zu helfen verkommt zur Farce – Kongresse werden abgehalten, bei denen sich wohlhabende Frauen von feministischen Wahrsagerinnen die Zukunft weissagen lassen, während sie sich an Schnittchen gütlich tun.
Nach diesem kurzen Umriss des Inhalts könnte man meinen, Wolitzers Roman lese sich wie eine Provokation. Dem ist allerdings nicht so. Sehr ruhig und empathisch erzählt die Autorin die Geschichte um Greer Kadetsky und wirft dabei trotzdem wesentliche Fragen auf:
Wie kann man sich als Frau beruflich selbstverwirklichen, ohne dabei seine eigenen Ideale zu verraten? Gibt es einen falschen Feminismus?
Besprechung: Donata Kleindienst
DuMont Verlag, Köln 2018, 544 S.
Bei Buch7 kaufen
5% des Einkaufspreises gehen an TERRE DES FEMMES
Rebecca Sampson
Apples for Sale
Text-und Bildband
(Deutsch/Englisch)
„Apples for Sale“ beleuchtet durch die Kombination von Fotografie und Text das Leben indonesischer Hausmädchen, die in Hongkong als Migrantinnen zweiter Klasse unter prekären Umständen systematisch ausgebeutet werden. Eingepfercht in einen zermürbenden Alltag arbeiten sie für 525 € im Monat im Durchschnitt zwölf Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Diskriminierung, Geringschätzung und Schutzlosigkeit sind für sie an der Tagesordnung. Die unwürdige Lage der jungen Frauen, die häufig auf schmalen Matratzen neben der Waschmaschine schlafen müssen und sich in ihrer spärlichen Freizeit in ein Parallelleben auf Facebook flüchten, werden von Sampson aus verschiedenen Perspektiven in ihrem Buch untersucht.
Der Fokus der Auseinandersetzung liegt auf dem Gegensatz zwischen dem uniformen Alltagskorsett, in das die Arbeitsmigrantinnen im Haushalt ihrer ArbeitgeberInnen gezwängt werden und dem Wunsch der jungen Frauen nach Sinn, Bestätigung und der Möglichkeit einer gelebten Individualität. In einem ausschließlich weiblichen sozialen Umfeld beginnen sie eine Art Rollenspiel. Die männlichen Rollen werden von Tomboys übernommen – Frauen, die sich maskulin kleiden und geben. Liebevoll zurechtgemachte Puppen ersetzen die fehlenden Kinder. Da die Hausangestellten sich nur an einem Tag in der Woche frei bewegen können, verschiebt sich ihr sozialer und kultureller Raum immer mehr in die virtuelle Welt von Facebook. Dort sind dem individuellen Ausleben ihrer Persönlichkeit keine Grenzen gesetzt.
Ein Video des Buchs kann hier angesehen werden, der fotografische Teil der Arbeit unter diesem Link. Bis zum 21. Mai 2018 ist „Apples for Sale“ in den Deichtorhallen/Haus für Photographie Hamburg in einer Gruppenausstelung zu sehen.
„Apples for Sale“ kann bis Mai 2018 für 30,00 Euro vorbestellt werden. Die Lieferung erfolgt voraussichtlich im Juni 2018. Eine ausreichende Zahl an Vorbestellungen der Publikation „Apples for Sale“ von Rebecca Sampson ermöglicht die Veröffentlichung des Buches in einem Verlag. Zur Veröffentlichung fehlen noch 80 Vorbestellungen, bestellt werden kann per E-Mail an mail@rebeccasampson.com oder online.
Zusätzlich fördert das Goethe-Institut Hongkong die von Rebecca Sampson geplante Publikation mit einem Publikationskostenzuschuss.
Berlin 2018. 144 Seiten. 30,00 €
Jerneja Jezernik (Hrsg.)
Alma M. Karlin
Ein Mensch wird.
Auf dem Weg zur Weltreisenden
„Mehr nach Seele als nach Leib“ aussehend, wird Alma Maximiliana Karlin am 12. Oktober 1889 im damaligen Österreich-Ungarn geboren. Voller Witz und Ironie beschreibt sie scharfsichtig ihre Kindheit in der deutsch-slowenischen Kleinstadt Celje/Cilli. Sie kommt linksseitig gelähmt und mit „Wasserkopf“ zur Welt, was ihre eitle Mutter zu stetigen körperlichen und seelischen Quälereien und Optimierungsversuchen im Namen der Schönheit veranlasst. Zum deutlich älteren Vater hat Alma ein gutes Verhältnis, als dieser stirbt, ist das Mädchen jedoch gerade einmal acht Jahre alt – und fortan ohne Vertrauten. Ihr Eigenwille und ihre Empfindsamkeit lassen sie in der damaligen Gesellschaft anecken. Sie verweigert sich dem obersten Grundsatz ihrer Umgebung („Das schickt sich nicht!“) und entwickelt eine eigene, zeituntypische Vorstellung eines erfüllten Lebens.
Anstatt sich dem traditionellen Frauenbild zu fügen, konzentriert sie sich auf den Ausbau ihrer intellektuellen Fähigkeiten und ihrer Sprachbegabung. Dem unbändigen Drang folgend der Enge ihrer Heimat (und dem nationalen Konflikt zwischen Deutschen und Slowenen) zu entfliehen, reist die 18-jährige Alma schließlich nach London. Dort legt sie nach längerer Tätigkeit als Übersetzerin Examina in acht verschiedenen Sprachen ab, verfügt zudem noch über Kenntnisse in drei weiteren Fremdsprachen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs muss sie England verlassen und reist weiter nach Norwegen und Schweden. Doch auch hier verweilt sie nicht lange: Am 24. September 1919 bricht Alma Karlin zu ihrer großen Weltreise auf. Acht Jahre lang wird diese dauern. Sie reist stets allein und mit wenig finanziellen Mitteln. Im Laufe ihrer Erkundungen ist sie vielen Unwägbarkeiten ausgesetzt - von Hunger, Krankheiten, Mord- und Vergewaltigungsversuchen gezeichnet, kehrt sie schließlich physisch und psychisch stark mitgenommen in ihre Heimat zurück. Dennoch tief erfüllt von ihren Erfahrungen und Erlebnissen beginnt sie sogleich mit deren Niederschrift.
Alma Karlin erlangte durch ihre Werke „Einsame Weltreise“ und „Im Banne der Südsee“ große Berühmtheit als Reiseschriftstellerin. Die politischen Gegebenheiten ersticken ihren Erfolg jedoch im Keime. Der ideologiefreien Erziehung ihres Vaters Rechnung tragend wird Karlin zu einer entschiedenen Gegnerin des Nationalsozialismus, sie bietet jüdischen Flüchtlingen Unterschlupf und unterstützt sie mit eigenen finanziellen Mitteln. Später schließt sie sich dem slowenischen Widerstand an. Ihre Bücher werden daraufhin unter dem Nationalsozialismus verboten, hunderte ihrer Geschichten und Gedichte bleiben unveröffentlicht. Im Jahr 1950 stirbt Alma Karlin - verarmt, krank und weitestgehend vergessen. Seit dem Erscheinen einer Monographie über ihr Leben im Jahre 2009 ist sie wieder ins Augenmerk der Literaturwelt gerückt und so erfahren ihre Werke glücklicherweise zunehmend die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Besprechung: Donata Kleindienst
AvivA Verlag, Berlin 2018. 320 Seiten.
Bei Buch7 kaufen
5% des Einkaufspreises gehen an TERRE DES FEMMES
Mira Siegel, Manuela Schon, Arian Panther, Caroline Werner, Huschke Mau (Hrsg.)
Störenfriedas. Feminismus radikal gedacht.
Bisher sind die „Störenfriedas“ dem Patriarchat mit ihren Beiträgen im gemeinsamen „radikal-feministischen“ Blog in die Quere gekommen. Mit ihm wollen sie „stören, aufrütteln und manches Mal auch verstören und vielleicht mit jedem Mal die Welt ein kleines bisschen besser machen“. Mit ihrem neuen, analogen Medium, dem vorliegenden Buch, dürften sie Ähnliches erreichen.
Sie bescheinigen der Gesellschaft eine fest verankerte sexistische Grundhaltung. Diese manifestiert sich – oft kaum als solche wahrgenommen - in ungleichen Redeanteilen von Frauen und Männern in Fernsehsendungen; zeigt die Frau offen als Sexualobjekt auf Werbeplakaten, nimmt von ihr Besitz in der Prostitution.
Schon die ersten Kapitel des Buches demaskieren das Patriarchat, werfen einen Blick auf die Anfänge der Frauenbewegung während der Französischen Revolution, führen durch die unterschiedlichen Strömungen des Feminismus, wie etwa dem „Postfeminismus“ oder „sex-positiven Feminismus“.
Wie haben sich die Frauenrechte im Laufe der Geschichte gewandelt? Wie hat sich die Situation der Frauen verändert? Auch dazu liefern die Autorinnen klärende Beiträge. So werden etwa die gesellschaftlichen Bedingungen für die Frauen während des Ersten und Zweiten Weltkrieges thematisiert. Welche Rolle spielten die Frauen für den Wiederaufbau nach Kriegsende?
Ein Hauptaugenmerk liegt vor allem auf den unterschiedlichen Aspekten von sexualisierter und kommerzialisierter Gewalt in der Sexindustrie. Dabei werden Zusammenhänge von patriarchaler Gewalt und Kapitalismus aufgedeckt, aber auch wie Rassismus und Sexismus fester Bestandteil dieses Systems sind.
Radikalfeministisch wird auch über den Frauenkörper, über Mutterschaft reflektiert.
„Wie könnte eine Gesellschaft jenseits von geschlechtlicher Unterdrückung aussehen?“ Diese visionäre Frage schwebte den Verfasserinnen wohl als Leitmotiv vor; immer wieder schimmert sie in aufgezeigten Lösungsansätzen und Alternativen in den Beiträgen durch.
Manche Texte beruhen auf persönlichen Erfahrungen, was die „Störenfriedas“ zu einem sehr persönlichen Buch macht.
Books on Demand, 2018. 556 Seiten.
Bei Buch7 kaufen
5% des Einkaufspreises gehen an TERRE DES FEMMES
Maria Braig
Das heimliche Mädchen und der Dancing Boy
Nachdem ihr Vater beim Minensuchen in Afghanistan tödlich verunglückt ist, muss sich die 13-jährige Shirin alleine um ihre Geschwister und die Mutter kümmern. Denn für Frauen ist im ländlichen Afghanistan meistens der Haushalt vorbehalten und ohne männliche Begleitung können sie sich kaum in der Öffentlichkeit bewegen. Die Mutter sieht deshalb nur eine einzige Möglichkeit, um die Existenz der Familie zu sichern - Shirin muss sich als Junge verkleiden, um einer Arbeit nachgehen zu können und sich so auch vor sexuellen Übergriffen zu schützen.
Die Rolle des Jungen muss sie sich aber erst aneignen. So muss Shirin zum Beispiel erst lernen, laut zu sprechen und selbstbewusst zu laufen, was bei Mädchen unerwünscht ist. Mit ihren Cousins und ihrem Onkel spielt sie dafür verschiedene Situationen im Alltag durch, in denen sie sich als Junge anders verhalten muss.
Für Shirin beginnt damit eine schwere Zeit. Das junge Mädchen übernimmt die gesamte Verantwortung für die Familie, aufgrund ihrer Arbeit kann sie nicht mehr in die Schule gehen. Dank ihrer Willensstärke und ihres Mutes schafft sie es dennoch, sich in ihr neues Leben einzufinden.
Die Autorin nutzt den „Geschlechtertausch“, um über die männlichen und weiblichen Rollenbilder im patriarchalen Afghanistan nachzudenken.
Als Shirin schließlich einen Job als Teejunge auf einem Basar beginnt, lernt sie Faruk kennen. Mit ihm freundet sie sich an und erfährt von seiner Geschichte, die von Gewalt und sexuellem Missbrauch geprägt ist - denn er ist ein sogenannter Dancing Boy: einer der Jungen, die in der Kinderprostitution gefangen sind und meistens einem bestimmten Mann vollständig „gehören“.
Im Laufe der Zeit spitzt sich die Situation von Shirin und Faruk soweit zu, dass sie eine Entscheidung treffen müssen, die viel Mut abverlangt.
Maria Braig hat vor allem einen Roman über Emanzipation und Freundschaft geschrieben und spiegelt dabei immer auch die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan wieder. Mit Shirin und Faruk erleben wir den Alltag in einer Gesellschaft, in der Familien auf den Schutz eines männlichen Oberhauptes angewiesen und Frauen kaum in der Lage sind, für den Unterhalt ihrer Familien zu sorgen. Sie zeichnet das Bild einer Gemeinschaft, in der eine Selbstverwirklichung von Frauen nicht vorgesehen ist. Die beiden Protagonisten bleiben trotz allem optimistisch, hoffnungsvoll und lebendig und stellen sich den Aufgaben. Dieser Roman sei jedem Jugendlichen ans Herz gelegt!
Selbstverlag, Osnabrück 2017. 300 Seiten. 13 €
Koschka Linkerhand (Hrsg.)
Feministisch streiten
Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen
Beim heute „hegemonial“ wirkenden Queer-Feminismus habe man es „mit einem Feminismus zu tun, dem das politische Subjekt Frau abhandengekommen ist“, hält Koschka Linkerhand, Herausgeberin des Bandes „Feministisch streiten“, treffend fest. Dies belegen die Herausgeberin und ihre 19 MitautorInnen – darunter ein Autorinnenkollektiv und ein profeministischer Autor – durch mutige, kluge und engagierte Texte, die gerade auch die für Frauenrechte Aktive motivieren könnten, sich zur eigenen Inspiration der feministischen Theoriebildung neu zuzuwenden.
Umgekehrt sind einige Beiträge im Band gerade aus der feministischen und frauenrechtlichen Praxis heraus nachvollziehbar, spiegeln diese doch die Leerstellen wieder, die manch queer-/feministische Mode der vergangenen zwei Jahrzehnte hinterlassen hat. Der analytischen Kritik unterzogen werden der Verrat am Universalismus von Emanzipation und Frauenrechten, wie er sich etwa in der queer-feministischen Relativierung patriarchaler Zumutungen im Islam artikuliert oder auch in der heute gängigen Verklärung von Prostitution zu selbstbestimmter, ja „Empowerment“ versprechender Sexarbeit wiederspiegelt. Als relevantes Problem und eine Art roten Faden zur Erklärung dieser Phänomene beleuchtet der Band dazu den verkürzten, einseitigen Rückzug auf Identitätspolitik, die zwar mannigfaltige (marginalisierte) geschlechtliche und sexuelle Identitäten, aber keine Frauen mehr kenne – allenfalls in der obligatorischen Gender*-Sternchen-Variante, welche die Zwänge der realexistierenden patriarchalen Zwei-Geschlechter-Verhältnisse mehr verschleiern denn aufklären helfe. Dazu widmet sich die Kritik in einem eigenen Themenabschnitt dem v. a. in der Praxis nicht eingelösten, überhöhten (Selbst-)Anspruch der „Intersektionalität“, angeblich alle Kategorien der Hierarchisierung, Benachteiligung und Diskriminierung mitzudenken – was verlässlich immer dann zuungunsten weiblicher Emanzipation scheitere, wenn es um Patriarchat, Traditionen oder Sexismus geht und der Verweis auf kulturelle respektive religiöse Identitäten besondere „Sensibilität“ einfordere.
Die Beiträge verweisen allesamt auf Perspektiven, progressive Gesellschaftskritik und identitätspolitische Leidenschaft im Feminismus wieder zusammenzudenken, - um von und für Frauen(rechte) und die weibliche Emanzipation von patriarchalen Zumutungen und Gewalt zu streiten. Dafür müssten in der feministischen Politik wie Praxis zwar einerseits Differenzen unter Frauen anerkannt, ausgehalten und integriert, vor allem aber das programmatische Ideal der Gleichheit – politisch, ökonomisch und sozial – weiter gedacht und verfolgt werden. Hervorzuheben ist der allen Beiträgen eigene, selbstkritische Zugang, der mit jahrelangen Missständen innerhalb des Feminismus schonungslos abrechnet, ohne seinerseits bloß in eine generalisierte Abrechnung zu verfallen. Die Kritiken fallen allesamt theoretisch versiert, nah am jeweiligen Sujet der Kritik, ausführlich belegt und gegenstandsbezogen aus, und bleiben auch im Tenor vom Verständnis für die Widersprüche von Frauenpolitik und feministischen Interventionen getragen – ohne deshalb auf eine klare Analyse und, wo nötig, deutliche Kritik zu verzichten.
Besprechung: Melanie Götz
Querverlag, Berlin 2018. 328 Seiten.
Bei Buch7 kaufen
5% des Einkaufspreises gehen an TERRE DES FEMMES