Chinas Frauen kämpfen um die Hälfte des Himmels

Anlässlich der Eröffnung einer feministischen Kunstausstellung mit dem Titel „Bald Girls“ Anfang März 2012 wurde die Geschäftsführerin von TERRE DES FEMMES, Christa Stolle, nach Peking eingeladen. Thematisiert wird in der Ausstellung die Situation von Frauen in China, und ihre (sexuelle) Identität. Im Rahmen der Ausstellung fand ein feministisches Symposium zu dem Thema „Feminismus weltweit“ statt, in dessen Rahmen Christa Stolle eine Rede über die Neue Deutsche Frauenbewegung ab 1968 hielt.

Dies nahmen wir uns zum Anlass, zu erfahren, wie es in dem Land, das immerhin jede 5. Frau auf der Welt beherbergt, um deren Rechte steht. Beim Googeln der Schlagworte „Frau“ und „China“ erscheinen als erstes vier Homepages von Partnervermittlungsagenturen. Soll das etwa der halbe Himmel sein?

Christa Stolle (ganz links) auf dem Podium des SymposiumsChrista Stolle (ganz links) auf dem Podium des SymposiumsAuffällig ist, dass China zu den wenigen Ländern gehört, in denen sich die Lage für Frauen tendenziell eher verschlechtert als verbessert. Dabei sind es die altbekannten Faktoren, die das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bedingen. In den Köpfen der Menschen sind stereotype Geschlechterrollen wieder tief verankert. Laut einer Studie aus dem Jahr 2010 stimmen 62% der Männer und 55% der Frauen der Aussage zu, dass Frauen ins Haus gehören und Männer in die berufliche Öffentlichkeit. Es fällt auf, dass die  Prozentzahlen im Vergleich zum Jahre 2000 gestiegen sind. Dementsprechend ist die Erwerbstätigenquote von Frauen in den letzten Jahren gesunken.

Im Durchschnitt verdienen Frauen auf dem Land 56% und in der Stadt 67% weniger als Männer. Daher ist die ökonomische Situation von vielen Frauen miserabel. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der unbereinigte Gender Pay Gap zurzeit bei 23%. Auch das gerechte politische Mitspracherecht fehlt: Politische Einflussnahme ist fast nur Männern vorbehalten, auf 27 Minister kommen drei Ministerinnen. Lediglich 21,33% der Abgeordneten sind weiblich.

Eine verheerende Folge der Ein-Kind-Politik stellt die massenhafte Abtreibung von weiblichen  Föten dar, die viele Eltern nach einer illegal praktizierten Ultraschalluntersuchung zur Festestellung des Geschlechts vornehmen lassen. So werden auf 118 Jungen nur 100 Mädchen geboren, der biologische Durchschnitt liegt eigentlich bei 105 geborenen Jungen zu 104 Mädchen. Diese schreckliche Praxis ist ein Symptom für das niedrige gesellschaftliche Ansehen und die schlechte Stellung, die chinesische Frauen in ihrem Land innehaben.

Die Journalistin Kirsten Didi Tatlow, die seit vielen Jahren im Einparteiensystem China lebt und unter anderem für die New York Times schreibt, ist eine Kennerin der lokalen Frauenszene. Sie erklärt, dass die regierende Elite aus Angst vor Machtverlust aktiv gegen  Individuen, die ihre Rechte einfordern, vorgehe. So auch gegen Feministinnen und Feministen. Die Machthaber schreiten ein, mit teilweise gewaltsamen Drohungen, Überwachung und Abhören von Telefonen, also den typischen Repressionsmitteln, die das Repertoire eines totalitären Staates bietet. Dies funktioniert zum Beispiel so: Die Frauenrechtlerin Ms. Liu, die sich für politische Mitspracherechte von Frauen einsetzt, wurde eines Tages auf ihrem Nachhauseweg niedergeschlagen. Die Täter sind bis heute unbekannt. Doch die Frauen geben nicht auf, auf ihre Situation aufmerksam zu machen und sich für ihre Rechte einzusetzen.

So war auch Christa Stolle von der Ausstellung „Bald Girls“ und dem Mut der Frauen beeindruckt. Es gelang den feministischen Künstlerinnen, eine provokante und mutige Kunstausstellung zu gestalten, auch wenn die Regierung einige Bilder zensierte. Die Geschäftsführerin von TERRE DES FEMMES lobt die Lebendigkeit der Kunstszene, die trotz aller Widrigkeiten nicht klein beigibt.

Auch am Valentinstag, dem Tag der Liebe, gab es kreative Proteste. Weißgekleidete Frauen demonstrierten mit Sprüchen wie „Liebe ist keine Entschuldigung für Gewalt“ gegen häusliche Gewalt. Diese gehört in vielen chinesischen Haushalten zum Alltag. Ein Drittel aller chinesischen Frauen hat offiziell schon unter häuslicher Gewalt gelitten. Doch die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Viele Frauen thematisieren derartige Vorfälle nicht, und schweigen lieber, um den eigenen Ruf nicht zu beschädigen. Denn dieser gilt bei der chinesischen Bevölkerung als sehr wichtig. Es gibt kaum Institutionen, die Betroffenen Schutz bietet. Umso mutiger sind Frauen wie Feng Yuan, die bei dem einzigen Netzwerk gegen häusliche Gewalt arbeitet. Sie unterstützt unter anderem einen sehr prominenten Fall. Die Ehefrau von Li Yang, einem sehr bekannten Englisch-Lehrer in China, dem Erfinder von „Crazy English“, prangerte ihn öffentlich an und postete im Internet Fotos von ihrem geschundenen Körper. Der Fall erregte das öffentliche Interesse und trug so maßgeblich dazu bei, die Einführung eines Gesetzes gegen häusliche Gewalt wieder in die Diskussion zu bringen. Denn, wie Li Yangs Ehefrau es formuliert: „Domestic violence is not culture. Domestic violence is a crime.“

Paradox, dass ausgerechnet das Gastgeberland der vierten Weltfrauenkonferenz, die 1995 in Peking stattfand, noch so einen weiten Weg zurückzulegen hat, bis den Frauen endlich der halbe Himmel gehört.


Aline Illigens
Berlin im März 2012

 

Künstlerinnen rasieren sich bei der Ausstellungseröffnung die KöpfeKünstlerinnen rasieren sich bei der Ausstellungseröffnung die Köpfe

Christa Stolle bei der AusstellungsbesichtigungChrista Stolle bei der AusstellungsbesichtigungDie Künstlerinnen Li Xinmo, Xiaolu, Lan Jiny und die Kuratorin Juan Xu (v.l.n.r.)Die Künstlerinnen Li Xinmo, Xiaolu, Lan Jiny und die Kuratorin Juan Xu (v.l.n.r.)