Berlin, 30.09.2012
TERRE DES FEMMES lehnt die vom Justizministerium vorgeschlagenen Eckpunkte zur Straflosigkeit von medizinisch nicht erforderlichen Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Jungen ab. Die Regelung soll nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages eine durch das Urteil des Kölner Landgerichts vom Mai 2012 entstandene Rechtsunsicherheit beseitigen. Allerdings werfen die Vorschläge mehr Fragen und Ungereimtheiten auf als dass sie Rechtssicherheit bieten.
TERRE DES FEMMES bedauert in diesem Zusammenhang die nicht ausgewogene Auswahl der Sachverständigen in der Anhörung vom 28.09.2012 und den Ausschluss von Betroffenen, die als Erwachsene über ihre traumatischen Erlebnisse reden wollten.
Die Abwägung zwischen grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern der körperlichen Unversehrtheit und des Kindeswohls, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung ist dabei zu Lasten des Kindes erfolgt.
Das Recht der Eltern, in eine medizinisch nicht notwendige Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen, stellt das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht hinten an. Eine Beschneidung ist ein irreversibler Eingriff in das Kindeswohl, der verbunden ist mit Narkoserisiken, Nachblutungen, Schmerzen bis hin zu teils lebenslangen seelischen Schäden. Männliche Kinder diesen Risiken unnötig auszusetzen, ist u.E. unverantwortlich.
Obwohl im Entwurf nicht explizit auf die religiös motivierte Beschneidung abgestellt wird, stellen die nachfolgenden Regelungen (in den ersten sechs Monaten nach der Geburt dürfen von der Religionsgemeinschaft dazu vorgesehene Personen den Eingriff vornehmen, ohne Arzt zu sein) auf religiöse und traditionelle Vorstellungen ab.
Die Durchführung der Beschneidung durch Nichtmediziner bedeutet aber auch den Verzicht auf Betäubung. Die im Entwurf enthaltene Bestimmung „im Einzelfall gebotene und wirkungsvolle Schmerzbehandlung“ wird dadurch ad absurdum geführt und stellt eine Ungleichbehandlung der Kinder nach Alter dar.
TERRE DES FEMMES erkennt keine Gründe, die den immer schmerzhaften Eingriff für ein Kind bis zu sechs Monaten ohne Betäubung vorsieht, während ältere Kinder diese durch einen ausgebildeten Arzt erhalten können. Dass die umfassende Aufklärung der Eltern über den Eingriff und seine Folgen durch den Beschneider erfolgen soll, ist bei Medizinern schon heute der Fall. Wie diese Regelung Personen, die durch eine Religionsgemeinschaft dazu vorgesehen sind, erfüllen werden, ist unklar und nicht überprüfbar.
Der Verzicht auf die ausdrücklichen Regelungen einer religiösen Beschneidungen hat zudem unerwünschte Nebeneffekte, indem er auch Beschneidungen aus sogenannten hygienischen Gründen oder aus Präventionsgründen gegen Prostatakrebs straffrei stellt. TERRE DES FEMMES geht es als Menschenrechtsorganisation grundsätzlich um die körperliche Unversehrtheit von Kindern als Menschenrecht, das für alle Kinder gleichermaßen gilt, egal welcher Herkunft, Religion und welchen Geschlechts sie sind. Irreversible Eingriffe in die Unversehrtheit von Kindern – mit Ausnahme medizinisch notwendiger Behandlungen dürfen weder mit Religion noch Tradition gerechtfertigt werden. Menschenrechte sind nicht teilbar – auch nicht zwischen Mädchen und Jungen.
Dieser Gleichheitsgrundsatz wird jedoch verletzt, wenn ein Gesetz nur für männliche Kinder erlassen wird. Natürlich kann die zu Recht als gefährliche Körperverletzung verbotene weibliche Genitalverstümmelung (FGM) von der Art des Eingriffs und seiner Folgen mit der männlichen Beschneidung nicht verglichen werden. Alle Formen von FGM werden inzwischen international als zu verurteilender, folterähnlicher körperlicher Eingriff mit schwerwiegenden medizinischen und psychologischen Folgen für die Betroffenen angesehen. Es gibt jedoch die schafiitische islamische Rechtsschule, die bei den Jungen die Vorhautbeschneidung und den Mädchen die Klitorisvorhautbeschneidung vornimmt. Diese Formen sind durchaus vergleichbar. Wie ist es muslimischen Eltern zu erklären, dass das, was bei ihrem Sohn erlaubt ist, bei ihrer Tochter strafbar ist. Eine Studie der EU in Großbritannien kommt zu dem Ergebnis, dass islamische Eltern es nicht verstehen und daher auch die Töchter „beschneiden“ lassen.
TERRE DES FEMMES sieht hier eine Verletzung des Gleichheitsgebots unserer Verfassung. Daneben besteht durch die Legalisierung der Jungenbeschneidung zugleich die Gefahr, dass in den Gebieten, in denen die schafiitische Rechtsschule dominiert, der Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung behindert wird. Auch deshalb fordern wir, auch die Jungenbeschneidung gesetzlich zu verbieten, da man keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern machen darf, sondern Gleichberechtigung schaffen muss.
Männlichen Kindern darf das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung nicht abgesprochen werden. Sie sollen, wenn sie alt genug sind, selbst entscheiden dürfen, ob sie beschnitten werden möchten oder nicht. Das Recht der Eltern auf Religionsausübung wird durch ein Verbot der männlichen Beschneidung nicht beeinträchtigt, wenn sie auf die Entscheidung des Sohnes warten müssen.
Seit knapp 30 Jahren setzt TERRE DES FEMMES sich für ein weltweites Ende weiblicher Genitalverstümmelung ein und fordert in Deutschland einen eigenen Straftatbestand zu dieser schweren Menschenrechtsverletzung wie ihn bereits zahlreiche europäische Staaten eingeführt haben. Leider hat sich der Deutsche Bundestag, obwohl entsprechende Vorschläge auch vom Bundesrat vorliegen, bisher nicht zu einem solchen Gesetz entschließen.