Zusammenfassung des zivilgesellschaftlichen Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
Erarbeitet von Prof. Dr. Friederike Wapler, Prof. Dr. Maria Wersig und Prof. Dr. Liane Wörner, Berlin, 17.10.2024
Der vorliegende Gesetzentwurf versteht sich als Impuls an den Gesetzgeber zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs im deutschen Recht. Der gemäß den gesetzlichen Regelungen vorgenommene Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der schwangeren Person und nach medizinischer Indikation wird danach rechtmäßig und straffrei gestellt. Die Kosten werden von den
gesetzlichen Krankenkassen getragen. Die Voraussetzungen zur Durchführung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs und ärztliche Pflichtverletzungen werden nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt.
Schwangere haben einen Rechtsanspruch auf eine umfassende ergebnisoffene psychosoziale Beratung zu Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch im Rahmen eines inklusiv und
niedrigschwellig ausgestalteten Beratungsangebots seitens für diesen Zweck anerkannter Beratungsstellen. Auf diesen Anspruch haben Ärzt*innen und Fachkräfte in der medizinischen und geburtshilflichen Versorgung Schwangere hinzuweisen.
In der frühen und mittleren Phase der Schwangerschaft (bis einschließlich der abgeschlossenen 22. Schwangerschaftswoche p.c.) steht die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft in der Entscheidungsfreiheit der schwangeren Person. Die Beendigung einer
Schwangerschaft auf ihr Verlangen wird in diesem Zeitraum rechtmäßig gestellt. Sie hat einen Rechtsanspruch auf Zugang zum Schwangerschaftsabbruch, auf psychosoziale Beratung und bei
Bedarf auf Sprachmittlung. Die bisherige Beratungspflicht und die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch entfallen.
Der Abbruch einer Schwangerschaft nach Ende der 22. Woche p.c. ist wie nach bisheriger Rechtslage bei Vorliegen einer medizinischen Indikation nach ärztlicher Feststellung rechtmäßig erlaubt. Näheres ist im ärztlichen Berufsrecht und in Leitlinien zu regeln.
Bisherige Fallgestaltungen der kriminologischen Indikation gehen im rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der schwangeren Person auf oder fallen ggf. unter die medizinische Indikation. Deshalb entfällt die kriminologische Indikation.
Der Straftatbestand “Schwangerschaftsabbruch“ mit den Folgeregelungen in §§ 218 bis 219b StGB wird insgesamt aufgehoben. In § 218 StGB werden stattdessen Schwangerschaftsabbrüche, die ohne oder der gegen den Willen der schwangeren Person stattfinden, unter Strafe gestellt. In § 240 StGB tritt neben die bisher schon geregelte strafbare Nötigung zu einem Schwangerschaftsabbruch die Nötigung, einen Abbruch zu unterlassen.
Der Sicherstellungsauftrag der Länder in Bezug auf die Anerkennung und öffentliche Förderung von Beratungsstellen und das Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen bleibt bestehen. Zur Sicherstellung von kostenfreien analogen sowie digitalen Informationen sowie psychosozialen Beratungsangeboten in variablen Beratungssettings werden die Träger der anerkannten Beratungseinrichtungen auskömmlich
öffentlich finanziert, was die Kosten für die Sprachmittlung miteinschließt.
Der Gesetzentwurf basiert auf den Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die im April 2024
ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. In Bezug auf Sachverhalte, zu denen die Kommission für die Ausgestaltung von Regelungen verfassungsrechtlich abgesicherte Gestaltungsspielräume ausweist, orientieren sich die vorgeschlagenen Regelungen an den Empfehlungen internationaler Menschenrechtsgremien an Deutschland als Vertragsstaat internationaler Menschenrechtsverträge und an den maßgeblichen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation.An weiteren Aspekten der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, zu denen der Kommissionsbericht keine Empfehlungen enthält, nimmt dieser Gesetzentwurf keine Änderungen vor. So bleibt es etwa bei der Möglichkeit für Ärzt*innen, die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs zu verweigern
ARTIKEL 1 Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
SchKG v. 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398), zuletzt durch Art. 3 G v. 11.7.2022 (BGBl. I S. 1082) geändert
§ 5 Anspruch auf psychosoziale Beratung zu Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch
(1) Jede Schwangere hat das Recht, sich vor ihrer Entscheidung über die Fortsetzung einer Schwangerschaft in einer hierfür vorgesehenen psychosozialen Beratungsstelle informieren und beraten zu lassen. Die Beratung erfolgt auf Wunsch der Schwangeren. Sie findet ergebnisoffen statt. Die Beratung dient dazu, die Schwangere in ihrer selbstbestimmten Entscheidungsfindung zu unterstützen und ihr bei Bedarf weitere Beratungsangebote, Informationen und Hilfen zu vermitteln. Ärztinnen und Ärzte und Fachkräfte in der medizinischen und geburtshilflichen Versorgung sind verpflichtet, bei jeder Feststellung einer Schwangerschaft die Schwangere über ihren Anspruch auf Beratung nach
diesem Gesetz hinzuweisen.
(2) Die Beratung umfasst auf Wunsch der Schwangeren:
1. die Erörterung der Problem- und Lebenslagen, derentwegen die Schwangere einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt, und die Erörterung der sozialen, wirtschaftlichen bzw. partnerschaftlich-familiären
Lebenssituation;
2. medizinische, soziale und juristische Informationen, die Darlegung der Rechtsansprüche von Schwangerer, Eltern und Kind und der möglichen praktischen Hilfen, auch solcher, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage der Schwangeren, der Eltern und des Kindes erleichtern könnten;
3. das Angebot, die Schwangere bei der Geltendmachung von Ansprüchen, insbesondere bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach Betreuungsmöglichkeiten für das Kind und eventuelle weitere Kinder und bei der Fortsetzung ihrer Ausbildung und Berufstätigkeit zu unterstützen, sowie das Angebot einer Nachbetreuung.
4. Möglichkeiten, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, und eventuelle Hilfen bei der Finanzierung von Verhütungsmitteln.
(3) Wünscht die Schwangere nach dem Beratungsgespräch eine Fortsetzung dieses Gesprächs, soll diese unverzüglich erfolgen.
(4) Die Schwangere kann auf ihren Wunsch gegenüber der sie beratenden Person anonym bleiben.“
§ 6 Durchführung der psychosozialen Beratung zu Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch
(1) Eine ratsuchende Schwangere ist unverzüglich zu beraten. Das Beratungsangebot ist inklusiv und niedrigschwellig
auszugestalten. Jede Schwangere hat einen Anspruch auf Sprachmittlung.
(2) Die Beratung hat durch eine nach § 9 anerkannte Beratungsstelle zu erfolgen.
(3) Soweit von der ratsuchenden Person gewünscht, sind zur Beratung hinzuziehen:
1. andere, insbesondere ärztlich, fachärztlich, geburtshilflich, psychologisch, sozialpädagogisch, sozialarbeiterisch
oder juristisch ausgebildete Fachkräfte,
2. Fachkräfte mit besonderer Erfahrung in der Frühförderung behinderter Kinder und
3. andere Personen, insbesondere An- und Zugehörige.
(4) Die Beratung ist für die Schwangere und die nach Absatz 3 Nr. 3 hinzugezogenen Personen unentgeltlich.“
(2) Die Beratung umfasst auf Wunsch der Schwangeren:
1. die Erörterung der Problem- und Lebenslagen, derentwegen die Schwangere einen Abbruch der
Schwangerschaft erwägt, und die Erörterung der sozialen, wirtschaftlichen bzw. partnerschaftlich-familiären
Lebenssituation;
2. medizinische, soziale und juristische Informationen, die Darlegung der Rechtsansprüche von Schwangerer, Eltern
und Kind und der möglichen praktischen Hilfen, auch solcher, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die
Lage der Schwangeren, der Eltern und des Kindes erleichtern könnten;
3. das Angebot, die Schwangere bei der Geltendmachung von Ansprüchen, insbesondere bei der Wohnungssuche,
bei der Suche nach Betreuungsmöglichkeiten für das Kind und eventuelle weitere Kinder und bei der Fortsetzung
ihrer Ausbildung und Berufstätigkeit zu unterstützen, sowie das Angebot einer Nachbetreuung.
4. Möglichkeiten, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, und eventuelle Hilfen bei der Finanzierung von
Verhütungsmitteln.
(3) Wünscht die Schwangere nach dem Beratungsgespräch eine Fortsetzung dieses Gesprächs, soll diese
unverzüglich erfolgen.
(4) Die Schwangere kann auf ihren Wunsch gegenüber der sie beratenden Person anonym bleiben.“
§ 6 Durchführung der psychosozialen Beratung zu Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch
(1) Eine ratsuchende Schwangere ist unverzüglich zu beraten. Das Beratungsangebot ist inklusiv und niedrigschwellig
auszugestalten. Jede Schwangere hat einen Anspruch auf Sprachmittlung.
(2) Die Beratung hat durch eine nach § 9 anerkannte Beratungsstelle zu erfolgen.
(3) Soweit von der ratsuchenden Person gewünscht, sind zur Beratung hinzuziehen:
1. andere, insbesondere ärztlich, fachärztlich, geburtshilflich, psychologisch, sozialpädagogisch, sozialarbeiterisch
oder juristisch ausgebildete Fachkräfte,
2. Fachkräfte mit besonderer Erfahrung in der Frühförderung behinderter Kinder und
3. andere Personen, insbesondere An- und Zugehörige.
(4) Die Beratung ist für die Schwangere und die nach Absatz 3 Nr. 3 hinzugezogenen Personen unentgeltlich.“
§ 12 Recht auf Schwangerschaftsabbruch
(1) Die Fortsetzung einer Schwangerschaft steht in der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren. Beratung nach § 5 und §
6 steht ihr jederzeit offen. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch.
(2) Der Schwangerschaftsabbruch ist rechtmäßig, wenn
1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt,
2. der Schwangerschaftsabbruch durch eine nach § 13 vorgesehene Einrichtung vorgenommen wird und
3. seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen vergangen sind.
(3) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist auch rechtmäßig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die
Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
(4) Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Dies gilt nicht, wenn die Mitwirkung notwendig ist, um von der Schwangeren eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden.“
ARTIKEL 2 Änderung des Strafgesetzbuches StGB v. 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt durch Art. 2 G v. 30.7.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 255) geändert:
§ 218 Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren (1) Wer wenigstens leichtfertig eine Schwangerschaft gegen oder ohne den Willen der Schwangeren abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
(2) Auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1. absichtlich oder wissentlich handelt, oder
2. die Schwangere durch die Tat leichtfertig in die Gefahr des Todes bringt oder eine schwere Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Die Tat wird in den Fällen des Absatz 1 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.