TERRE DES FEMMES (TDF) setzt sich seit 2014 nachdrücklich für ein Verbot von Frühehen ein. Somit war das Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen am 22. Juli 2017 ein großer Schritt im Kampf gegen diese Menschenrechtsverletzung und signalisierte die hohe Priorität des Kindeswohls in Deutschland. Durch das Gesetz wurde das Mindest-Heiratsalter ausnahmslos auf 18 Jahre festgelegt. Es gibt daher seit drei Jahren in Deutschland auch nicht mehr die Möglichkeit, durch die Zustimmung eines Gerichts im Alter von 16 oder 17 Jahren eine Ehe einzugehen. Außerdem gelten diese Regelungen auch hinsichtlich Eheschließungen von Minderjährigen im Ausland. Diese sind in Deutschland entweder unwirksam (unter 16 Jahren) oder aufhebbar (im Alter von 16 oder 17 Jahren).
Nun drei Jahre später soll von Seiten der Bundesregierung die Wirksamkeit des Gesetzes evaluiert werden. TDF stellt fest, dass es in der Anwendung des Gesetzes immer noch große Schwierigkeiten gibt wodurch vor allem die Schutzfunktion des Gesetzes in der Praxis nicht wirklich verfestigt werden konnte. Dies muss schnellstmöglich verbessert werden, nicht zuletzt da Frühehen zu den weltweit verbreitetsten negativen Bewältigungsmechanismen von Krisen und Konflikten gehören. Angesichts der Corona-Pandemie erwarten die UN im kommenden Jahrzehnt 13 Millionen zusätzliche Frühehen.
Bis September 2019 wurden 813 aufhebbare Ehen gemeldet, aber nur 10 davon aufgehoben
Durch das Gesetz wurde von der Bundesregierung beschlossen, dass aufhebbare Ehen bei den dafür zuständigen Behörden, die im jeweiligen Bundesland bestimmt werden sollten, gemeldet und geprüft werden. Nach umfassender Prüfung sind diese daraufhin dazu verpflichtet, ein Verfahren zur Aufhebung der Ehe zu beantragen. Wir haben durch die Ergebnisse zweier Umfragen aus den Jahren 2018 und 2019 jedoch festgestellt, dass nicht annähernd so viele Verfahren eingeleitet wurden wie von der Bundesregierung bei der Verabschiedung des Gesetzes vermutet wurde. Wir sehen dies als klaren Hinweis darauf, dass die Anwendung des Gesetzes unzureichend erfolgt.
Einerseits liegt dies an einer Ausnahmeregelung für EU-Staatsangehörige, die dringend eingeschränkt werden muss, um eine eingehendere Prüfung des Kindeswohls sicherzustellen. Ein weiterer Grund der niedrigen Aufhebungszahl ist die Möglichkeit, die Ehe mit Eintritt der Volljährigkeit zu bestätigen.
Weiterhin können die niedrigen Fallzahlen dadurch erklärt werden, dass nicht in jedem Bundesland die Zuständigkeiten klar vergeben sind. Allgemein werden aufhebbare Ehen nur sehr einseitig gemeldet, überwiegend von Standesämtern. TDF fordert daher eine Meldepflicht der Ausländerbehörde, wodurch schon bei der Einreise verheirateter Minderjähriger die zuständige Behörde sowie im besten Fall auch das Jugendamt darüber in Kenntnis gesetzt werden.
Die Unwirksamkeit von Ehen sowie das Verbot von religiösen Voraustrauungen von Minderjährigen gerät in den Hintergrund
Genauso wie es fehlende Statistiken über die Aufhebungsverfahren von Frühehen gibt, fehlen auch Zahlen hinsichtlich der Unwirksamkeit von Ehen. Durch die daraus resultierende Wissenslücke gehen wir zunehmend davon aus, dass der beabsichtigte Schutz des Kindeswohls in vielen Fällen nicht umgesetzt wird. Hier ist ebenfalls die Unsicherheit vieler SozialarbeiterInnen oder anderer Menschen, die mit minderjährigen Verheirateten in Kontakt treten, ein ausschlaggebender Grund. Hier könnte weitere Unterstützung in Form von Schulungen oder Informationsmaterialien für die Betroffenen, aber auch für weitere Involvierte wie das Jugendamt oder die SozialarbeiterInnen helfen.
Zudem konnte TDF beobachten, dass das Verbot der religiösen Voraustrauung für Minderjährige keine Auswirkungen auf diese Praxis hat. Die Ahndung als Ordnungswidrigkeit besitzt keinen abschreckenden Charakter für die involvierten Personen. Gerade Minderjährige werden durch den Druck der Familie und der kulturellen Traditionen früh- bzw. zwangsverheiratet. Daher nimmt die Häufigkeit religiöser Voraustrauungen in Deutschland weder ab noch hat sie an Bedeutung in den kulturellen und familiären Kreisen der Minderjährigen verloren.
TERRE DES FEMMES setzt sich weiterhin dafür ein, dass Mädchen und Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen und frei entscheiden können. Im Rahmen von Schulprojekten in Berlin und Baden-Württemberg werden Mädchen und Jungen u.a. für das Thema Zwangs- und Frühehen sensibilisiert. Mit dem neuen EU-Projekt CHAIN, welches ab September starten wird, verknüpft TDF zusammen mit Partnerorganisationen aus Frankreich, Italien, Spanien und Belgien Präventionsmaßnahmen zu FGM (weiblicher Genitalverstümmelung) und EFM (Früh- und Zwangsverheiratung). Durch die Ausbildung von Community Trainers und die Erarbeitung von Interventionsketten in vier europäischen Städten (Berlin, Madrid, Mailand, Paris) trägt CHAIN zur Aufklärung in den Communities und zur effizienteren Unterstützung von Betroffenen bei.
Hier können Sie weitere, detailliertere Informationen finden:
- Pressemitteilung: TERRE DES FEMMES stellt fest, dass Frühehen trotz Verbot nach wie vor ein ungelöstes Problem in Deutschland sind.
- Einschätzung von TERRE DES FEMMES e.V. zur Wirksamkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen drei Jahre nach Inkrafttreten (PDF-Datei)
- Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (PDF-Datei)
- United Nations Population Fund: Impact of the COVID-19 Pandemic on Family Planning and Ending Gender-based Violence, Female Genital Mutilation and Child Marriage
- Umfragen zur Umsetzung des Gesetzes von TERRE DES FEMMES 2018 (PDF-Datei) und 2019 (PDF-Datei)
Stand: 08/2020