Was verstehen wir unter Gewalt im Namen der Ehre?
Bei Gewalt im Namen der Ehre handelt es sich um Gewalt, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung der vermeintlichen Familienehre angewendet wird. Die verschiedenen Formen der Gewalttaten reichen von emotionaler Erpressung und psychischem Druck bis hin zu physischer und sexualisierter Gewalt. Dazu gehören auch Zwangsverheiratungen oder sogenannte Ehrenmorde.
Was verstehen wir unter Zwangsverheiratung?
Zwangsverheiratungen liegen dann vor, wenn mindestens einer der Eheleute durch die Ausübung von Gewalt oder durch Drohungen zum Eingehen einer formellen oder informellen (also durch eine religiöse oder soziale Zeremonie geschlossenen) Ehe gezwungen wird. Eine mögliche Weigerung einer der Ehepartner hat entweder kein Gehör gefunden oder der/die Betroffene hat es nicht gewagt, sich zu widersetzen. Auch die Bedrohung der Betroffenen mit existentiellen finanziellen oder ausländerrechtlichen Konsequenzen kann zu einer Zwangsverheiratung führen.
Was verstehen wir unter Frühehe bzw. Frühverheiratung?
Eine Frühehe (engl.: early bzw. child marriage) liegt dann vor, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht 18 Jahre alt ist. In Deutschland ist das seit Juli 2017 verboten. Ehen dürfen erst ab der gesetzlichen Volljährigkeit, einem Alter von 18 Jahren, geschlossen werden. In vielen anderen Ländern unterscheidet sich das Alter der Volljährigkeit von dem Alter, ab dem ein Mädchen oder eine junge Frau als heiratsfähig gilt. Beispielsweise haben Mädchen im Iran ab 13 Jahren die sogenannte „Heiratsreife“ erreicht und können mit Zustimmung ihres männlichen Vormunds verheiratet werden (Art. 1043, iranisches Zivilgesetzbuch). In anderen Ländern wie z.B. im Jemen, oder auch in einigen US-Bundestaaten wie z.B. Kalifornien gibt es überhaupt kein gesetzliches Mindestheiratsalter. Aber auch wenn das Mindestheiratsalter bei 18 Jahren liegen sollte, werden Frühehen geschlossen, da meist auch keine (straf)rechtlichen Konsequenzen bei Zuwiderhandlung erfolgen.
Ein Beispiel ist die DR Kongo: Das offizielle Mindestheiratsalter wird mit 18 ohne Ausnahmen angegeben. Dennoch beträgt die Rate an Frühehen unter Mädchen und Frauen 37%. (Quelle: girlsnotbrides)
TERRE DES FEMMES sieht Frühehen als eine Form der Zwangsverheiratung an. Auch wenn die Minderjährige der Eheschließung scheinbar zugestimmt hat, können Kinder und Jugendliche Folgen und Ausmaß einer verfrühten Eheschließung nicht einschätzen. Das Recht auf Selbstbestimmung und freie PartnerInnenwahl bleibt ihnen so verwehrt. Auch befinden sie sich in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern.
Bei Girls Not Brides finden Sie mehr Informationen zum Thema Frühehe im internationalen Kontext, sowie einen interaktiven Atlas zum weltweiten Vorkommen von Frühehen.
https://www.girlsnotbrides.org/learning-resources/child-marriage-atlas/atlas/ © Girls not Brides / Atlas
Was verstehen wir unter "Ehren"-Mord?
Hat ein Mädchen oder eine Frau durch ihr Verhalten nach Ansicht ihrer Familie "Schande" über sie gebracht, wird diese alles tun, um die Familienehre wieder herzustellen. In einigen Fällen sehen sie die einzige Möglichkeit dafür in der Ermordung (Mord im Namen der Ehre = "Ehren"-Mord) der für den Ehrverlust verantwortlichen Person.
Exkurs: Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Femizid
Bei beiden Begriffen finden sich patriarchale und traditionelle Denkmuster, die ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern zementieren wollen und einen grundsätzlichen Besitzanspruch des Mannes über die Frau zugrunde legen. Damit verfestigt sich die erhöhte Bedrohung für Frauen Opfer von Gewalttaten zu werden - allein aufgrund ihres Geschlechts und dem daraus abgeleiteten erwarteten Verhalten. Beide Begriffe stehen für (versuchte) Tötungen, in denen die Sozialisation des jeweiligen Täters und seine Wahrnehmung von der „Rolle der Frau“ oder ihrem „richtigen Verhalten“ entscheidend für seine Handlung ist. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass der Begriff des „Ehren“-Mords ein komplexeres Konzept struktureller Gewalt umfasst und das in der Gemeinschaft geteilte Konzept der „Familienehre“ widerspiegelt. Sogenannte Ehrenmorde sind also nicht als Einzeltaten zwischen zwei beteiligten Personen (Betroffene und Täter) zu begreifen, sondern die Gewalt im Vorfeld ging oft von einem (familiären) Kollektiv aus. Während der Begriff „Femizide“ ausschließlich Frauen einschließt, können auch Männer von „Ehren“-Morden betroffen sein.
Ein „Ehren“-Mord kann auch ein Femizid sein. Nicht jeder Femizid ist aber auch ein „Ehren“-Mord.
Eine ausführliche Begriffsdefinition zu Femizid und „Ehren“-Mord finden Sie hier (PDF).
Zwangsverheiratungen - eine Form moderner Sklaverei?
Im UN-Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei (1956) wird unter Artikel 1 (c) u.a. die Verheiratung von Frauen im Austausch von Geld- oder Sachleistungen als „sklavereiähnliche Praktik“ aufgeführt. 2014 wies auch die UN darauf hin, dass sich Mädchen und Frauen in Früh- oder Zwangsehen in Situationen wiederfinden können, die mit internationalen Definitionen von Sklaverei oder sklavereiähnlichen Praktiken übereinstimmen.[1] Die Herausgeber der „Global Estimates of Modern Slavery“ ordnen Zwangsverheiratungen neben Zwangsarbeit direkt als Form moderner Sklaverei ein. Dies unterstreicht, was eine Zwangsverheiratung für die Betroffenen bedeuten kann: ein Leben lang in Unfreiheit, Fremdbestimmung, Unterdrückung – bis hin zu häuslicher und sexualisierter Gewalt oder auch Zwangsarbeiten.
[1] UN General Assembly, Resolution 26/22, Preventing and Eliminating Child, Early and Forced Marriage, Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, A/HRC/26/22 (2014), S. 8.