TERRE DES FEMMES hat im Jahr 2013 viele Projekte angestoßen und umgesetzt, um Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre und Zwangsverheiratung zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für Hilfe zu verbessern.
Im Frühjahr richtete TERRE DES FEMMES die Fachberatungsstelle LANA gegen Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre in Berlin ein. Die psychologischen und pädagogischen Beraterinnen zeigen jungen Frauen, die sich den patriarchalischen Lebensvorstellungen ihrer Familie nicht beugen und ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, Wege aus der Gewaltsituation auf. Sie suchen mit den Betroffenen nach Lösungsmöglichkeiten – auch auf Türkisch. Die LANA Fachberatungsstelle für Berlin wird gefördert von Aktion Mensch.
Von September 2013 bis Februar 2014 bot TERRE DES FEMMES erneut insgesamt zehn kostenlose Fortbildungen für BehördenmitarbeiterInnen in Baden-Württemberg zum Thema Gewalt im Namen der Ehre/Zwangsverheiratung an. Diese vielfach nachgefragte Workshop-Reihe wurde bereits 2010 und 2012 durchgeführt. In den Veranstaltungen lernen die Beschäftigten von Standesämtern, Jobcentern oder Jugendämtern über das soziale und kulturelle Umfeld, in dem Gewalt im Namen der Ehre entstehen kann und welche Wertvorstellungen dem zugrunde liegen. Es werden praktische Handlungsempfehlungen zur Verfügung gestellt und anhand von Fallbeispielen erprobt. Die abschließende Diskussion im gemeinsamen Plenum fördert zudem die Vernetzung und Kooperation verschiedener Ämter und Behörden vor Ort. Die Workshop-Reihe wurde vom Ministerium für Integration des Landes Baden-Württemberg gefördert.
Workshop im November 2012 in Konstanz.
Foto: © Sandra Stopper.Ebenfalls bis Februar 2014 führte TERRE DES FEMMES in einem einjährigen Projekt zehn Fortbildungen für Lehrkräfte und SchulsozialarbeiterInnen in Berlin durch. Das Projekt „Mädchen und Frauen vor Zwangsverheiratung schützen – Bildungschancen verbessern: Qualifizierung von Lehrkräften“ wurde durch den Europäischen Integrationsfonds kofinanziert. Noch mehr als die MitarbeiterInnen von Behörden sind Lehrkräfte oft die ersten und einzigen Ansprechpersonen der Betroffenen von Zwangsverheiratung, die laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums von 2011 zumeist zwischen 16 und 21 Jahre alt sind. Daher ist es so wichtig, Lehrkräfte zu sensibilisieren und in die Lage zu versetzen, bei Fällen von Gewalt im Namen der Ehre angemessen und schnell zu reagieren.
Die Fortbildungen realisierte TERRE DES FEMMES zusammen mit Papatya, der anonymen Kriseneinrichtung für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund, und den HEROES, einem Projekt für junge Männer, die sich gegen Unterdrückung im Namen der Ehre einsetzen.
Fortbildung zu Zwangsheirat im Rathaus Neukölln, Berlin.
Foto: © TERRE DES FEMMESEbenfalls im Rahmen des Projekts führte TERRE DES FEMMES die Kampagne „Mein Herz gehört mir“ an Berliner Schulen durch. Ziel der Kampagne war es, SchülerInnen für das Thema Zwangsverheiratung zu sensibilisieren und aufzuklären. Außerdem konnten sich betroffene SchülerInnen über Hilfsangebote informieren und sich direkt beraten lassen.
Am 7. Februar 2013 jährte sich der Todestag von Hatun Sürücü zum achten Mal. Sie war mit nur 23 Jahren von ihrem jüngeren Bruder auf offener Straße erschossen worden, weil sie gegen die strengen Regeln und tradierten Ehrvorstellungen ihrer Familie verstoßen hatte. TERRE DES FEMMES nimmt seitdem diesen Tag zum Anlass, auf die vielen Betroffenen von Gewalt im Namen der Ehre hinzuweisen und Verbesserungen bei der Unterstützung und dem Schutz der Mädchen und jungen Frauen einzufordern.
TERRE DES FEMMES gedenkt Hatun Sürücü am 07.02.2013.
Foto: © Silke Morick
Auch 2013 waren wir vor Ort, um bei einer Gedenkveranstaltung die Erinnerung Hatun und damit stellvertretend an all die mutigen und starken Frauen wachzuhalten, die sich gegen Gewalt im Namen der Ehre wehren und ein selbstbestimmtes Leben führen wollen – und dies zum Teil mit ihrem Leben bezahlen. Im Juni 2013 hat zudem die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Tempelhof-Schöneberg beschlossen, eine geplante neue Brücke in unmittelbarer Nähe zum Tatort nach Hatun Sürücü zu benennen. Damit wurde eine jahrelange Forderung von TERRE DES FEMMES nach dauerhafter Erinnerung und Mahnung umgesetzt. TERRE DES FEMMES hat diesen Abstimmungsprozess eng begleitet und u.a. zusammen mit dem LSVD Unterschriften von UnterstützerInnen der Brückenbenennung gesammelt. Diese wurden im Mai dem zuständigen Ausschuss für Bildung und Kultur übergeben.
Monika Michell (Mitte), Referentin TDF, auf dem Podium bei der Polizei-Gewerkschaft.
Foto: © GdP/Immel TERRE DES FMMES hat 2013 einen Fokus auf den Bereich Datenschutz /Anonymisierung gelegt. Bei einem Input auf der Konferenz „Ehrensache(n) – Ehrenmord und Zwangsehe“ der Gewerkschaft der Polizei wiesen wir auf bestehende Lücken hin. Über mehrere Monate wandten wir uns an alle 16 InnenministerInnen der Länder und an den Bundesinnenminister, um unsere Forderungen in diesem so wichtigen Bereich einzubringen. Für das im Mai 2015 in Kraft tretende Bundesmeldegesetz werden im Moment auf Bund-Länder-Ebene die Bundesverwaltungsvorschriften erarbeitet und wir haben es geschafft, dort wichtige Anregungen zu geben, die nun umgesetzt werden sollen.
Auf internationaler Ebene lag der Fokus auf dem Thema Kinder- und Frühehen (child and early marriage). Als Mitglied der Kampagne Girls Not Brides, einem Zusammenschluss von über 300 NGOs aus über 50 Ländern, setzten wir uns dafür ein, dass die Beendigung von Frühehen eines der UN-Entwicklungsziele ab 2015 wird. TERRE DES FEMMES beteiligte sich auch an dem Aufruf der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, in Vorbereitung eines Berichts für den Menschenrechtsrat Informationen über Probleme und Erfolge bei der Bekämpfung von Frühehen einzureichen. Der Bericht soll bis zur Sitzung im Juni 2014 fertig sein.
Seit Januar 2013 steht eine digitale Unterrichtsmappe zum Thema Zwangsheirat für die Sekundarstufen I und II bereit. TERRE DES FEMMES hat diese Mappe entwickelt, um Lehrkräften didaktische Hilfestellungen zu geben, und Jugendliche an das sensible und oftmals tabuisierte Thema behutsam heranzuführen.
Auch das Thema Jungfräulichkeit hat TERRE DES FEMMES weiter in die Öffentlichkeit getragen. Im Fachbrief Nr. 17 „Interkulturelle Bildung und Erziehung“ der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat TERRE DES FEMMES in einem längeren Beitrag auch über den Mythos Jungfernhäutchen aufgeklärt. In einem Artikel in der Zeitschrift DHIVA, dem Fachmagazin für Frauen zu Sexualität und Gesundheit, hat TERRE DES FEMMES ebenfalls Fakten und falsche Vorstellungen zum Thema Jungfräulichkeit vorgestellt. In beiden Publikationen wurde zudem auf unsere Materialien und unsere Fachberatungsstelle hingewiesen.
Und unsere Arbeit machte Schule: Auf Grundlage unseres Flyers „Das Jungfernhäutchen – Falsche Vorstellungen und Fakten“, den wir zusammen mit pro familia Berlin und dem Familienplanungszentrum Balance erstellt haben, wurde 2013 auch ein Aufklärungsflyer für Jugendliche in Österreich herausgegeben: „das jungfernhäutchen – fakten und mythen“ (von der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung).