Ereignisse aus dem Jahr 2014

Am 7. Februar 2014 jährte sich der „Ehren“-Mord an Hatun Sürücü zum neunten Mal. Hatun Sürücü war 2005 mit nur 23 Jahren von ihrem jüngeren Bruder auf offener Straße in Berlin-Tempelhof erschossen worden. Sie wollte ein freies und selbstbestimmtes Leben führen und hat damit bewusst gegen die strengen Regeln und tradierten Ehrvorstellungen ihrer Familie verstoßen. Durch den Mord wollte der Täter die Ehre der Familie retten.

Grußworte von Monika Michell (TERRE DES FEMMES). Foto: © TERRE DES FEMMESGrußworte von Monika Michell (TERRE DES FEMMES).
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Gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, dem Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsheirat, dem Projekt HEROES und der Frauen- und Mädchenabteilung von Türkiyemspor legte TERRE DES FEMMES-Referentin Monika Michell bei einer Gedenkveranstaltung Blumen nieder und sprach ein kurzes Grußwort. Der 7. Februar bleibt auch weiterhin ein wichtiger Aktionstag für TERRE DES FEMMES. Wir werden die Erinnerung an das Schicksal von unzähligen Mädchen und Frauen wachhalten, die unter Gewalt im Namen der Ehre leiden, und unsere Solidarität mit ihnen ausdrücken.

Zum Internationalen Frauentag veranstaltete TERRE DES FEMMES zusammen mit der Neuköllner Gleichstellungsbeauftragten Sylvia Edler und der anonymen Kriseneinrichtung Papatya eine öffentliche Informationsveranstaltung im Rathaus Neukölln in Berlin. Unter dem Titel „Frauenrechte in der Türkei?“ – bewusst als Frage formuliert – berichtete die türkische Frauenrechtsaktivistin Nebahat Akkoç am 10. März 2014 vor über 100 Interessierten von sich und ihrer Arbeit.

TERRE DES FEMMES-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle (links) zusammen mit der türkischen Frauenrechtsaktivistin Nebahat Akkoç und der Neuköllner Gleichstellungsbeauftragten Sylvia Edler. Foto: © TERRE DES FEMMESTERRE DES FEMMES-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle (links) zusammen mit der türkischen Frauenrechtsaktivistin Nebahat Akkoç und der Neuköllner Gleichstellungsbeauftragten Sylvia Edler.
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Frau Akkoç gründete 1997 die kurdisch-türkische Frauenrechtsorganisation KAMER im Südosten der Türkei. Mittlerweile bietet KAMER in 23 Städten rechtliche und psychologische Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen an.

Die türkische Gesellschaft ist vor allem in den ländlichen Gebieten und in der Osttürkei patriarchalisch-traditionell bestimmt. Frauen müssen sich sowohl öffentlich als auch in der Familie an strenge Verhaltensregeln halten, die auf einem überkommenen Verständnis von Ehre beruhen. Hat eine Frau die Familienehre beschmutzt, muss sie unter Umständen sogar um ihr Leben fürchten. Zwar hat sich die Gesetzeslage verändert und der sogenannte Ehrenmordparagraf, der sich strafmildernd auswirken konnte, wurde abgeschafft. Doch weist KAMER darauf hin, dass „Ehren“-Morde auch als Suizid getarnt werden und daher solche Fälle mit Vorsicht zu genießen seien. Frau Akkoç beeindruckte mit ihrem Einsatz für die Frauenrechte in der Türkei und wir freuen uns, dass wir mit ihr eine engagierte Kämpferin gegen Gewalt im Namen der Ehre an unserer Seite haben. Das ist umso wichtiger, da wir in Fällen von Heiratsverschleppungen auf eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit angewiesen sind.

Im Juli 2014 startete TERRE DES FEMMES das interaktive Theaterprojekt „Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre?“, das bis Ende des Jahres an insgesamt 20 Schulen in verschiedenen Städten in Baden-Württemberg zu sehen war. Die Premiere in Remshalden wurde von der baden-württembergischen Integrationsministerin Bilkay Öney eröffnet.

Szene aus dem Theaterstück „Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre?“. Foto: © TERRE DES FEMMESSzene aus dem Theaterstück „Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre?“.
Foto: © TERRE DES FEMMES
"Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre?" handelt von den Konflikten, unter denen besonders Jugendliche aus patriarchalisch geprägten Familien leiden: Kontrolle durch Familienmitglieder, Isolierung von den MitschülerInnen, Verbot von Liebesbeziehungen, Ächtung von Homosexualität, Jungfräulichkeit. Die Szenen wurden gemeinsam mit einem Mädchenbeirat erarbeitet, der sich aus (ehemals) Betroffenen zusammensetzte. Das Theaterstück basiert auf den Methoden des Forumtheaters, mit Hilfe derer die ZuschauerInnen in den Ablauf der Stücke aktiv einbezogen werden. Die SchauspielerInnen stellen Szenen aus dem Alltag von Jugendlichen dar. Die Jugendlichen greifen anschließend in das Geschehen ein und machen Handlungsvorschläge, wie eine Situation entschärft oder zu einem anderen Ende kommen könnte. „So etwas habe ich vorher noch nie gesehen. Ich fand es gut, dass wir gleich mitreden konnten“ meinte eine Schülerin nach der Premiere.

 

Logo Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ 2014 Das Theaterprojekt wurde als Preisträger im Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ 2014 ausgezeichnet.

Um das Theaterstück auch einem erwachsenen Publikum präsentieren zu können, wurde es am 20. November anlässlich des Jubiläums der UN-Kinderrechtskonvention im Theaterhaus Stuttgart öffentlich aufgeführt. In einem anschließenden Podiumsgespräch mit u.a. der Projektleiterin Rahel Volz und Frau Petra Zai-Englert, Vorstandsmitglied des Netzwerks Schulsozialarbeit Baden-Württemberg, wurde der Frage nachgegangen, was nötig ist, um die in der Konvention festgeschriebenen Rechte umzusetzen.

TERRE DES FEMMES-Referentin Rahel Volz, Monika Memmel von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und die Moderatorin Felicitas Wehnert (von links) im Gespräch über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Foto: © TERRE DES FEMMESTERRE DES FEMMES-Referentin Rahel Volz, Monika Memmel von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und die Moderatorin Felicitas Wehnert (von links) im Gespräch über die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
Foto: © TERRE DES FEMMES

Das Theaterprojekt war eine Kooperation von TERRE DES FEMMES mit der Beratungsstelle YASEMIN in Stuttgart und der mobilen Theaterbühne „Mensch: Theater!“. Es wurde aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds und des Ministeriums für Integration Baden-Württemberg ko-finanziert.

Im September 2014 startete TERRE DES FEMMES einen neuen zweijährigen Schwerpunkt im Bereich Gewalt im Namen der Ehre: STOP Frühehen!

Bis Herbst 2016 werden wir uns verstärkt gegen die Zwangsverheiratung von Minderjährigen einsetzen, und zwar sowohl in Deutschland als auch international.

In Deutschland sind ein Drittel der Betroffenen von Zwangsverheiratung unter 18 Jahre alt. Weltweit werden täglich 39.000 Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, die Folgen sind verheerend: Minderjährige Ehefrauen sind häufiger von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt betroffen als Frauen, die nach ihrem 18. Geburtstag heiraten. Schwangerschaft ist zudem für 15 – 19-jährige Frauen weltweit Todesursache Nummer eins. Sie dürfen meist die Schule nicht mehr besuchen und haben so keine Chance auf einen (höheren) Bildungsabschluss, der ihnen ökonomische Sicherheit garantieren könnte. Die Gründe für eine frühe Verheiratung sind vielfältig. Oft spielen jedoch Armut, geringe Bildung sowie Traditionen und patriarchalische Wertvorstellungen eine große Rolle.

Das Bild zum neuen Schwerpunkt von TERRE DES FEMMES: STOP Frühehen! Foto: © evgenyatamanenko - Fotolia.comDas Bild zum neuen Schwerpunkt von TERRE DES FEMMES: STOP Frühehen! Foto: © evgenyatamanenko - Fotolia.comDas Jahr 2015 wird ein entscheidendes für den Kampf gegen Frühehen sein. Im September wird die Weltgemeinschaft die Nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 verabschieden. Eines dieser Ziele muss die Abschaffung von Kinder-, Früh- und Zwangsehen sein! TERRE DES FEMMES hat sich dafür bereits 2014 sowohl innerhalb des globalen Netzwerks „Girls not Brides“ als auch durch direkte Gespräche mit der Bundesregierung eingesetzt und wird diese Lobbyarbeit im kommenden Jahr noch verstärken.

Einen großen Erfolg konnten wir bereits 2014 verbuchen: Zwangsheiraten im Ausland sind nun endlich auch in Deutschland strafbar! Wer bisher die eigene Tochter in den Ferien im Ausland verheiratet hat, hatte gute Chancen, straffrei davon zu kommen. Denn erstens hätte die Zwangsheirat auch im Ausland unter Strafe stehen und zweitens hätte der/die TäterIn oder das Opfer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen müssen. Gerade die zweite Voraussetzung ist oftmals nicht gegeben.

Eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeigt, dass 56 Prozent der Betroffenen bzw. Bedrohten von Zwangsheirat keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Aus den Polizeilichen Kriminalstatistiken zum Straftatbestand Zwangsheirat der Jahre 2012 und 2013 geht hervor, dass über die Hälfte der ermittelten Tatverdächtigen keine deutsche Staatsangehörige waren.

Am 14. November 2014 hat nun der Bundestag beschlossen, Zwangsheirat in den Katalog der Auslandstaten aufzunehmen. Dies ist nötig, um sogenannte Ferienverheiratungen im Herkunftsland der Eltern auch in Deutschland ahnden zu können, und zwar unabhängig davon, ob die Tat auch im Ausland unter Strafe steht. Somit ist die erste Voraussetzung erfüllt. Aufgrund des erfolgreichen Einsatzes von TERRE DES FEMMES wurde darüber hinaus noch festgelegt, dass auch solche Fälle strafbar sind, in denen das Opfer zur Zeit der Tat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Das ist ein großer Fortschritt, vor allem wenn man bedenkt, dass die Mehrheit von Zwangsverheiratungen im Ausland stattfindet oder dort geplant ist.

Gerade für Fälle von Heiratsverschleppungen hat TERRE DES FEMMES bereits 2007 einen Nothilfeflyer entwickelt, der Beratungseinrichtungen im In- und Ausland aufführt. Dieser wurde im Herbst 2014 aktualisiert und neu herausgegeben.

Im Dezember 2014 wurde erstmalig in Deutschland ein Urteil wegen Zwangsverheiratung gefällt. Ein Vater wurde wegen der Zwangsverheiratung seiner Tochter zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Bisher war eine Verurteilung im Zusammenhang mit Zwangsheirat meist mit Verweis auf Freiheitsberaubung oder Geiselnahme erfolgt. Auch wenn der Verlauf des Prozesses noch erheblichen Verbesserungsbedarf offenlegte, was die Unterstützung von Betroffenen vor Gericht betrifft (den fehlenden Anspruch auf eine kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung beispielsweise), so setzte das Urteil doch ein wichtiges Signal: Zwangsverheiratung ist weder kulturell noch traditionell entschuldbar, sondern eine Straftat. Familien haben kein Recht, über ihre Tochter und deren Leben zu bestimmen!