• 07.03.2024

Offener Brief: Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht

Sehr geehrter Bundesjustizminister Buschmann, sehr geehrte Bundesfamilienministerin Paus,

TERRE DES FEMMES (TDF) begrüßt die vorgeschlagene Reform des Familienrechts und die Veröffentlichung der „Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht“, besonders, weil auch der Gewaltschutz von Müttern Erwähnung findet. Die im Eckpunktepapier enthaltenen Maßnahmen für den Gewaltschutz von Frauen sind jedoch bei weitem nicht ausreichend. Es ist dringend geboten die enthaltenen Maßnahmen weiter zu spezifizieren und auszubauen, um gewaltbetroffene Frauen zu schützen, wenn umgangs- und sorgeberechtigte Väter auch Gewalttäter sind. 

Auch TDF findet, dass Väter die gleichen Rechte, aber auch Pflichten haben sollten, wie Mütter. Denn: Die Sorgearbeit ist in Deutschland bis heute nicht gleichberechtigt aufgeteilt. In der Praxis besteht keine Gleichstellung zwischen Frauen und Männern: Frauen leisten mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. 2022 waren 45,2 Prozent der Mütter, deren jüngstes Kind unter drei Jahre alt ist in Elternzeit, während es bei Männern nur drei Prozent waren[1]. Laut einer Studie nehmen Väter, die in Elternzeit gehen, nur 2 Monate Väterzeit und das meist gleichzeitig mit der Mutter[2] [3]. Das führt für Frauen zu einer ökonomischen Benachteiligung. Mütter verdienen im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes 80 Prozent weniger als Männer und auch nach zehn Jahren sind es noch 60 Prozent. Bei getrenntlebenden Paaren zahlen nur 25 Prozent der Väter vollumfänglich Unterhalt und die ausgleichende Unterhaltsratenzahlung durch den Staat fällt deutlich geringer aus. Besonders schockierend ist die Gender Pension Gap. Frauen in Deutschland beziehen 59,6 Prozent weniger Alterssicherung als Männer.

Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften zu[4]. Jede vierte Frau in Deutschland erlebt in ihrem Leben häusliche Gewalt. Dabei möchten wir betonen, dass von einer Gewaltausübung gegen die Mutter immer auch die Kinder betroffen sind, auch wenn keine Gewalt direkt gegen sie ausgeübt wird. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Kinder mit Erfahrungen von Partnerschaftsgewalt zu 42 Prozent auch von emotionaler Misshandlung, zu 36 Prozent von körperlicher Misshandlung, zu 13 Prozent von sexuellem Missbrauch, zu 38 Prozent von emotionaler Vernachlässigung und zu 21 Prozent von körperlicher Vernachlässigung betroffen waren. Dabei ist das Risiko für entsprechende Erfahrungen im Vergleich zu Kindern ohne Erfahrungen von Partnerschaftsgewalt um das vier- bis sogar zehnfache erhöht.[5]

Die finanzielle Abhängigkeit infolge mangelnder Gleichstellung erschwert es den Müttern gewalttätige Beziehungen zu verlassen. Nach einer Trennung vom besserverdienenden Mann verschärft sich die Situation der Mutter, da sie sowohl Lohn- als auch Care-Arbeit leisten muss. 88 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Ihre vulnerable Position und ihre Abhängigkeit vom guten Willen des Ex-Partners und der Unterstützung des Staates muss bei einer Reform des Familienrechts unbedingt berücksichtigt werden.

Zudem fehlt es im deutschen Rechtssystem am Verständnis für häusliche Gewalt, Täterstrategien und Betroffenenverhalten. Dabei zeigen Studien aus England, die auf den deutschen Kontext übertragbar sind, dass in bis zu 63 Prozent der umgangs- und sorgerechtlichen Verfahren Gewalt eine Rolle spielt und mehrheitlich vom Vater ausgeht.[6] Die Opfer dieser Gewalt sind in 80 Prozent der Fälle Frauen. In 90 Prozent der Beziehungen, in denen Gewalt eine Rolle spielt, kommt es nach der Beziehung zu Nachtrennungsgewalt. Gewalttäter nutzen im Kontext einer räumlichen Trennung von ihrer Ex-Partnerin oft gezielt umgangs- und sorgerechtliche Verfahren dazu die Ex-Partnerin weiterhin zu drangsalieren und zu kontrollieren. Besonders die Übergabe der gemeinsamen Kinder stellt für betroffene Frauen ein besonderes Risiko dar. 41 Prozent der gewaltbetroffenen Frauen haben während Umgangszeiten oder in Übergabesituationen Gewalt erfahren. Trotzdem spielt die Sicherheit von Müttern in Umgangs- und Sorgerechtverfahren eine untergeordnete und häufig gar keine Rolle. Manchmal kommt es sogar zum Äußersten: Am 11. Februar 2023 wurde in Zwickau eine Mutter vor den Augen der gemeinsamen fünf Kinder von ihrem Ex-Mann mit elf Messerstichen erstochen. Trotz vorheriger Drohungen und Gewalt gegenüber der Frau besaß der Täter weiterhin das Umgangsrecht für die Kinder. Die Frau war mit den gemeinsamen Kindern in eine Wohneinrichtung gezogen, wo sie schließlich bei einem Umgangstermin von ihrem Ex-Mann ermordet wurde. Dieser Fall ist leider kein Einzelfall.

Die von Ihnen vorgeschlagene und dringend notwendige Reform bietet die Chance den Gewaltschutz im Familienrecht effektiv auszubauen. Leider bleibt das Eckpunktepapier in seiner aktuellen Form zu vage. Teilweise könnten die Reformvorschläge sogar den Gewalttätern in die Karten spielen. Daher appellieren wir für die Aufnahme folgender Forderungen:

  • Die sofortige Aussetzung des Umgangsrechts für den gewalttätigen Elternteil und die Priorisierung des Gewaltschutzes des gewaltbetroffenen Elternteils. So fordert es auch die Istanbul Konvention in Artikel 31 Abs. 2: „Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet“. Dabei muss deutlich werden, dass die Gewalttätigkeit eines Elternteils gegen den anderen per Definition immer dem Wohl des Kindes schadet, auch wenn die Gewalt sich nicht direkt gegen das Kind richtet.
  • Die Aufnahme einer Definition des Gewaltbegriffs, die anerkennt, dass nicht nur körperliche, sondern auch jede andere Form von Gewalt gegenüber einem Elternteil - sei es psychische, ökonomisch oder sexuelle Gewalt - dramatische Folgen für das Kindeswohl haben. In unseren Augen reicht eine individuelle Prüfung dieser Fälle nicht aus, da die Beurteilung dann von juristischem Fachpersonal und der ermittelnden Behörden abhängen und kein einheitlicher Schutz für Mütter gewährleistet wird.
  • Verpflichtenden Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen für RichterInnen, SozialarbeiterInnen und PolizistInnen. Nur so können diese AkteuerInnen die Gefahrenlage angemessen beurteilen. Schulungen und Weiterbildungen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt und ihrer Folgen muss integraler Bestandteil der Ausbildung werden. In seiner jetzigen Form wird das Eckpunkte-Papier dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung nicht gerecht, in dem lediglich der Anspruch auf Fortbildungen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt für FamilienrichterInnen verankert ist, nicht jedoch eine Verpflichtung.
  • Eine umfassende Datenerhebung, die Diskriminierung von Müttern und die Folgen des fehlenden Gewaltschutzes im Familienrecht sichtbar macht. Aktuell fehlt dieses Wissen[7]. Daraus resultiert eine konsequente Unterschätzung der Gefahr.
  • Die verpflichtende Teilnahme für Gewalttäter an Täterprogrammen: Wir fordern, dass Gewalttäter dazu verpflichtet werden zu beweisen, dass sie verantwortungsbewusst handeln können und keine Bedrohung für die Ex-Partnerin und das Kind darstellt. In der aktuellen Praxis liegt die Beweispflicht bei der Mutter. Besonders psychische Gewalt lässt sich aber nur schwer nachweisen. Bei Gewaltvorwürfen muss zunächst sichergestellt werden, dass keine Bedrohung für Mutter und Kind besteht. Gewaltvorwürfe sollten immer zunächst ernstgenommen und auch mögliche strafrechtliche Ermittlungen oder Verurteilungen berücksichtigt werden.

Wir begrüßen den Vorschlag das gemeinsame Sorgerecht bei Partnerschaftsgewalt auszusetzen. Mit Sorge betrachten wir aber die vorgeschlagene Regelung zur einseitigen Erklärung des Sorgerechts durch den Vater. Gewaltbetroffenen Frauen ist es nicht zuzumuten diese einseitige Erklärung vor dem Familiengericht anzufechten, solange Familiengerichte nicht in der Lage sind Partnerschaftsgewalt zuverlässig zu erkennen und das gemeinsame Sorgerecht auszusetzen.

Weiterhin spricht sich TERRE DES FEMMES gegen eine verpflichtende Anordnung des Wechselmodells aus. Ein solches paritätisches Modell erfordert eine gute Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern. Das ist von gewaltbetroffenen Müttern nicht zu erwarten und einzufordern. Außerdem entspricht dieses Modell nicht der Betreuungsrealität in Deutschland. Derzeit liegt der Anteil von Trennungsfamilien, die ein Wechselmodell praktizieren, bei gerade einmal fünf Prozent.

Zusätzlich ist es notwendig den strukturellen Einsatz von Verfahrensbeiständen zu reformieren und deren Unabhängigkeit sicherzustellen. Gerichte sollten dazu verpflichtet werden die Auswahl der Verfahrensbeistände transparent zu begründen, da ansonsten das Risiko einer Einflussnahme und/oder Traumatisierung des Kindes besteht. Verfahrensbeistände sind die InteressensvertreterInnen der Kinder und müssen unbedingt unparteiisch sein. Derzeit gibt es keine Kontrollinstanzen für Verfahrensbeistände. Damit besteht das Risiko, dass diese von Dritten beeinflusst werden.

Es bedarf außerdem einer Aufarbeitung unwissenschaftlicher Begriffe, wie Bindungsintoleranz, symbiotische Mutter-Kind Beziehung o.ä., die der Diskreditierung von Müttern vor Familiengerichten dienen und jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Besonders das ablehnende Verhalten des Kindes gegenüber dem Vater wird oft auf eine zu enge Bindung zwischen Mutter und Kind ausgelegt. Ist der Vater aber gewalttätig, kann eine solche Fehlinterpretation des Verhalten des Kindes schlimme Folgen haben.

Schließlich sind sowohl ein neuer Aktionsplan als auch ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen unerlässlich, wie es auch von der GREVIO gefordert wird. Insbesondere muss ein angemessenes Budget und ausreichend Personal zur Verfügung gestellt werden.

Wir fordern Sie dazu auf unsere Forderungen unbedingt zu berücksichtigen und sie in den Reformentwurf mitaufzunehmen. Durch die derzeit vorherrschenden Lücken beim Gewaltschutz im Familienrecht wird die psychische Gesundheit, die Sicherheit und im schlimmsten Fall sogar das Leben von betroffenen Müttern und ihren Kindern aufs Spiel gesetzt.  

Mit freundlichen Grüßen,

Christa Stolle

TERRE DES FEMMES e.V.

Bundesgeschäftsführerin

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