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"Sex Sells" darf keine Marketing-Strategie mehr sein!

1991 forderte TERRE DES FEMMES in einer Pressemitteilung auf, die Pakistan International Airline (PIA) zu boykottieren und schickte eine Beschwerde an den Deutschen Werberat. Die Fluggesellschaft hatte in mehreren deutschen Magazinen ganzseitige, farbige Hochglanz-Anzeigen geschaltet, auf denen junge Mädchen potenziellen Fluggästen entgegenlächelten.

TDF-Postkarte gegen Sexismus in der Werbung von 1992

Die Fluggesellschaft hatte in mehreren deutschen Magazinen ganzseitige, farbige Hochglanz-Anzeigen geschaltet, auf denen junge Mädchen potenziellen Fluggästen entgegenlächelten. Hingebungsvoll rollt eines der Mädchen Teig aus, ein anderes serviert Speisen auf einem üppig beladenen Tablett, das nächste balanciert Teegläser. PIA würde „sehr früh damit beginnen“, seine „Stewardessen auszubilden,“ schließlich sei „fast jedes Mädchen Expertin in der Zubereitung traditioneller“ Gerichte.

TDF findet im dekorativen Gruppenbild keine angehenden Flugbegleiterinnen wieder, sondern mädchen- und frauenverachtende Klischees. Mädchen, die von klein auf eine „Existenz als Dienerin“ reduziert würden und „von früh auf daran gewöhnt, Menschen zweiter Klasse zu sein“.[i]

In der „Emma“[ii] wird die Anzeige zum „Sexismus des Monats“ gekürt. Der Deutsche Werberat sieht hingegen „keinen Anlaß zur Beanstandung.“[iii]

Mit Protestkarten gegen frauenverachtendes Werbeverhalten

Für TDF trägt Werbung nicht unerheblich zum Bild der Frau in der Gesellschaft bei und vermittelt Rollenerwartungen.

Um gezielt gegen Werbung vorgehen zu können, die sich sexistischer Frauenbilder bedient, bietet TDF 1992 Postkarten an, die an den Deutschen Werberat oder direkt an die Firmen geschickt werden können, die mit frauendiskriminierender Werbung Profit machen wollen. 

2003 beteiligt sich TDF an der Broschüre „Sex Sells?“, die von der Landesgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsstellen für Bayern herausgegeben wurde. Auch diese enthält vorgedruckte Karten für eine Beschwerde beim Werberat.

Proteste an der Tagesordnung

Der Protest gegen die pakistanische Fluggesellschaft gehört zu den ersten Aktionen gegen sexistische Werbung, die im TDF im Rundbrief öffentlich macht.
Der Einspruch gegen frauenverachtende Reklame steht seither allzu regelmäßig auf ihrer Agenda.

Eine Auswahl soll das veranschaulichen:

1994 textet ein Reifenhersteller: „Autofahrerin empört! ‚Unbekannter wollte mir ans Profil!‘“ Die Firma zieht die Anzeige von sich aus zurück. Und der Werberat freut sich: Damit konnte die Angelegenheit in zufriedenstellender Weise erledigt werden.[iv]

1997 wirbt ein großer Elektromarkt mit einer spärlich bekleideten Frau vor einem offenen Kühlschrank: „Wenn Sie das nicht anmacht, dann blättern Sie doch einfach weiter.“

Auch die Unterstützung durch die Frauenbeauftragte von Saarbrücken beeindruckt weder den Werberat noch den Elektroanbieter, dem es nur leid tut „wenn sie die Ironie in unseren Anzeigen nicht nachvollziehen können.“[v]

1999 protestiert TDF beim Deutschen Werberat gegen die Anzeige einer Bekleidungsfirma, die ein kleines asiatisches Mädchen zu Füßen eines Mannes abbildet.[vi]

Im April 2001 protestiert TDF erfolgreich gegen sexistische Anzeigen von Volkswagen in Kroatien.[vii] Im Juni 2001 beanstandet TDF eine Werbung von „free4men.de“. Sie wurde zurückgezogen, wiewohl der Werberat zunächst keinen Grund zum Einschreiten sah.[viii]  

Im Juli 2001 folgt eine Beschwerde gegen eine Kette von Autowerkstätten. In einem Fernsehspot bittet eine junge Frau einen Mitarbeiter der Werkstatt um eine Inspektion. Natürlich wird nicht der Wagen inspiziert… Die Werbung wurde zurückgezogen.[ix]

2005 stößt TDF auf eine drastische Anzeige einer Therme „Warum denn Frau und Kind verprügeln, wenn man seine Freizeit in den Thermen verbringen kann?“ Gewaltverharmlosend und sexistisch fand TDF und protestierte.[x]

Meinungsfreiheit versus Geschlechterdiskriminierung

Mit einer Beschwerde, die 15 Jahre zurück liegt, soll diese Liste mit einem Beispiel geschlossen werden, das gleich sexistische und rassistische Motive in sich vereint:

Unter dem Motto „Irgendwann nimmt man nicht mehr irgendwas“ wirbt 2006 ein großes Programm-Magazin mit dem Bild eines ungewöhnlichen Paares:

Ein Nadelstreifenanzug tragender weißer Geschäftsmann hat die Arme um eine schwarze, afrikanisch geschmückte Frau mit einer Unterlippen-Platte gelegt.

TDF moniert im Schreiben an den Werberat: „Der Mann hält die Frau wie einen Besitz und bringt durch seinen spöttisch-selbstgefälligen Blick seinen Besitzerstolz zum Ausdruck.“  Böse Assoziationen zur Vergegenständlichung der Frau würden geweckt. Angesichts der Berichte zu Frauenhandel liege eine Degradierung der afrikanischen Frau zur Ware nahe.[xi] Mit ihrer Kritik steht TDF nicht alleine da. Die Frauenrechtlerin Anne Frenzel und Corinna Voigt-Kehlenbeck, Geschäftsführerin des Genderinstituts in Hamburg, zeigen öffentlich ihre Empörung über die Verquickung von Rassismus und Geschlechterdiskriminierung.[xii]

Der Deutsche Werberat lehnt die Beschwerde ab und führt die Meinungsfreiheit als hohes Gut ins Argumentationsfeld. Das TV-Magazin nimmt das „in einigen Fällen missverstandene Motiv“ aus dem Schaltplan.[xiii]

Protestbriefe reichen nicht! Ein „Zornige Kaktus“ muss her!

Seit 2015 lobt TDF mit dem „Zornigen Kaktus“ einen Negativ-Preis  für sexistische Werbung aus.

Mit der Preisverleihung möchte TDF auf das sich beharrlich in der Gesellschaft behauptende diskriminierende Frauenbild aufmerksam machen.

Demnächst wird der "Zornige Kaktus" 2021 verliehen.

 

[i] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1991, S. 27 f.

[ii] Emma, Ausgabe 10/1991

[iii] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1991, S. 29

[iv] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 1/1994, S. 38

[v] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 2/1998, S. 10

[vi] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1999, S. 5

[vii] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/2001, S. 32

[viii] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 4/2001, S. 32

[ix] TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 4/2001, S. 32

[x]  TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 2/2005, S. 34

[xi] TERRE DES FEMMES-Brief an den Deutschen Werberat vom 22.05.2006.

[xii] Jörn Wiertz: Die Werbe-No-go-Area. In: Die tageszeitung vom 07.07.2006, S. 14

[xiii] Schreiben des TV-Magazins an TERRE DES FEMMES vom 29.05.2006

Stand. Juli 2021

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