Dokumentationsstelle

Die Olympia-Postkartenaktion gegen Geschlechterdiskriminierung

1996 schließen 35 Länder Frauen aus ihrem Olympia-Team aus – TERRE DES FEMMES protestiert

Bereits die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2022 an Peking hatte für heftige Kritik am IOC gesorgt. Um ein Zeichen gegen die in China begangenen Menschenrechtsverletzungen zu setzen, entschieden sich Länder wie etwa Australien, Großbritannien, Japan und die USA für einen diplomatischen Boykott der Spiele.

Als 1996 die Olympischen Sommerspiele in Atlanta stattfanden, sah sich keine Regierung veranlasst, ein Zeichen Menschenrechtsverletzungen zu setzen, obwohl 35 von insgesamt 197 teilnehmenden Staaten keine Frauen zu den Sportwettkämpfen entsandt hatten. Staaten, die Frauen sportliche Aktivitäten grundsätzlich verboten oder ihnen Bekleidungsvorschriften auferlegten, die sportliche Aktivitäten erheblich erschwerten. So verwehrten z.B. Iran, Saudi-Arabien, Sudan, Afghanistan und Uruguay Frauen die Teilnahme.[1]

Die Olympische Charta: ein Papiertiger?

Die Olympische Charta, die „alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein Land oder eine Person, sei es aus Gründen von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht (…) mit der Olympischen Bewertung“ als unvereinbar deklarierte, erwies sich offenbar weder für die frauendiskriminierenden Staaten als bindend noch für die olympischen Kontrollorgane.[2]

TERRE DES FEMMES (TDF) warf denn auch in einer Presseerklärung zum Internationalen Frauentag dem IOC vor, durch „die Nichteinhaltung der Olympischen Charta“ die „Olympische Idee zu konterkarieren“ und verlangte, den Ländern, die Frauen aus ihren Delegationen ausschlossen, keine Zulassung zu den Spielen zu gewähren. Auch müsse das Komitee konkrete Maßnahmen gegen die sexistische Diskriminierung von Sportlerinnen in den einzelnen Ländern ergreifen.[3]

Die Initiative ATLANTA+

Damit solidarisierte sich TDF mit der Initiative ATLANTA+, die Anfang 1995 in Paris ihre Arbeit aufgenommen hatte, um die Diskriminierung von Frauen im Sport zu bekämpfen. Angestoßen wurde die Initiative von den Französinnen Linda Weil-Curiel und Annie Sugier, sowie der belgischen Parlamentsabgeordneten Anne-Marie Lizin. Den drei Frauen war bereits 1992, bei der Olympiade in Barcelona aufgefallen, dass 34 Nationen ohne Frauen antraten, also „Geschlechter-apartheid“ betrieben. Die Wortwahl war nicht zufällig: Von 1964 bis 1988 war Südafrika aufgrund der dort praktizierten Rassenapartheid von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Erst nachdem der Boykott Wirkung zeigte, wurde das Land 1992 wieder in den Kreis der olympischen Gemeinde aufgenommen. Folgerichtig forderte ATLANTA+ vom IOC, genauso konsequent auch gegen Geschlechterapartheid vorzugehen.[4]

Postkarten an den IOC-Chef

Mit einer Postkartenaktion verschaffte TERRE DES FEMMES der Botschaft von ATLANTA+ einen breiteren Wirkungskreis, beförderte ihre Forderungen direkt zum Adressaten, Juan Antonio Samaranch.
Vor allem Frauenrechtsorganisationen und Frauenbeauftragte bestellten gleich mehrere Karten. Besonders gut wurde die Aktion von Frauen aus Sportkreisen aufgenommen.

Innerhalb von zwei Monaten wurde dem IOC-Chef 5000 Mal[5] übermittelt, dass „die Diskriminierung von Frauen nicht als Teil einer Kultur akzeptiert werden kann“. „Alle Nationen, die Frauen nicht zulassen“ müssten folgerichtig „von den Olympischen Spielen in Atlanta ausgeschlossen werden“.[6]

Die Olympia-Aktion - ein Erfolg?

„Frauenrechte sind Menschenrechte“ argumentierten die AnhängerInnen von ATLANTA+ und konnten sich auf Kapitel 1 der Olympischen Charta und auf die UN-Charta berufen.
Das Nationale Olympische Komitee für Deutschland setzte in seiner Stellungnahme von 21. März 1996 andere Prioritäten. Es stufte die „Achtung fremder Kulturen und Religionsfreiheit“ höher ein und lehnte eine „Ausgrenzung einzelner NOKs ganz oder zeitweise aus der Olympischen Bewegung“ ab. Diese Antwort habe TDF „sehr erbost“ und „gleich zu Widerspruch angeregt“, schrieb Christa Stolle in ihrem Fazit zur Olympia-Aktion. Aber sie konnte auch mit positiven Nachrichten aufwarten:

Aufgrund des enormen Drucks plane das IOC beispielsweise einen Weltkongress zu dem Thema „Frauen im Sport“.

Eine klare Haltung zugunsten der Sportlerinnen nahm der Deutsche Bundestag ein und forderte das IOC dazu auf, „Sanktionen gegen die Länder zu verhängen, die sich nicht an die Olympische Charta halten und Frauen ausschließen“.

Auch das europäische Parlament wollte Ländern, „die ihre Bürgerinnen von der Teilnahme an den Olympischen Spielen ausschließen,“ die Unterstützung oder Zusammenarbeit der Europäischen Union entziehen. Schließlich legte der Europarat dem IOC nahe, Sportveranstaltungen, die Frauen ausschließen und diskriminieren würden, zu unterlassen[7].

Auch wenn ATLANTA+ auf die Austragung der Olympiade 1996 in Atlanta keinen Einfluss mehr nehmen konnte, kann die Initiative als ein Meilenstein gewertet werden, der Frauen den Weg hin zu den Olympischen Spielen geebnet hat.

Seit 2012 lassen sich auch Länder wie Saudi-Arabien oder Katar von Frauen bei den Spielen vertreten.

Bei den Sommerspielen 2021 in Tokio war mit 48,7 Prozent fast die Hälfte der Teilnehmenden weiblich. 1996 betrug der Anteil der Frauen nur 34 Prozent.[8]

Stand Februar 2022

[1] TERRE DES FEMMES: Internationale Postkartenaktion gegen Diskriminierung von Frauen in der Olympischen Bewegung. In: Menschenrechte für die Frau2/1996, S. 21
[2] Ebda.
[3]Christa Stolle; Monika Gerstendörfer: 35 Länder schließen Frauen bei den Olympischen Spielen in Atlanta aus. TERRE DES FEMMES- Presseerklärung zum 8. März, 1996
[4] TERRE DES FEMMES: Internationale Postkartenaktion gegen Diskriminierung von Frauen in der Olympischen Bewegung. In: Menschenrechte für die Frau 2/1996, S. 21f
[5] Um einen Überblick darüber zu haben, wie viele Postkarten verschickt wurden, bat TDF darum, für jede versendete Postkarte, ebenfalls eine an TDF zu schicken (Menschenrechte für die Frau2/1996, S. 27)
[6] TERRE DES FEMMES-Postkarte an das Internationale Olympische Komitee, Mr. Juan Antonio Samaranch, 1996
[7] Christa Stolle: Fazit der Olympia-Aktion. In: Menschenrechte für die Frau 3/1996
[8] Share of female participants in the Olympic Summer Games from 1900 to 2020.

nach oben
Jetzt spenden