• 14.03.2024

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion CDU/CSU zum Thema
„Geplante Maßnahmen zu Frühehen in Deutschland“

TERRE DES FEMMES begrüßt die Kleine Anfrage an die Bundesregierung, die Ende Januar von der CDU/CSU-Fraktion eingereicht wurde und Erkenntnisse über aktuelle Zahlen, das Vorgehen der Behörden im Falle einer Frühehe und geplante Änderungen am „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ bringen sollte. Immer wieder hatte TERRE DES FEMMES im Rahmen von Lobby-, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf die mangelnde Datenlage zu Frühehen und Zwangsheirat und die ungenügende Umsetzung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen aufmerksam gemacht.

Doch die Antwort der Bundesregierung[1] unterstreicht nach Einschätzung von TERRE DES FEMMES nur die ungenügende Gesamtsituation.

 

Denn demnach liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor über:

  • Die Anzahl der als „nichtig“ geltenden Frühehen in Deutschland[2]
  • Die Anzahl der aufgrund von Minderjährigkeit aufgehobenen Frühehen in Deutschland[3]
  • Die Anzahl der informell geschlossenen Minderjährigenehen in Deutschland, die nach § 11 PStG in Deutschland ebenfalls verboten sind. Es gibt auch keine verlässliche Erhebung, die Verdachtsfälle aufführt.
  • Die Anzahl der sog. Heiratsverschleppungen von Mädchen und Frauen. Das heißt, wenn Betroffene zum Zwecke der Verheiratung ins Ausland gebracht werden.
  • Die Anzahl der Schulabmeldungen von Mädchen und Frauen, die zuvor zum Zwecke der Verheiratung ins Ausland gebracht und anschließend von ihren Eltern in Deutschland von der Schule abgemeldet wurden.
  • Die Anzahl informeller ausländischer Eheschließungen, die im Zuge eines Asylgesuchs oder Niederlassungserlaubnis nicht anerkannt wurden.[4]

All diese Leerstellen lassen aus Sicht von TERRE DES FEMMES berechtigte Zweifel am Umsetzungswillen des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“ aufkommen. Für eine wirksame Umsetzung, für die Implementierung geeigneter Präventionsmaßnahmen sowie für die Evaluierung ergriffener Maßnahmen sind solide Zahlen eine Grundvoraussetzung.

Allein für Berlin hat eine Umfrage der Gleichstellungsbeauftragten von Berlin Friedrichshain-Kreuzberg für das Jahr 2022 insgesamt 496 Fälle einer geplanten, befürchteten oder vollzogenen Zwangsverheiratung in Berlin ermittelt. Mehr als ein Drittel dieser Fälle bezogen sich auf Minderjährige.[5] Die Angaben der Bundesregierung spiegeln nicht einmal annähernd diese Fallzahlen wider.

Auch die Antwort auf die Frage, welche Maßnahmen eingeleitet werden für den Fall, dass der bzw. die verheiratete Minderjährige im Familienverbund einreist, geben aus Sicht von TERRE DES FEMMES keine klare Antwort. Im Gegenteil, sie scheint eine lang gehegte Befürchtung eher zu bestätigen: Denn die Antwort der Bundesregierung lässt den Rückschluss zu, dass Minderjährige nicht standardisiert nach ihrem Familienstand befragt werden.[6] Dies lässt eine sehr hohe Dunkelziffer an unerkannt gelebten Frühehen nahelegen, die nirgendwo registriert sind. Entweder, weil sie nach deutschem Recht nichtig sind oder weil sie gar nicht erkannt werden. Derweil wäre es mit Hinblick auf den durch das Gesetz beabsichtigten verstärkten Minderjährigenschutz aus Sicht von TERRE DES FEMMES notwendig, beim Vorliegen einer Frühehe das Jugendamt zu informieren, damit dieses eine potenzielle Kindeswohlgefährdung ausschließen kann. Es ist zu befürchten, dass Ehen, die mit Minderjährigen im Ausland geschlossen wurden, unter dem Druck der Familien und „Ehepartner“ in Deutschland weitergelebt werden – auch, weil Behörden meist keine Kenntnis davon erlangt haben und zudem keine Registrierung der Minderjährigenehe erfolgte.

Ein weiteres Problem: Die Bundesregierung verweist in vielen Antworten auf die Zuständigkeit der Länder, wie die Gestaltung von Hilfsangeboten für von Kinderehen bedrohte Personen oder Schulungen für AkteurInnen, die mit potentiell Betroffenen arbeiten (MitarbeiterInnen von Behörden, Lehrkräfte etc.). Eine bundesweite Koordinierungsstelle, die flächendeckend u. a. Schulungen und Beratung anbietet und an die Fälle gemeldet werden können, ist aus Sicht von TERRE DES FEMMES daher zwingend erforderlich.

Die Rückmeldung der Bundesregierung unterstreicht nun umso stärker die Wichtigkeit folgender Forderungen von TERRE DES FEMMES:

  • Jede Frühehe sollte genau erfasst werden: Schaffung einer bundesweiten zentralen Anlauf- und Meldestelle für Früh- und Zwangsverheiratung
  • Klare Handlungsleitfäden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie spezifische verpflichtende Schulungsangebote für relevante AkteurInnen
  • Ergänzung des bestehenden Ausländerzentralregisters: Neben Angaben zum Geburtsdatum und Familienstand sollte die Kategorie „Heiratsdatum“ hinzugefügt werden, um die Anzahl an Frühehen in Deutschland besser ermitteln zu können.
  • Ausländerbehörden sollten alle Ehen mit einer Minderjährigen an das Jugendamt melden, damit diese die Minderjährigen beraten und eine Kindeswohlgefährdung ausschließen können. Die rechtlichen Voraussetzungen hierfür müssen geschaffen werden.
  • Die Jugendämter sollten auch Mädchen beraten und betreuen, die kein Ehezertifikat vorlegen können, die aber durch eine religiöse oder traditionelle Handlung – die darauf gerichtet ist, eine der Ehe vergleichbare dauerhafte Bindung zweier Personen zu begründen – mit einem Mann verbunden wurden und sich durch Selbsteinschätzung als „verheiratet/verlobt“ wahrnehmen.

Nähere Informationen und Erläuterungen zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen und die Forderungen von TDF finden Sie hier.

 

 

 

 


[1] BT-Druck 20/10326 vom 14.02.2024.

[2] Vgl. ebd., Antwort auf Frage 2. Es wird lediglich von „insgesamt weniger als 20 gerichtliche Verfahren auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens wegen der möglichen Unwirksamkeit einer Ehe aufgrund von Minderjährigkeit“ gesprochen, wobei gleichzeitig ergänzt wird, dass Ehen, die mit mindestens einer Person unter 16 Jahren geschlossen wurden, per Gesetz als unwirksam gelten und somit kein gerichtliches Verfahren notwendig ist. Dadurch gibt es „möglicherweise Fälle unwirksamer Minderjährigenehen […], die derzeit in keiner Statistik erscheinen“. Ebd.

[3] Es sind im Zeitraum von 2020 bis 2022 lediglich 24 Verfahren zur Aufhebung einer Ehe wegen Minderjährigkeit angegeben. Wie diese Verfahren allerdings endeten, konnte laut Antwort der Bundesregierung jedoch „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht ermittelt werden. Ebd., Antwort zu Frage 1.

[4] Vgl. ebd., Antwort auf die Fragen 4, 9, 11 und 16.

[5] Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg / Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Petra Koch-Knöbel: Evaluationsergebnisse der Umfrage des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung zum Ausmaß von Zwangsverheiratungen in Berlin 2022, Berlin 2023.

[6] Vgl. BT-Druck 20/10326, Antwort auf Frage 14.

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