• 17.11.2023

Neue Zahlen zu Zwangsheirat für Berlin – TERRE DES FEMMES befürchtet großes Dunkelfeld

Der Arbeitskreis Zwangsheirat hat für Berlin neue Zahlen veröffentlicht: Laut der Umfrage gab es demnach 496 Fälle einer geplanten, befürchteten oder vollzogenen Zwangsverheiratung in Berlin im Jahr 2022.[i] Diese Fallzahlen stammen von 345 Institutionen und Organisationen, die sich an der Umfrage beteiligt hatten.

91% der Betroffenen oder Bedrohten waren weiblich, 5% männlich und 1% divers. Bei 3% der Fälle wurde keine Angabe zum Geschlecht gemacht.

Schaut man sich die Altersstruktur der Umfrageergebnisse an, sind Mädchen in höherem Maße ab einem früheren Alter gefährdet gegen ihren Willen verheiratet zu werden: 9 Fälle finden sich in der Altersgruppe der 10- bis 12-Jährigen. Eins von den 9 Mädchen war dabei bereits verheiratet, bei den verbliebenen 8 Fällen war die Zwangsverheiratung konkret geplant oder befürchtet.

Allgemein gesehen sind unter den Mädchen und Frauen 38% der Fälle minderjährig – das ist mehr als ein Drittel aller Zwangsverheiratungen.

Für Jungen steigt die Gefahr einer Zwangsverheiratung ab einem Alter von 16 Jahren – 6 Fälle finden sich in der Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen, von denen jedoch noch keine Zwangsverheiratung vollzogen wurde. Die am stärksten vertretene Altersgruppe bei den Männern ist die Gruppe der 22- bis 25-Jährigen – 11 Personen (41% aller männlichen Fälle) waren von einer Zwangsverheiratung entweder bereits betroffen oder davon bedroht.

Jede Zwangsverheiratung stellt eine Menschenrechtsverletzung dar.

Die Ergebnisse zeigen jedoch eindeutig, dass sich vor allem Mädchen und Frauen damit konfrontiert sehen – und dies schon ab frühester Kindheit, spätestens mit Beginn der Pubertät. Ihnen wird somit ein Großteil der Kindheit und Jugend genommen und sie werden sehr früh in die Rolle der Ehefrau – und potenziell Mutter – gedrängt.

Besonderes Augenmerk verdient auch der hohe Grad des Auslandsbezugs: 81% der geplanten und 88 % der vollzogenen Zwangsverheiratungen waren im Ausland geplant bzw. fanden im Ausland statt. Dies sind wichtige Hinweise, die dringend Eingang in die bestehende Präventions- und Sensibilisierungsarbeit sowie in die Beratungs- und Hilfestruktur finden müssen.

So wichtig die Zahlen auch sind, sie können nur das Hellfeld darstellen. TERRE DES FEMMES geht davon aus, dass das Dunkelfeld der von Früh- und Zwangsverheiratung bedrohten oder betroffenen Menschen in Berlin viel größer ist. Von 2020 bis 2023 ging TERRE DES FEMMES mit dem Schultheaterstück „Mein Herz gehört mir – gegen Zwangsverheiratungen und Frühehen“ an mehr als 20 Berliner Schulen. Durch Wortmeldungen während der Aufführung oder durch Diskussionen in den anschließenden Workshops ließ sich vermuten, dass an jeder Schule und teilweise in jeder der teilgenommenen Klassen Schülerinnen und Schüler waren, die von Zwangsverheiratungen schon gehört hatten oder auch Bekannte kannten, die minderjährig oder gegen den eigenen Willen verheiratet wurden.

Darüber hinaus leistet TERRE DES FEMMES mit der „Weißen Woche“ wichtige Sensibilisierungsarbeit vor den Sommerferien, um vor der Gefahr der Ferienverheiratung zu warnen und Hilfsmöglichkeiten und Beratungsstrukturen vorzustellen.

Stand: November 2023


[i] Quelle: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg / Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Petra Koch-Knöbel: Evaluationsergebnisse der Umfrage des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung zum Ausmaß von Zwangsverheiratungen in Berlin 2022, Berlin 2023. Online unter: https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1385750.php

 

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