Guatemala

Fallbeispiel[i]

Aracely ist 13 und im vierten Monat schwanger, als ihr Ehemann sie verlässt. Das Kind sei nicht von ihm, so seine Begründung. Im Alter von elf Jahren wurde das Mädchen an einen 34-jährigen Mann verheiratet. Mittlerweile ist Aracely 15 und alleinerziehende Mutter. Ihr Sohn David ist 17 Monate alt und gesund, sein Vater hat ihn noch nie gesehen. Bereits während ihrer Schwangerschaft wurde Aracely nicht mehr von ihrem Ehemann finanziell unterstützt. Die Hoffnung, dass eine Hochzeit eine finanzielle Absicherung des Mädchens bedeutet, hat sich ins Gegenteil gewandt: Aracely hat wegen ihrer Hochzeit ihre Ausbildung abgebrochen und muss nun für Zwei sorgen.

Statistik

  • Bevölkerung: 15,5 Millionen EinwohnerInnen (Weltbank 2013)
  • Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (Wohlstandsindikator, der die Dimensionen Bildungsindex, Lebensstandard und –erwartung einbezieht): Platz 125 von 187 Ländern (2013)
  • mit einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 3.500 USD ist Guatemala ein „middle income“-Land, das jedoch unter extremen sozialen Gegensätzen leidet, mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, davon 13% in extremer Armut[ii]
  • knapp 30% der Frauen sind Analphabetinnen, von den Männern können 20% nicht lesen und schreiben[iii]

Landesüberblick

Guatemala ist der bevölkerungsreichste Staat in Zentralamerika und ethnisch äußerst heterogen. Die Mehrheit der Guatemalteken, 58%, bezeichnet sich als Ladinos, 45% als Indígena. Insgesamt gibt es 22 verschiedene Mayavölker in Guatemala. Zwischen den unterschiedlichen Ethnien sind große soziale Unterschiede zu verzeichnen. Es sind vor allem die Mayas, die von extremer Armut betroffen sind. Im Jahr 1996 wurde der über 35 Jahre andauernde Bürgerkrieg, dem Schätzungen nach bis zu 250.000 Menschen zum Opfer gefallen sind, beendet. Doch noch immer zeigen die extrem ungleiche Verteilung von Wohlstand und Landbesitz, sowie hohe Kriminalität und mangelnde strafrechtliche Verfolgung, dass die Ursachen und Folgen des Bürgerkriegs noch immer nicht überwunden sind.

Vorkommen

Frühehen sind ein weit verbreitetes Phänomen in Guatemala. Knapp ein Drittel der 20- bis 24-jährigen Frauen wurde unter 18 Jahren verheiratet.[iv] Laut UNICEF werden gar 7% der Mädchen vor ihrem 15. Geburtstag verheiratet.[v] Eine Studie des UN-Bevölkerungsfonds aus dem Jahr 2007 kommt zu dem Ergebnis, dass die Zahlen unter der Mayabevölkerung noch deutlich extremer sind: 40% der Mädchen heiraten unter 18 Jahren. Auch ist der Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung gravierend. Auf dem Land sind es mehr als die Hälfte der 20- bis 24-Jährigen, die unter 18 heirateten, 13% unter 15 Jahren.[vi] Zusätzlich hat bereits ein Viertel der Frauen zwischen 20 und 24 unter 18 Jahren entbunden.[vii]

Beweggründe

Es sind vor allem die Armut und mangelnde ökonomische Perspektiven, die Eltern dazu treiben, ihre Kinder früh verheiraten zu wollen. Die Hochzeit der Tochter, oftmals mit einem deutlich älteren Mann, wird als ihre finanzielle Absicherung betrachtet. Auch die Angst vor sexuellem Missbrauch der Tochter führt dazu, dass viele Eltern ihre Töchter jung verheiraten, um sie auf diesem Wege zu „schützen“. Außerdem sind traditionelle Vorstellungen, welche die Rolle von Mädchen und Frauen ausschließlich in ihrer Funktion als Ehefrau und Mutter sehen, sowohl unter Männern als auch Frauen weit verbreitet.

Gesetzliche Lage

Mit elterlicher Zustimmung dürfen Mädchen in Guatemala ab dem 14. Lebensjahr heiraten, Jungen ab 16 Jahren. Ohne Einwilligung der Eltern liegt das Heiratsalter für beide Geschlechter bei 18 Jahren. Doch wie die Statistiken zeigen, wird das gesetzliche Mindestheiratsalter bestenfalls als Empfehlung gesehen.

Interventionsbeispiel

  • 2004 initiierte „Population Council“ die Gründung des Programms „Abriendo Oportunidade“, das in ländlichen Gebieten Mädchen zwischen acht und 18 Jahren, vor allem aus der Maya-Community, dabei unterstützt, selbstbestimmt zu leben.[viii] Eine erste Evaluation ergab, dass die Teilnehmerinnen des Programms länger in der Schule bleiben, später Kinder gebären und selbstständiger wichtige Entscheidungen treffen, als Mädchen, die nicht an „Abriendo Oportunidade“ teilnahmen.[ix]
  • Gemeinsam mit dem guatemaltekischen Bildungsministerium arbeitet die NGO APROFAM an der Implementierung des staatlichen Programms „Integral Sexual Education Strategy“. An Schulen informieren sie Kinder und Jugendliche über das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Außerdem haben sie ein Pilotprojekt gestartet, das sich an männliche Jugendliche richtet und zu Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und väterliche Verantwortung informiert.[x]

 

Quellen


[i] http://www.nytimes.com/interactive/2015/02/08/opinion/sunday/exposures-child-bride-mother-stephanie-sinclair.html?_r=0

[ii] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Guatemala_node.html

[iii] https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gt.html

[iv] http://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/MarryingTooYoung.pdf

[v] http://www.girlsnotbrides.org/child-marriage/guatemala/

[vi] http://www.unfpa.org/end-child-marriage

[vii]http://oegf.at/wp-content/uploads/2018/02/weltbevbericht_2013_DE.pdf

[viii] http://www.popcouncil.org/research/abriendo-oportunidades-opening-opportunities

[ix] http://www.cfr.org/peace-conflict-and-human-rights/child-marriage/p32096#!/?cid=otr_marketing_use-child_marriage_Infoguide#!%2F

[x] http://girlsnotbrides.theideabureau.netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2014/01/Equality-Now-Protecting-the-Girl-Child-JAN-2014.pdf