Unsere Leseempfehlungen
Carolin Leder & Tugay Saraç, Ibn Rushd-Goethe Moschee (HG.): Liebe ist halal - Queer und muslimisch

Querverlag GmbH, Berlin 2025, 240 Seiten, Taschenbuch, 20,00 Euro
Der Sammelband ist eine Pflichtlektüre für alle, die den familiären, politischen und gesellschaftlichen Kampf queerer MuslimInnen und Ex- MuslimInnen in Deutschland (besser) verstehen möchten. Persönliche Geschichten wie die von Transaktivistin Berfin Çelebi, der queer-feministischen Aktivistin Marwa Khabbaz oder auch von Tugay Saraç, der seine eigene Homosexualität ablehnte und sich zunehmend in seiner Jugend radikalisierte, zeugen von der Stärke junger Menschen trotz Ablehnung, Gewalt und Diskriminierung, ihren Weg zu finden. Eindrücklich beschreiben die ProtagonistInnen wie sie sexualisierte Gewalt, patriarchale Kontrolle und Unterdrückung in ihren Familien und sozialem Umfeld überlebten.
Konsequenterweise ist das Buch allen queeren MuslimInnen und Ex-MuslimInnen gewidmet, denn dieses „Buch soll ein Zeugnis eurer Stärke sein und anderen als Leuchtturm dienen. Eure Geschichten sind unser Licht in der Dunkelheit, ein Symbol für den Widerstand und eine Hoffnung auf eine bessere, eine offenere Welt. Wir wünschen uns vor allem eines für euch: Freiheit.“
Ergänzend zu den persönlichen Geschichten, finden sich im Sammelband Texte u.a. von AkademikerInnen und IslamwissenschaftlerInnen wie Dr. Sama Maani, Donja Hodaie, Prof. Dr. Ali Ghandour und Dr. Arash Guitoo, welche sich mit bspw. heteronormativen Ordnungen und dem Einfluss traditioneller Normen auf queere Identitäten auseinandersetzen. Gläubige, die den Koran konservativ auslegen, insistieren auf einer Unvereinbarkeit von religiösen und einer sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität. Ihre Welt ist heteronormativ und binär, patriarchale Gewalt lässt sich im familiären wie im gesellschaftlich-politischen Bereich legitimieren.
Für queere MuslimInnen ist Sichtbarkeit elementar. Das Wissen nicht allein zu sein und mit dem Leuchtturmprojekt "Anlaufstelle Islam und Diversität" an der Ibn Rushd-Goethe Moschee BeraterInnen zur Seite zu haben, die sie verstehen, nicht verurteilen und weiterhelfen, ist für queere Personen entscheidend. Sie finden einen Safe Space und teilweise zum ersten Mal Personen, die sie verstehen. Wie zerbrechlich dieser Safe Space ist, zeigt bspw. das Beispiel von Tugay Saraç. Als muslimischer Homosexueller versteckte er sich nicht mehr und zeigte bei den „Liebe ist halal“-Plakaten Gesicht. Dafür musste er entsetzlich viel Hass und Drohungen aushalten. Daher ist es umso wichtiger, dass die Anliegen von queeren Musliminnen und Ex-Musliminnen sichtbarer werden. Der Sammelband bietet dafür eine exzellente Möglichkeit.
Diana Schieck: Religionsverbundene Konflikte im Berliner Schulalltag

Erfahrungen und Perspektiven von Pädagog:innen und Schüler:innen
Nomos Verlagsgesellschaft, 2024, 240 Seiten, Taschenbuch 59,00€
Schiecks Dissertation ermöglicht einen tiefgründigen Einblick in den Berliner Schulalltag und wie dort Religion und religiöse Identität als Segregationsmechanismen und Diskursblocker fungieren können. Mit präziser und klar strukturierter Sprache nimmt Schieck ihre Leserschaft mit in die Welt der Wissenschaft. In der Datenauswertung ihrer qualitativen Interviews mit PädagogInnen und SchülerInnen werden Aussage wie beispielsweise „So ist das bei uns“ eingehender analysiert. Die interviewten SchülerInnen beschrieben, wie sich ihre MitschülerInnen im religionsverbundenen Konfliktfall auf (vermeintliche) religiöse Regeln berufen und diese als alleinige Argumente einsetzen. Damit können religionsverbundene Konflikte als unlösbar wahrgenommen werden.
Misogyne und homophobe Aussagen bagatellisiert
SchülerInnen legten problematisches Verhalten von Lehrkräften dar. Zum Beispiel, wenn frauenfeindliche Aussagen im Unterricht fielen und PädagogInnen diese als freie Meinungsäußerung markierten. Seitens der Schülerschaft ließ sich teilweise auch eine Bagatellisierung bei den Lehrkräften beobachten, die religionsverbundene Konflikte als nicht bedeutend genug betrachten. Hier beschrieben SchülerInnen wie religiös begründete Homophobie als Meinungsfreiheit verortet wurde. Auf der anderen Seite berichtet eine Pädagogin wie sie mit der Aussage eines religiösen Schülers konfrontiert wurde: „Du bist eine schlechte Muslima, so wie du aussiehst und so. Also du hast mir gar nichts zu sagen“. Auch SchülerInnen, die beispielsweise kein „Kinderkopftuch“ tragen möchten, dafür allerdings bauchfreie Kleidung, erfahren von religiösen MitschülerInnen Ablehnung und eine „Belehrung“ was haram sei – also eine Sünde.
Schule als Schutzraum – Konflikte sind grundsätzlich nicht negativ
Das oben beschriebene Verhalten der Bagatellisierung ist schädlich, da Frau Schieck in der Publikation herausarbeitet, wie das Sprechen über Konflikte es ermöglicht, dass Schule als Schutzraum auch für religiöse SchülerInnen dienen kann. Sprechen über Konflikte ermöglicht eine Stärkung der Meinungsbildung der SchülerInnen auch gegen repressive Vorstellungen (außerschulischer) Dritter und Eltern. Insbesondere in pluralistischen Gesellschaften, die von einer Vielzahl religiöser Zugehörigkeiten, Überzeugungen, Kulturen und Ethnie geprägt sind, stellt Religion im Schulalltag und damit verbundene Konflikte einen bedeuteten Aspekt bildungspolitischer Diskurse dar. Konflikte sind daher nicht grundsätzlich negativ zu betrachten. Konflikte sind relevanter Bestandteil demokratischer Aushandlungsprozesse im Schulalltag. Jedoch fühlen sich PädagogInnen unzureichend auf Konflikte im Schulalltag vorbereitet, die mit Religion in Verbindung stehen.
Schiecks Dissertation ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich vertiefend mit In- und Outgroupdynamiken sozialer SchülerInnengruppen in Bezug auf religiöse Identität sowie dem pädagogischen Bedarf an Unterstützungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten befassen möchten.
Christian Klar: Was ist los in unseren Schulen? Ein Schulreport.

Weckruf an Politik und Gesellschaft
Seifert Verlag, 2024, 208 Seiten, Taschenbuch 22€
Christian Klar, Schulleiter einer sogenannten Brennpunktschule in Wien, ist seit über 40 Jahren im Schuldienst tätig. Sein Buch versteht er als Weckruf an Politik und Gesellschaft. Er weiß wovon er schreibt, denn er ist mittendrin. Er beobachtet jeden Tag wie Schule gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt: Nationalismus, Rassismus und religiöser Fanatismus werden immer stärker. Die Frage wie Kultur und Religion das Schulleben beeinflussen, steht in seinem 200-seitigen Buch im Vordergrund. Er macht deutlich, dass aus dem „Wir schaffen das!“ längst ein „Schaffen wir das?“ geworden ist.
Für den Schulleiter Klar ist es Pflicht, sich für eine liberale und offene Gesellschaft einzusetzen und diese zu schützen. Das heißt aber auch: Keine falsche Toleranz gegenüber Weltbildern, die diesen Werten diametral sind.
Mit kurzen, prägnanten Erzählungen aus seinem Schulalltag nimmt er die Leserschaft mit und stellt ihr ganz unterschiedliche Menschen vor. So erzählt er zum Beispiel von Siwan. Siwan ist als Flüchtling nach Österreich gekommen. Er lehnt seine queere Mitschülerin ab und erklärt ihr, dass sie in der Türkei für ihr Queersein eingesperrt würde. Daraufhin erfolgt ein Gespräch, in dem wiederum Siwan erklärt wird, dass dieser mit Eintritt der Volljährigkeit ja wieder in einem Land leben könne, dessen Werte und Regeln er bevorzugt. Für Siwan steht danach fest, dass Klar rassistisch ist. Er verbreitet dieses Narrativ auch außerhalb der Schule.
Der Weg in die Integration hat manche Hürden und viele Gesichter. Klar berichtet u.a. von engagierten Eltern und SchülerInnen, welchen geschlechtsspezifische Gefahren drohen. Der Autor erzählt wie er durch Waris Dirie, die Autorin von "Wüstenblume", mehr über weibliche Genitalverstümmelung (englisch FGM) erfahren hat. Auch Zwangsheirat und Kinderehen kommen in Österreich vor und in der Brennpunktschule von Klar. Dem großen Themenkomplex Islam widmet der Schulleiter zwei Kapitel. Er spricht über „Hijab-Influencerinnen“ auf TikTok, die zum Beispiel das Tragen von „Kinderkopftuch“ und „moderater“ Kleidung glorifizieren und dass immer mehr SchülerInnen, ihren Empfehlungen folgen. Er bereichtet darüber, wie die Einhaltung von islamischen Regeln streng überwacht wird und der Schulalltag geprägt ist von dem, was haram (verboten) und dem, was halal (erlaubt) sei.
Klar hat ein lesenswertes Buch mit vielen positiven und negativen Geschichten aus dem Schulalltag vorgelegt. Nicht immer gelingt Integration sofort, aber oft schneller als man denkt. Die Bandbreite seiner Schilderung zeigt jedoch auch, dass die Herausforderungen vielfältig sind und Schulen Unterstützung brauchen. Es besteht dringender politischer wie gesellschaftlicher Handlungsbedarf. Schule muss (wieder) ein neutraler Raum sein, wo demokratische Werte wie beispielsweise (sexuelle) Selbstbestimmung, positive und negative Religionsfreiheit sowie die Gleichberechtigung von Frau und Mann vermittelt werden.
Narges Mohammadi: „Frauen! Leben! Freiheit! – Frauen in iranischen Gefängnissen erzählen“

FRIEDENSNOBELPREIS 2023 für Narges Mohammadi!
Rowohlt Verlag, 2023, 308 Seiten, 14,00€
Angst, unbehandelte Verletzungen, Schmerz, Schlafentzug, Einsamkeit, Unwissenheit wie es Familie und Freunden geht, Ekel, Gedächtnisverlust und Verwirrtheit, das Gefühlt verrückt zu werden. Es sind die Emotionen und Erlebnisse die dreizehn, weiblichen politischen Gefangene in Isolationshaft erleben und in eindrücklicher Weise in Narges Mohammadis Buch schildern. Im englischen Originaltitel unter „White Torture“ erschienen. Diese Form der Folter zielt darauf ab die Psyche der Inhaftierten teilweise oder dauerhaft zu schädigen.
Als iranische Frauenrechtsaktivistin, Journalistin und Vizepräsidentin des Defenders of Human Rights Centers, war Mohammadi bereits zwölf Mal inhaftiert und schreibt das Vorwort des Buches in den letzten Stunden ihres Hafturlaubes 2021. Im selben Jahr war Narges Mohammadi für den Friedensnobelpreis nominiert. Im Unrechtsregime des Irans wird sie für das Buch für 8 Jahre Gefängnis und 74 Stockhiebe verurteilt. Der Vorwurf: Sie hätte das Ansehen der islamischen Republik Irans in der Welt beschmutzt.
Weiße Folter wird systematisch in iranischen Gefängnissen angewandt. Die Isolationshaft richtet körperliche wie seelische Schäden an. Gezielt werden die Gefangenen entmenschlicht, gedemütigt, entwürdigt. Die Schilderungen wie der Gestank der völlig verdreckten Toiletten den Gefangenen den Schlaf und jeglichen Appetit raubt, lassen nur erahnen, wie es ist in einer winzigen, kaum mit Frischluft versorgten Zelle ohne Tageslicht leben, essen und schlafen zu müssen. Wie das Licht, das 24 Stunden angeschaltet bleibt, den Schlaf fast unmöglich macht. Teilweise werden den Gefangen auch jegliche Reinigungsutensilien verweigert, was als zusätzliche Erniedrigung und Machtmissbrauch empfunden wird. Andere haben Zellen ohne Toiletten und müssen warten, ob und wann das Wachpersonal die Zelle aufschließt. So banal es klingen mag, es gibt auch keine Spiegel. Die Gefangene berichten, wie sie über sich selbst erschrecken sich nach Wochen oder Monaten, blass, müde und abgemagert zum ersten Mal wieder zu sehen.
Zusätzlich zu den Haftbedingungen in der Zelle, sind die stundenlange Verhöre verstörend und traumatisierend. Im Buch wird eindrücklich geschildert was es bedeutet in totaler Abhängigkeit von seinen Verhörern (meist ausschließlich Männer) zu sein. Bewusst wird das Gefühl erzeugt völlig ausgeliefert und schutzlos zu sein. Ihre Familien duften sie oftmals monatelang nicht kontaktieren. Teilweise versuchten die Verhörer die Gefangen zu brechen, indem sie behaupten, Familienmitglieder seien verstorben. Nigara Afsharzadeh schildert wie sie den männlichen Verhörern den Geschlechtsverkehr mit Ihrem Ehemann „nachspielen“ musste. Einer ihrer Verhörer putze sich Nase und warf sein Taschenbuch auf den Boden mit den Worten: „Frauen sind wie Taschentücher. Man benutzt sie und wirft sie dann weg“. In ihrer Zelle zerkleinerte sie ihr Essen, um Ameisen anzulocken und stundenlang mit ihnen zu sprechen, damit sie sich nicht so einsam und verlassen fühlte.
Die Berichte der politischen Gefangenen sind nur schwer zu ertragen. Vor allem in dem Wissen, dass einige der Interviewten aktuell (wieder) inhaftiert sind. Zudem gehen Schätzungen davon aus, dass seit der feministischen Revolution nach dem Tod von Jina Mahsa Amini über 20.000 weitere Gefangene hinzugekommen sind. Und gerade deswegen ist dieses Buch so lesenswert. Es ist auch ein Aufruf an die LeserInnen die todesmutigen Demonstrierenden im Iran nicht zu vergessen. Mohammdis Buch ist einer der aktuellsten und eindrücklichsten Aufrufe die Feministische Revolution mit allen Mittel zu unterstützen.
Das Buch im TDF-Shop bestellen
Shole Pakravan mit Steffi Niederzoll: „Wie man ein Schmetterling wird – Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari“

Berlin Verlag, 2023, 267 Seiten, 24,00€
Das grausame, zutiefst ungerechte und patriarchale Rechtssystem der Islamischen Republik Iran wird in diesem eindrücklichen und empfehlenswerten Sachbuch am Schicksal von Reyhaneh Jabbari deutlich. Das Leben der ehrgeizigen und erfolgreichen jungen Frau änderte sich an nur einem Nachmittag. Als ein Kunde sie versucht zu vergewaltigen, greift sie in Notwehr zu einem Messer und sticht einmal zu. Sie ruft den Rettungsdienst und flieht voller Panik. Bereits in der Nacht wird sie verhaftet und der folgende Gerichtsprozess ist eine Farce. In Haft wird sie gefoltert, ihr gesagt ihre Familie hätte sie verstoßen. Trotz vieler Beweise, die auf Notwehr hindeuten, hat Reyhaneh Jabbari vor Gericht keine Chance, da ihr versuchter Vergewaltiger ein mächtiger und exzellent vernetzter Mann war, der – selbst nach seinem Tod – von der patriarchalischen Gesellschaft geschützt wird.
Dieses emotionale Sachbuch zeichnet das viel zu kurze Leben von Reyhaneh Jabbari mit Hilfe von geschmuggelten Briefen und heimlich aufgenommenen Audiodateien nach. Ihrer Mutter Shole Pakravan ist es zu verdanken, dass ihr „Gerichtsprozess“ und ihre Haftzeit nachgezeichnet werden können. Fußnoten erklären iranische und islamische Begriffe für die deutsche Leserschaft. Diese Dokumentation der Ungerechtigkeit, der Willkür, der Misogynie, der entsetzlichen Schariagesetze ist oft schwer zu ertragen und doch kann man das Buch kaum aus der Hand legen.
In Haft, wissend das ihr Todesurteil vollstreckt werden kann, setzt sich Jabbari für ihre Mitgefangenen ein. Sie hört den verurteilten Frauen zu, die vergewaltigt, in die Prostitution gezwungen, misshandelt wurden. Beispielsweise Minas Geschichte: Von ihrer Mutter in die Prostitution gezwungen, damit ihre Brüder ein leichteres Leben haben.
Trotz Drohungen und Einschüchterungen des iranischen Unrechtsregimes, entschloss sich Pakravan an die Weltöffentlichkeit zu gehen, damit ihre Tochter noch gerettet werden könnte. So setzte sich in Deutschland auch unsere Mitfrau Mina Ahadi für Reyhaneh Jabbari ein und kämpft gegen die Todesstrafe und die Praxis der Steinigung. Sie startete Protestkundgebungen und Petitionen, auch unterstützt von TERRE DES FEMMES. Die Hoffnung war, dass ihr Fall bei Catherine Ashton, damalige Verhandlungsleiterin der EU über das Nuklearabkommen mit dem Iran, und Ahmad Shaheed, UN-Berichterstatter über Menschenrechtsverletzungen im Iran, Beachtung findet. Die Hinrichtung konnte trotz internationalem Protest nicht verhindert werden. Die Schilderungen von Reyhaneh Jabbaris Beerdigung gehören zu den intensivsten Beschreibungen des Buches.
Die Co-Autorin Steffi Niederzoll hat das Buch verfilmt. Sieben Winter in Teheran hat bei der diesjährigen Berlinale (2023) den Friedensfilmpreis erhalten. Das Buch endet mit Pakravans Wunsch, dass die neue, feministische Revolution im Iran siegen wird. Obgleich ihre Tochter nicht mehr lebendig wird, soll keine weitere Frau ihr Schicksal erleiden. Auf kurdisch Jin, Jiyan, Azadi - Frau Leben Freiheit sind auch Reyhanehs Visionen gewesen: Machtpositionen werden nicht mehr ausgenutzt, keine Frau mehr vergewaltigt, die Rechte der Schwachen werden nicht verletzt, nur weil sie schwach sind.
Gilda Sahebi: "Unser Schwert ist die Liebe"

Die feministische Revolte im Iran
S. Fischer, 2023, 256 Seiten, 24,00 €
"Das ist ein Schlachtfeld. Unser Schwert ist Liebe.", so rappt der inhaftierte Toomaj Salehi. Er ist zum Zeitpunkt der vorliegenden Rezension immer noch inhaftiert und zum Tode verurteilt. Wer Sahebis Twitter Account folgt, kennt bereits viele der Geschichten und Informationen der seit September 2022 anhaltenden Revolution. Das Buch vertieft diese Geschichten, liefert Hintergrundinformationen und ergänzt. Insgesamt ein sehr lesenswertes und erschütterndes Buch.
Zwischen Dezember 2022 und März 2023, innerhalb kürzester Zeit geschrieben, ist es auch hoch aktuell. Es ist auch für Personen geeignet, die sich noch nicht eingehend mit der feministischen Revolution im Iran beschäftigt haben. Die Interviews mit Nasrin Sotodeh, Menschenrechtsanwältin, und Jakaw Nick, non-binärer Oppositioneller, gewähren einen erschütternden Einblick in die Ausmaße der staatlichen Willkür und Repression.
Gerne hätte sie auch differenzierter die politischen Dimensionen des Verhältnisses zwischen Deutschland und dem Iran, vor allem die wirtschaftlichen Verflechtungen, darstellen können.
Der lange Arm des iranischen Geheimdienstes, vor dem sich auch Exil-IranerInnen und Geflüchtete in Deutschland fürchten müssen, wird kaum angesprochen.
Das Buch der studierten Ärztin und Politikwissenschaftlerin ist dennoch empfehlenswert, da es unterschiedliche Aspekte der Revolution anspricht: Die Rolle der Musik, die feministische Perspektive sowie die lange und gewaltvolle Geschichte der staatlichen Unterdrückung. Sehr gelungen ist auch, dass Sahebi die noch viel weniger sichtbare Revolution in den marginalisierten Provinzen wie Sistan und Belutschistan heraushebt. Auf Grund der Armut, weniger Smartphones und weniger Möglichkeiten die staatliche Internetspeere zu umgehen, gelangen kaum Informationen an die Öffentlichkeit.
Trotz der im Iran vorherrschenden Düsternis schafft es Sahebi, das Licht der Hoffnung, dass die Demonstrierenden in sich tragen, sichtbar zu machen.
Hartmut Kreß: Religionsunterricht oder Ethikunterricht?

Entstehung des Religionsunterrichtes
Rechtsentwicklung und heutige Rechtslage – politischer Entscheidungsbedarf
Herausgegeben vom Institut für Weltanschauungsrecht, Nomos Verlagsgesellschaft, 2022, 238 Seiten, 68,00 €
Hartmut Kreß gelingt es auf eine verständliche und dezidierte Weise einen großen geschichtlichen Bogen von der Entstehung des heutigen konfessionellen Religionsunterrichts bis hin zu den künftigen Reformoptionen zu ziehen. Hierbei wird die Bonner Verfassung an die Weimarer Verfassung angeknüpft, die Zeit während des Nationalsozialismus bleibt ausgeklammert.
Kreß, emeritierter Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik in der Theologischen Fakultät Kiel, unterteilt den Band hierzu in Teil A. Geistes- und rechtsgeschichtliche Voraussetzungen des heutigen Religionsunterrichts, B. Religionsunterricht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der Weimarer Verfassung und abschließend Teil C. Heutige Problemkonstellation – künftige Reformoption.
Seit dem 16. Jahrhundert war der Religionsunterricht der Kern des Schulunterrichts und selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es noch die Auffassung, Religion und Religionsunterricht seien die Mitte der schulischen Erziehung. Indirekt gründet der Religionsunterricht in die Zeit der protestantischen Reformen, dem Übergang des Mittelalters in die Neuzeit und wurzelt somit in der Vormoderne. Kreß gelingt es den langen geschichtlichen Bogen komprimiert darzustellen und herauszuarbeiten warum die historischen Wurzen elementar sind und sich im unserem heutigen Grundgesetzt in Art. 7 Abs. 3 niedergeschlagen hat.
Im Schlussteil C werden neben der sozioreligiösen Pluralisierung und der Säkularisierung erläutert warum der Religionsunterricht in die Defensive geraten ist und sogar in kirchlichen Debatten eingeräumt wird, er sei kaum noch im Schulalltag durchzuhalten. Der durch Art.7 Abs. 3 GG gesetzte Rechtsrahmen im Schulalltag wird praktisch unterlaufen.
Folgerichtig resümiert Kreß, dass dies rechtsethisch nicht akzeptabel sei. Er plädiert für einen Ethik-Unterricht, welcher gegenüber einem konfessionellen Unterricht keine Segregation mit sich bringt, ein integratives und gemeinsames Lernen ermögliche und somit pädagogisch wie institutionell abzusichern sei.
Religions- oder Ethikunterricht? Diese Frage gelingt es Kreß eindeutig zu beantworten und hierbei die historischen Wurzeln und Entwicklungen einzubeziehen sowie auf die aktuellen Bedingungen einzugehen. Lesenswert und informativ.
Masih Alinejad: Der Wind in meinem Haar

Mein Kampf für die Freiheit iranischer Frauen
Alibri, 2022 Aschaffenburg, 478 Seiten, 24,- €
Ihr eigentlicher Vorname, Masoumeh, bedeutet übersetzt „unschuldig“: Ein Attribut, das ihr später von ihren fundamentalistischen Widersachern sicher abgesprochen wurde.
Alinejad wächst als jüngste einer achtköpfigen armen Bauernfamilie im Norden Irans auf. Sie wird 1976 geboren, nur knapp drei Jahre vor der Islamischen Revolution, die nach dem Sturz des Schahs die Islamischen Republik Iran begründet.
Besonders Frauenrechte sind in der Republik der Mullahs eingeschränkt. Alinejad bekommt dies früh zu spüren, da Mädchen ab sieben Jahren ein Kopftuch tragen müssen. Sie lernt schnell, dass in der Öffentlichkeit keine Haarsträhne unter ihrem Hidschab rausschauen darf, sonst drohen Schläge oder sogar eine Verhaftung. Ihr Aufwachsen ist geprägt von dem Satz – „Du kannst das nicht“, weil du ein Mädchen bist. Doch Alinejad beginnt, sich gegen das frauenfeindliche Regime aufzulehnen – zunächst in der Schule, der sie verwiesen wird, und später als Mitbegründerin einer Untergrundorganisation. 1996 werden sie und ihre MitstreiterInnen verhaftet und verhört, doch die junge Frau wird auf Bewährung freigelassen. Mit einer vorehelichen Schwangerschaft, ihrer rebellischen Art und späteren Scheidung bringt sie in den Augen ihrer Angehörigen Schande über die Familie.
Mit 24 geschieden, allein in Teheran, beginnt sie als Journalistin im Politikressort zu arbeiten und wird schließlich Parlamentsreporterin. Nachdem sie öffentlich die hohen Gehaltsabrechnungen der iranischen Politiker und die Korruption im Land anklagt, wird sie gefeuert. Sie ist fast 30 Jahre alt als sie zum ersten Mal die Grenzen ihres Heimatlandes passiert und - zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ihren Hidschab ablegen kann: In Beirut müssen muslimischen Frauen kein Kopftuch tragen! Was für ein befreiendes Gefühl!
2009 wird es für sie zu gefährlich im Iran. Sie muss das Land verlassen.
Zunächst studiert sie in Oxford, zieht später nach New York und setzt sich aus dem Exil heraus für iranische Frauen und gegen den Kopftuchzwang ein.
Mit ihrer Kampagne My Stealthy Freedom (Meine Heimliche Freiheit), die sie 2014 auf Facebook startet, wird sie über Nacht bekannt. Dort postet sie Fotos von Frauen aus dem Iran, deren Haar nicht von einem Kopftuch bedeckt ist. Nach kurzer Zeit hat sie hunderttausende UnterstützerInnen und wird im Iran gefeiert.
Alinejad wird zur Stimme der iranischen Frauenbewegung und kritisiert mit weiteren Kampagnen das Regime. Aus dem Exil unterstützt sie die Protestierenden in ihrer ehemaligen Heimat. Sie dreht einen Dokumentarfilm, schreibt und macht weiterhin auf die Situation der Frauen im Iran aufmerksam.
Die iranische Regierung versucht die Aktivistin jahrelang einzuschüchtern und setzt den Geheimdienst auf sie und ihre Familie an, doch die Journalistin lässt sich davon nicht einschüchtern.
Heute ist sie bekannt für ihre Lockenmähne, die immer mit einer gelben Blume geschmückt ist – weil sie stolz auf ihre Haare ist und diese nicht verstecken möchte. Damit alle iranischen Frauen diese Freiheit erleben können kämpft sie unermüdlich.