Institutionelle Gewalt und fehlender Gewaltschutz im Umgangsrecht
Wenn Paare mit Kindern sich trennen, sich zur Umgangsregelung untereinander aber nicht einvernehmlich einigen können, werden Jugendämter und Familiengerichte hinzugezogen. Bei diesen Prozessen lassen sich patriarchale Strukturen erkennen, die gewaltbetroffene Frauen systematisch ausliefern und es erlauben, dass gewaltausübende Väter auf institutionellem Weg auch nach der Trennung Kontrolle über ihre Ex-Partnerin auszuüben.

Jedes Jahr werden in Deutschland vor Familiengerichten im Kontext von Trennungen etwa 100.000 Fälle verhandelt. Dabei geht es vor allem darum umgangs- oder sorgerechtliche Fragen zu entscheiden.[1] Meist soll eine einvernehmliche Lösung zwischen Müttern und Vätern zum Umgang mit den gemeinsamen Kindern gefunden werden. Mütter und Väter, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt und die beide weiter einen festen Platz im Leben des Kindes möchten. Leider ist das jedoch nicht immer der Fall. Denn Trennungen können problematisch sein, in manchen Fällen sogar gefährlich. Vor allem für Frauen. Denn bei jeder zehnten Trennung kommt es zu sogenannter Nachtrennungsgewalt, also Gewalt gegen die Frau und/oder das Kind durch den Ex-Partner. Frauen mit Kindern sind überdurchschnittlich stark betroffen: 41% aller Mütter, die im Trennungskontext Gewalt erfahren, wurden während der Umgangszeiten oder in Übergabesituationen vom Kindsvater angegriffen. Hier zeigt sich, wie gefährdet gewaltbetroffene Mütter durch die Umgänge gewalttätiger Väter sind. Häufig aber nicht immer geht der Nachtrennungsgewalt eine gewaltvolle Beziehung voraus (Christina Mundlos 2023). Kam es bereits während der Beziehung zu häuslicher Gewalt, wird in 90 Prozent der Fälle Nachtrennungsgewalt ausgeübt (Barnett 2020, S. 20).
Nachtrennungsgewalt
Tatsächlich kann häusliche Gewalt nach einer Trennung beginnen, weitergehen, oder sich intensivieren. Den gewaltausübenden Männern geht es dabei vor allem um eines: sie wollen Kontrolle ausüben und ihre Macht über Frau und Kind nicht verlieren. Sie sehen ihre Familie als ihren Besitz. Und im Moment der räumlichen Trennung, die auf das Ende der Beziehung folgt, finden sie neue Wege, um in das Leben ihrer Ex-Partnerin einzugreifen. Dabei werden auch Institutionen und Behörden instrumentalisiert, die diese Gefahr oft verkennen. Angesichts des Verlustes des direkten Zugriffs auf die Frau im Trennungskontext versuchen gewalttätige Väter Umgang mit ihrem Kind gerichtlich zu erzwingen. Dabei geht es oft nicht um den Kontakt mit dem Kind, sondern darum weiter Gewalt und Kontrolle über die Ex-Partnerin auszuüben. Ziel ist die Zermürbung der Frau. Es handelt es sich nicht nur um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem schockierenden Ausmaßes.
Väter sind faktisch unantastbar
Gerichte und Jugendämter unterschätzen die Häufigkeit gewalttätiger Beziehungen. Ein Bewusstsein für die Gefahr durch Nachtrennungsgewalt bei Partnerschaften scheint nicht zu bestehen. Dabei belegen Studien, dass bei Fällen, die vor dem Familiengericht entschieden werden, 25 bis 50 Prozent der Väter gewalttätig waren oder sind.
Behörden und Gerichte spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie priorisieren die Durchsetzung der Rechte von Vätern und verkennen tendenziell die Gefahr für Mutter und Kind. Eine Gewalttätigkeit des Vaters gegen die Mutter hat häufig keine Auswirkung auf die Entscheidung der Behörden zum Umgang von Vater und Kind. Gewaltbetroffene Mütter leben daher in ständiger Angst und werden über das Umgangsrecht zum Kontakt mit dem Täter gezwungen. Während den Müttern psychische Probleme unterstellt werden, werden Gewalttäter wie ganz „normale“ Väter behandelt- ein klassischer Fall von Täter-Opfer Umkehr. Das Umgangsrecht gewalttätiger Väter wird über den Anspruch auf Gewaltschutz von Frauen und Kindern gestellt, den die Istanbul-Konvention vorschreibt.[2] Die Anwältin Christina Mundlos spricht von einer „faktischen Unantastbarkeit der Väter“. Die erlebte Gewalt wird so von den Institutionen fortgeführt und ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern dadurch auch auf der gesellschaftlichen Ebene weiter gestärkt. Diese sogenannte institutionelle Gewalt wird von Betroffenen teilweise als noch zermürbender beschrieben als die vorangegangene häusliche oder die Nachtrennungsgewalt, da sie ein enormes Ohnmachtsgefühl erzeugt – das Vertrauen in den Rechtsstaat wird erschüttert.
Fehlender Gewaltschutz
Es klingt unfassbar: Familiengerichte stützen sich auf nicht-wissenschaftliche Annahmen und genderstereotype Narrative. Es wird beispielsweise unterstellt, dass Kinder, die keinen Umgang mit einem Elternteil haben, schwer gefährdet seien, obwohl es dafür keine wissenschaftliche Grundlage gibt. Im Sinne des „Kindeswohls“ werden Kinder sogar teilweise gewaltsam zum anderen Elternteil gebracht (Ludwig Salgo 2021). Ermöglichen gewaltbetroffene Mütter nicht den Umgang des gewalttätigen Vaters mit dem Kind, werden sie als „bindungsintolerant“ eingestuft. Die Folgen reichen bis hin zum Verlust des Sorgerechts. Die sogenannte „Bindungsintoleranz“ bezeichnet eine vermeintlich symbiotische Beziehung zwischen Mutter und Kind. Gemeint ist eine zu enge Mutter-Kind-Bindung, die angeblich dazu führt, dass das Kind sich nicht frei entfalten und eigene Entscheidungen über die Beziehung zum Vater treffen kann. Mütter werden also beschuldigt ihre Kinder gegen den Vater zu manipulieren, um so den Kontakt zum Vater zu verhindern (Hammer 2022). Bei einer Gewalttätigkeit des Vaters kann der Widerstand des Kindes bei Umgängen aber triftige Gründe haben, die nicht ignoriert werden sollten. Denn die Bedenken von gewaltbetroffenen Müttern bezüglich des Umgangs des gewalttätigen Vaters mit dem Kind sind durchaus berechtigt: in 60 Prozent aller Fälle, in denen der Vater gegen die Mutter gewalttätig ist/war, richtet sich die Gewalt auch gegen das Kind (Christina Mundlos 2023).
Lügen die Mütter?
AnwältInnen raten ihren Klientinnen mittlerweile dazu in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren eine Gewalttätigkeit des Vaters nicht anzuführen. Das wird vor Familiengerichten nämlich oft gegen die Mütter verwendet. Schnell heißt es dann, sie würde lügen, um dem Vater das Sorgerecht streitig zu machen. Auch hier zeigt sich der Einfluss patriarchaler Strukturen und Genderstereotype auf unser Rechtssystem. Dabei deutet eine kanadische Studie darauf hin, dass nur 1,3 Prozent der Frauen in Sorgerechtsverfahren vor Gericht lügen. Bei Männern seien es hingegen 21 Prozent (Christina Mundlos 2023).
Um Mütter besser zu schützen, fordert TERRE DES FEMMES die Aussetzung des Umgangsrechts von gewalttätigen Ex-Partnern. Außerdem fordern wir die umfassende Fort- und Weiterbildung aller Berufsgruppen, die mit gewaltbetroffenen Frauen in Kontakt kommen. Darunter auch PolizistInnen, RichterInnen und Mitarbeitende des Jugendamts. Alle Forderungen zu häuslicher und sexualisierter Gewalt finden Sie hier.
[1] https://www.stern.de/gesellschaft/sorgerecht--eine-mutter-ueber-den-verlorenen-streit---und-die-folgen-33836976.html
[2] https://www.merkur.de/lokales/ebersberg/weltfrauentag-gewalt-jugendamt-recht-frau-straftat-ebersberg-landratsamt-gerechtigkeit-92130453.html
Quellen
Barnett, Adrienne. 2020: „Domestic abuse and private law children cases- A literature review”, Ministry of Justice Analytical Series.
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/nrv-haeusliche-gewalt-neue-richtervereinigung-fordert-aenderungen-im-umgangsrecht, eingesehen am 10. Oktober 2023
https://www.frauenhauskoordinierung.de/arbeitsfelder/umgangsrecht-und-gewaltschutz
Mundlos, Christine. 2023: „Mütter klagen an: Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht“, Büchner-Verlag.
Hammer, Wolfgang. 2022: „"Familienrecht in Deutschland- Eine Bestandsaufnahme".