Ereignisse aus dem Jahr 2015

Am 7. Februar 2015 jährte sich der „Ehren“-Mord an Hatun Sürücü zum zehnten Mal. Hatun Sürücü war 2005 mit nur 23 Jahren von ihrem jüngeren Bruder auf offener Straße in Berlin-Tempelhof erschossen worden. Sie wollte ein freies und selbstbestimmtes Leben führen und hat damit bewusst gegen die strengen Regeln und tradierten Ehrvorstellungen ihrer Familie verstoßen. Durch den Mord wollte der Täter die Ehre der Familie retten.

Anlässlich des 10. Todestages organisierte der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung, dem auch TERRE DES FEMMES angehört, am Vortag des Gedenktages die Veranstaltung „NEIN zu Gewalt im Namen der Ehre“. Im Rathaus Schöneberg wurde auf die Aktualität von „Ehren“-Morden aufmerksam gemacht, indem u.a. Betroffene von sich und ihrem Kampf um ein selbstbestimmtes Leben berichteten. Daneben wurden die Zahlen der aktuellen berlinweiten Befragung (PDF-Datei) zu Zwangsverheiratungen präsentiert.

TERRE DES FEMMES-Referentin Monika Michell bei ihrer Rede. Foto: © TERRE DES FEMMES TERRE DES FEMMES-Referentin Monika Michell bei ihrer Rede.
Foto: © TERRE DES FEMMES
Wie bereits in den zehn Jahren zuvor, nahmen wir auch diese Jahr an der Kundgebung am eigentlichen Todestag Hatun Sürücüs, dem 7. Februar, in der Nähe des Tatortes in Berlin-Tempelhof teil und legten Blumen am Gedenkstein nieder. Gemeinsam gedachten über 100 Menschen an die Ermordung der jungen Frau. Neben der Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und der Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat, hielt auch TERRE DES FEMMES-Referentin Monika Michell für den Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung eine kurze Ansprache.

Der 7. Februar bleibt auch weiterhin ein wichtiger Aktionstag für TERRE DES FEMMES. Wir werden die Erinnerung an das Schicksal von Frauen, die Opfer von Ehrverbrechen wurden, wach halten, auf die Aktualität des Themas hinweisen und eine Verbesserung des Schutzes der Mädchen und jungen Frauen einfordern. Diese Brisanz wurde auch durch die traurige Tatsache deutlich, dass einige Tage vor der Gedenkveranstaltung die Deutsche mit pakistanischen Eltern, Lareeb K., im Namen der Ehre von ihrem Vater erwürgt worden war.

Im Rahmen unseres zweijährigen Schwerpunktes „STOP Frühehen!“ im Bereich Gewalt im Namen der Ehre, fanden 2015 mehrere Veranstaltungen und Projekte statt. Bei der restlos ausverkauften Vorführung des Films „Difret“ (dt. „Das Mädchen Hirut“) in Kooperation mit der Berlin Feminist Film Week machten die Praktikantinnen von TERRE DES FEMMES mit einem Infotisch, Bewirtung und einer Fotoaktion in der Brotfabrik am 11.März 2015 tatkräftig und öffentlichkeitswirksam auf die Themen Gewalt im Namen der Ehre und Frühehen aufmerksam.

Im Anschluss an den Film hielt Monika Michell, Referentin für Gewalt im Namen der Ehre, einen Input über die weltweite Situation im Hinblick auf Zwangsheirat und Frühehen sowie zur Arbeit von TERRE DES FEMMES. Danach wurde ausgiebig mit dem Publikum diskutiert.

„Difret“ erzählt eindringlich die wahre Geschichte der 14-jährigen Hirut aus Äthiopien und ihrer engagierten Anwältin Meaza Ashenafi, die sich gegen Zwangsheirat und für die Rechte von Mädchen und Frauen stark machte und damit einen gewichtigen Wandel in ihrem Land anstieß. Der Film gewann zahlreiche Publikumspreise und Ashenafi wurde 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert. Die Vorführung am 11. März war deshalb der perfekte Anlass, das TERRE DES FEMMES-Schwerpunktthema Frühehen mit einer engagierten Aktion der Praktikantinnen auch für eine junge Zielgruppe sichtbar zu machen.

Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Prof. Dr. Godula Kosack, Dr. Necla Kelek, Sharon Adler (Moderatorin), Myria Böhmecke (Referentin TERRE DES FEMMES). Foto: © TERRE DES FEMMES e.V.Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): Prof. Dr. Godula Kosack, Dr. Necla Kelek, Sharon Adler (Moderatorin), Myria Böhmecke (Referentin TERRE DES FEMMES).
Foto: © TERRE DES FEMMES e.V.
Am 29. Mai veranstaltete TERRE DES FEMMES eine Podiumsdiskussion zum Thema Frühehen unter der Moderation von Sharon Adler. Auf dem Podium diskutierten neben der TERRE DES FEMMES-Referentin Myria Böhmecke Prof. Dr. Godula Kosack, Koordinatorin des von TERRE DES FEMMES unterstützten Projekts „Selbstbestimmung durch Bildung“ (AFFMHL) in Nordkamerun, Dr. Necla Kelek, Koordinatorin des von TERRE DES FEMMES unterstützten Projekts „YAKA-KOOP“ in der Osttürkei, und eine Mitarbeiterin der anonymen Kriseneinrichtung Papatya.

Inhaltlich wurde auf die erschreckende Situation weltweit mit nach UN-Schätzungen täglich mehr als 39 000 Verheiratungen minderjähriger Mädchen eingegangen. Im Speziellen wurde die Situation in Deutschland, der Türkei und Kamerun thematisiert sowie die Arbeit von TERRE DES FEMMES in Kontext gesetzt. Die geäußerten Schicksale betroffener Mädchen zeigen, wie zentral das Thema Frühehen im Einsatz für Frauenrechte ist.

Ein zentrales Mittel unserer Lobbyarbeit zur weltweiten Abschaffung von Frühehen war der Start der Unterschriftenaktion im Oktober 2015. Bis Ende April 2016 wird die Öffentlichkeit mobilisiert, die Petition zu unterschreiben und damit unseren Forderungen nach der ausnahmslosen Durchsetzung des Mindestheiratsalters von 18 Jahren in Deutschland und dem Einsatz der Bundesregierung für die Abschaffung von Frühehen weltweit Nachdruck zu verleihen. Zahlreiche Unterschriften sind bereits eingegangen und wir hoffen, dass bis zur Übergabe an Bundesjustizminister Maas noch viele mehr hinzukommen.

Foto: © Uwe SteinertFoto: © Uwe SteinertDen internationalen Gedenktag „NEIN zu Gewalt an Frauen“ am 25. November nutzte TERRE DES FEMMES um mit einer spektakulären Aktion vor dem Brandenburger Tor auf die Problematik von Frühehen aufmerksam zu machen und für Unterschriften zu werben. Inszeniert wurde eine Hochzeitszeremonie mit einer 10-jährigen Braut, die die Situation von 15 Millionen Mädchen weltweit symbolisieren soll, die jährlich vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet werden. Die Aktion rief große Betroffenheit bei den ZuschauerInnen hervor und wurde durch einen hohen Presseandrang sowie zahlreiche UnterstützerInnen aus der Politik begleitet.

Von Juli 2014 bis Februar 2016 fanden insgesamt 30 Aufführungen des interaktiven Theaterprojektes „Mein Leben. Meine Liebe. Meine Ehre?“, in Schulen in Baden-Württemberg statt. Aufgrund der Verlängerung des Projektes war es möglich, ein größeres Publikum mit dem Theaterstück über Themen wie Zwangsverheiratung, Homosexualität und Jungfräulichkeit zu erreichen und mit SchülerInnen diese wichtigen Themen zu diskutieren.

Einige Szenen aus dem Theaterstück wurden am 6. März 2015 auf einem Symposium anlässlich des Weltfrauentages im Schloss Bellevue aufgeführt. Bundespräsident Gauck lobte die Arbeit mit den Jugendlichen und bedankte sich für das Engagement.

v.l.n.r.: vorne 1. von links: Gabriele Rohmann (Beiratsmitglied Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT), vorne 4. von links: Sandra Stopper (TDF), hinten 3. von links: Tobias Gerstner (Mensch: Theater!). Foto: © Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT).v.l.n.r.: vorne 1. von links: Gabriele Rohmann (Beiratsmitglied Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT), vorne 4. von links: Sandra Stopper (TDF), hinten 3. von links: Tobias Gerstner (Mensch: Theater!).
Foto: © Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt (BfDT).
Außerdem wurde das Schultheaterprojekt vom Bündnis für Demokratie und Toleranz am 25. Juni 2015 in Potsdam mit dem Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz 2014“ ausgezeichnet.  

Das Theaterprojekt ist eine Kooperation von TERRE DES FEMMES mit der Beratungsstelle YASEMIN in Stuttgart und der mobilen Theaterbühne „Mensch: Theater!“. Es wurde aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds und des Ministeriums für Integration Baden-Württemberg ko-finanziert.

Auch 2015 konnte TERRE DES FEMMES einige Fortschritte in der Lobbyarbeit verbuchen.

Eine wichtige Gesetzesänderung, die wir anstreben, ist die Ergänzung um „eheähnliche Verbindungen“ von § 237 StGB, der Zwangsheirat unter Strafe stellt. Wir fordern, dass neben erzwungenen standesamtlichen Eheschließungen auch erzwungene religiöse und soziale Eheschließungen strafrechtlich verfolgt werden. 2015 wurde unsere Forderung in zwei FachministerInnenkonferenzen thematisiert. Zum einen beschäftigte sich die Konferenz der GleichstellungsministerInnen bei ihrer Sitzung im Juli mit der Forderung und beschloss, die Bundesregierung um die Prüfung einer möglichen Änderung von § 237 StGB zu bitten.

Außerdem traf die JustizministerInnenkonferenz im Juni 2015 den Beschluss, den Strafrechtsausschuss mit dem Thema zu befassen.

Endlich ist der Prozess für eine Gesetzesänderung angestoßen worden. Wir werden die Sitzungen der beiden Gremien weiter begleiten und beobachten.

Auch in Bezug auf das Thema Zwangsheirat in der EU gab es Fortschritte. Bisher fehlte eine Erhebung zu Anzahl und Ausmaß von Frühehen und Zwangsheirat in Europa. 2015 wurde nun im Auftrag des Europäischen Parlaments eine Studie mit dem Titel „Study on forced marriages from a gender perspective“ (PDF-Datei) erstellt und im Februar 2016 veröffentlicht.

Im Rahmen dieser Studie wurden 28 Länderprofile verfasst, die das Vorhandensein von Gesetzen zu Zwangsheirat und Frühehen sowie ihre Implementierung in den untersuchten Ländern analysieren. TERRE DES FEMMES hat das Länderprofil zu Deutschland beigetragen.

 

Stand: 03/2016