Ereignisse aus dem Jahr 2011

Im Rahmen eines Pilotprojekts führt TERRE DES FEMMES auch im Jahr 2011 Workshops für MitarbeiterInnen von Behörden und SchulsozialarbeiterInnen in Baden-Württemberg zum Thema Gewalt im Namen der Ehre/ Zwangsverheiratung durch. Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds und vom Sozial- und Justizministerium Baden-Württemberg gefördert. Die Workshops sensibilisieren die TeilnehmerInnen mithilfe von Hintergrundinformationen zur Lebenssituation von Gewalt betroffener junger Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund. Außerdem werden 2.500 Exemplare der begleitenden Broschüre „Koordiniertes Vorgehen bei Gewalt im Namen der Ehre“ aufgrund der großen Nachfrage in aktualisierter Form nachgedruckt, was vom Sozialministerium Baden-Württemberg finanziert wird.

Protestaktion Protest gegen die Erhöhung der Ehebestandszeit, 20.1.11., Irmingard-Schewe-Gerigk (links, TDF-Vorstand) Foto: TERRE DES FEMMESDer Appell (offener Brief an die Kanzlerin) von TERRE DES FEMMES gegen die Erhöhung der Ehebestandszeit im Zuge des Gesetzes gegen Zwangsheirat wird von über 50 Organisationen und Aktivistinnen unterstützt. Bei der öffentlichwirksamen Aktion vor dem Bundestag am 20. Januar sind über 30 AktivistInnen anwesend, bei der die Vorstandvorsitzende Irmingard Schewe-Gerigk eine Ansprache hält. Zeitgleich findet eine Diskussion zu dem Gesetz im Bundestag statt. Mehrere ParlamentarierInnen weisen in ihren Redebeiträgen im Bundestag auf unsere Aktion hin.

Mit dem Zwangsheirats-Bekämpfungsgesetz wird die langjährige Forderung von TERRE DES FEMMES nach einem eigenen Straftatbestand Zwangsheirat endlich erfüllt. Das Gesetz hat eine wichtige Signalwirkung, dass diese schwerwiegende Menschenrechtsverletzung in Deutschland nicht toleriert wird. Weiter haben Betroffene ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die für eine Zwangsheirat ins Ausland verschleppt wurden, nun die Möglichkeit, auch nach Ablauf von sechs Monaten wieder ins Bundesgebiet zurückzukehren. Das Gesetz tritt am 1. Juli 2011 in Kraft. TERRE DES FEMMES wir die praktische Umsetzung des Gesetzes weiterhin kritisch verfolgen.

Am 11. November 2011 stellt Bundesfamilienministerin Schröder die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ vor, die TERRE DES FEMMES gemeinsam mit der Lawaetz-Stiftung und Torsten Schaak vom Büro für sozialpolitische Beratung erstellte. Die Ergebnisse der Studie bestätigen und ergänzen unsere bisherigen Erfahrungen. Besonders alarmierend ist die große Zahl der Verheiratungen, die im Ausland stattfanden bzw. stattfinden sollen. Hier reicht die derzeitige Rechtslage nicht aus, um die Betroffenen effektiv zu schützen und die Täter zu bestrafen. Die Studie zählt 3.443 Frauen und Männern, die sich im Jahr 2008 aufgrund einer drohenden bzw. bereits vollzogenen Zwangsverheiratung an eine Beratungsstelle gewandt hatten.

In den letzten fünf Jahren wurden 200.000 Exemplare des Nothilfeflyers „Wer entscheidet wen du heiratest“ verteilt. Dadurch konnten wir von Zwangsheirat bedrohten oder betroffenen Mädchen und Frauen wichtige Informationen zur Verfügung stellen und sie darin unterstützen, sich aus ihrer Zwangslage zu befreien.

NothilfeflyerAufgrund der vielfachen Nachfrage von Jugend- und Beratungseinrichtungen, Schulen sowie Behörden haben wir 100.000 Exemplare des Flyers mit finanzieller Unterstützung des Familienministeriums aktualisiert und neu aufgelegt. Er ist für Jugendliche und insbesondere junge Mädchen mit Migrationshintergrund zwischen 13 und 19 Jahren bestimmt. Der Flyer soll Mädchen ermutigen, bei einer drohenden Zwangsheirat oder einer Heiratsverschleppung ins Ausland eine der aufgeführten Beratungseinrichtungen zu kontaktieren. Für den Fall einer Heiratsverschleppung enthält der Flyer auch wichtige Verhaltensregeln sowie eine Notfallnummer des Auswärtigen Amtes.

Der interaktive TDF-Hilfsleitfaden „Im Namen der Ehre – misshandelt, zwangsverheiratet, ermordet“ gibt Fachleuten wichtige Informationen und Handlungsempfehlungen für die Arbeit mit Betroffenen. Der Leitfaden wird 2011 komplett aktualisiert. Erstmals ist das neue Zwangsheirat-Bekämpfungsgesetz in einem Leitfaden berücksichtigt und alle Neuerungen sind praxisrelevant aufbereitet.

Am 7. Februar 2011 jährt sich zum sechsten Mal der Tag, an dem Hatun Sürüçü von ihrem Bruder auf offener Straße erschossen wurde. Anlass für den „Ehrenmord“ war, dass Hatun Sürüçü ein modernes, selbst bestimmtes Leben führen wollte. Zum Gedenken an Hatun legten der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg und TERRE DES FEMMES einen Kranz nieder. Hatun Sürüçüs Schicksal steht für unzählige Mädchen und Frauen, die unter Gewalt im Namen der Ehre leiden.

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht führt im Auftrag des Bundeskriminalamts eine Studie zum Thema „Ehrenmorde in Deutschland“ durch und veröffentlicht diese im August 2011. Grundlage der Studie sind Prozessakten der Jahre 1996 bis 2005. Aus der Studie geht hervor, dass pro Jahr von der Justiz etwa zwölf „Ehrenmorde“ erfasst werden. Bei den untersuchten 78 Fällen standen 109 Opfern 122 Täter entgegen, wobei ca. zwei Drittel der Opfer getötet wurden.

Titelblatt der InfobroschüreIn Zusammenarbeit mit pro familia Berlin und dem Familienplanungszentrum Balance wird ein von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finanzierter Flyer zum Thema Jungfräulichkeit für Jugendliche und eine 18-seitige Onlinebroschüre entwickelt. Über 50.000 Stück des Flyers wurden bisher verteilt. Mehrere Länder haben inzwischen Interesse angemeldet, die Materialien zu übersetzen und in ihren Ländern zu verbreiten.

Zeitgleich zur Veröffentlichung der Materialien führt TDF zwei Workshops mit Jugendlichen zum Thema Jungfräulichkeit durch. Mehrere Bundesländer werden von uns aufgefordert, das Thema Jungfräulichkeit wieder in ihren Sexualkundeunterricht aufzunehmen, um über den vorherrschenden Mythos aufzuklären. Ende des Jahres vermerken wir dazu erste positive Rückmeldungen von den Kultusministerien der Länder.

TDF steht weiterhin in Kontakt mit der Bundesärztekammer und der Staatssekretärin  des Bundesgesundheitsministeriums Frau Widmann-Mauz, um sie zu einer kritischen Stellungnahme zu der Praxis der „Wiederherstellung“ des Jungfernhäutchens zu gewinnen. Zusätzlich wird die Vernetzung mit relevanten Arbeitskreisen zu dem Thema verstärkt – wie dem Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. und dem Berliner Netzwerk für Frauengesundheit.