Istanbul-Konvention: TERRE DES FEMMES kritisiert schleppende Umsetzung

Das Publikum beim Grußwort von Beate Rudolf. Foto: © DIMR|DatzDas Publikum beim Grußwort von Beate Rudolf (Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte). Foto: © DIMR | DatzGeschlechtsspezifische Gewalt gehört für viele Frauen zum Alltag. Diese Gewalt, die Frauen weltweit Tag für Tag erleben, in den meisten Fällen von ihren eigenen (Ex-)Partnern oder Verwandten, wird verschwiegen und bagatellisiert. Dabei handelt es sich jedes Mal um eine Menschenrechtsverletzung, gegen die jede Frau geschützt sein sollte, insbesondere durch unsere Gesetze. Vor über einem Jahr, am 1. Februar 2018, trat in Deutschland die Istanbul-Konvention in Kraft. Dieses vom Europarat ausgearbeitete Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, mit entsprechenden Maßnahmen für den Schutz von Frauen vor jeder Form von Gewalt zu sorgen.

Was hat sich seitdem getan?

Anlässlich des ersten Jahrestages des Inkrafttretens in Deutschland fand am 1. Februar 2019 im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Fachtag zur Istanbul-Konvention statt. Dieser wurde vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) und dem Deutschen Juristinnenbund (djb) in Kooperation mit der Humboldt-Universität zu Berlin ausgerichtet. Neben Abgeordneten aus dem Bundestag und Mitgliedern des Parlaments waren auch Fachleute aus dem sozialen Bereich und JuristInnen geladen, um diesen Tag zu gestalten und gemeinsam zu diskutieren, welche Maßnahmen noch ergriffen werden müssen, um die Istanbul-Konvention wirkungsvoll umzusetzen.

Auch nach einem ganzen Jahr ist noch nicht viel passiert. Zwar bietet die Istanbul-Konvention einen gesetzlichen Rahmen für den Umgang und die Bekämpfung Häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Frauen, doch ohne eine praktische Umsetzung bringt auch jede Theorie nicht viel. Die konkreten Forderungen des Übereinkommens sehen z.B. die Einrichtung von Vermittlungsstellen für Betroffene von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt oder die angemessene Anzahl von Frauenhäusern vor. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, die Hilfestrukturen für Frauen und Kinder zu verbessern, die von Gewalt betroffen sind. Auch ein bedarfsgerechter Ausbau sowie die finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern soll erreicht werden. Um diesem Ziel näher zu kommen, soll dieses Jahr noch das Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ zum Ausbau der Strukturen in dem Bereich starten. Laut Frauenministerin Dr. Franziska Giffey sind dafür 5,1 Millionen Euro eingeplant, 2020 dann gut 30 Millionen Euro. Mit den geplanten Geldern werden die Anzahl der benötigten Frauenhausplätze allerdings nicht erreicht und die Lücken im Hilfesystem geschlossen.

Ulle Schauws (MdB, Grüne) und Prof. Dr. Ulrike Lembke (Humboldt-Universität zu Berlin) ©DIMR/DatzUlle Schauws (MdB, Grüne) und Prof. Dr. Ulrike Lembke (Humboldt-Universität zu Berlin). Foto: © DIMR | DatzDas Angebot der „vertraulichen“ bzw. „anzeigenunabhängigen“ Spurensicherung in Deutschland hat sich verbessert, ist aber noch lange nicht ausreichend und flächendeckend. Während Großstädte, wie Frankfurt mit rund sieben Anlaufstellen, gut versorgt sind, wird insbesondere in ländlich geprägten Regionen eine Unterversorgung deutlich. So ist in Thüringen bisher noch keine Institution offiziell bekannt, bei der die vertrauliche Spurensicherung möglich ist.

Für die Umsetzung der Istanbul-Konvention bedarf es personeller und finanzieller Mittel, um einen einheitlichen institutionellen Rahmen für Behörden zu schaffen. Diese politischen Maßnahmen müssen auf allen Ebenen – auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene – ineinandergreifen. Der Maßnahmenkatalog besteht dabei hauptsächlich aus drei Komponenten – Opferschutz, Prävention und Strafverfahren. Die beiden wichtigsten Voraussetzungen bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention bilden eine staatliche Koordinierungsstelle und ein davon unabhängiges Monitoring zur Überprüfung der Einhaltung der festgelegten Forderungen, welches auf Bundes- und Landesebene geschaffen werden soll. Das europaweite Monitoring übernimmt der aus 10 bis 15 Mitgliedern bestehende Ausschuss GREVIO (Group of experts on action against violence against women and domestic violence). Seit Ende letzten Jahres ist auch Deutschland im GREVIO-Ausschuss vertreten, durch Sabine Kräuter-Stockton.

Es scheint, als würde sich die Bundesregierung den in der Istanbul-Konvention festgelegten Verpflichtungen entziehen. Aktionspläne zur Einrichtung der staatlichen Koordinierungsstelle, des unabhängigen Monitorings oder eines unabhängigen Forschungsinstituts zur Datenerhebung und -auswertung von Gewalt gegen Frauen liegen bisher nicht vor. Auch die nachhaltige Finanzierung ist nicht abschließend geklärt.

Einbindung der Zivilgesellschaft

Dr. Birgit Schweikert (Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) ©DIMR/StelzerDr. Birgit Schweikert (Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Foto: © DIMR | StelzerDie große Besonderheit der Istanbul-Konvention ist die Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Diese soll bei der Überprüfung der Vertragsstaaten eine wichtige Rolle spielen und durch Expertise und neuen Input die Zusammenarbeit stärken. Die Frage bleibt allerdings, wie dies vonstatten gehen soll. Zwar wurde auf Initiative von Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey ein Runder Tisch von Bund, Ländern und Kommunen ins Leben gerufen, der im September letzten Jahres seine Arbeit aufnahm, doch fand dieser bisher nur unter Ausschluss der Zivilgesellschaft statt. Wann und wie diese schließlich miteinbezogen werden soll, blieb auch während der Fachtagung leider offen.

Dabei bedarf es, neben einem flächendeckenden, barrierefreien und somit für alle Betroffenen zugänglichen Hilfesystem, einen Bewusstseinswandel der gesamten Gesellschaft. TERRE DES FEMMES fordert deshalb, die Forschung zu verstärken (die letzte Prävalenzforschung liegt 14 Jahre zurück – Studie des BMFSFJ aus dem Jahr 2004: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen), die wissenschaftliche mit der rechtlichen und sozialwissenschaftlichen Expertise zusammenzubringen und auch die Pädagogik zu berücksichtigen. Außerdem muss die Viktimisierung bei Befragungssituationen in Sexualstrafverfahren bekämpft werden, damit es zu keiner Retraumatisierung der Betroffenen kommt. Dafür könnten Fort- und Weiterbildungen für JuristInnen angeboten werden. Zudem fordert TERRE DES FEMMES die Unterstützung Betroffener aller Gewaltformen, auch der Digitalen.

Zu kritisieren ist außerdem der Vorbehalt, der Migrantinnen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus das Recht auf Unterstützung bei Gewalterfahrungen versagt. Es sind aber vor allem Minderheiten und marginalisierte Gruppen, wie geflüchtete, behinderte oder wohnungslose Frauen, die von Gewalt betroffen sind und besonderer Unterstützung bedürfen.

Was noch passieren muss

Juliane Seifert (Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend). Foto: © DIMR/StelzerJuliane Seifert (Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend). Foto: © DIMR | StelzerTERRE DES DEMMES fordert, dass allen Frauen, die Gewalt erleiden, adäquate Hilfe und Unterstützung zur Verfügung steht, unabhängig von ihrem Wohnort, Gesundheitszustand, der Herkunft oder dem Aufenthaltstitel. Deutschland braucht endlich ein neues Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen, das konkrete Maßnahmen vorsieht und mit einem umfassenden Budget ausgestattet ist. TERRE DES FEMMES fordert auch regelmäßige und bundesweite Sensibilisierungen (z.B. durch verpflichtende Fortbildungen) von Behörden, Richterschaft und Polizei.

Auch wenn die Istanbul-Konvention ein gutes Basisinstrument für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bietet und mit ihrem Inkrafttreten ein erster Schritt in die richtige Richtung unternommen wurde, besteht dringender Handlungsbedarf. Bund, Länder und die Zivilgesellschaft müssen nun eng zusammenarbeiten, damit Häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht länger zum Alltag in Deutschland gehört.

 

Stand: 02/2019