Weibliche Genitalverstümmelung in Südostasien und im Mittleren Osten - Konferenzbericht „Second Conference on FGM in the Middle East and Asia“

Seit Jahren ist bekannt, dass weibliche Genitalverstümmelung längst nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent oder von Diasporagemeinden mit afrikanischem Ursprung praktiziert wird, sondern auch mindestens in Asien in mehreren Ländern stark verbreitet ist. Mit der von WADI und Hivos ausgerichteten Konferenz, die Anfang Mai 2014 in Istanbul stattfand und zu der TERRE DES FEMMES neben dem Orchid Project als einzige „westliche NGO“ eingeladen wurde, sollten die drängenden Fragen dieses Problems geklärt werden:

  • Wo ist weibliche Genitalverstümmelung (FGM) in der Mehrheitsgesellschaft verankert?
  • Welche Schritte können AktivistInnen und die Regierung zur Abschaffung unternehmen?
  • Warum scheinen internationale Verbände die weltweite Verbreitung von FGM zu ignorieren?

Geimeinsam gegen FGM in Indonesien- Katharina Kunze von TDF mit unseren Partnerinnen von Kalyanamitra (Indonesien). Foto: © TERRE DES FEMMESGeimeinsam gegen FGM in Indonesien- Katharina Kunze von TDF mit unseren Partnerinnen von Kalyanamitra (Indonesien).
Foto: © TERRE DES FEMMES
Dreißig ExpertInnen aus mehr als zehn Ländern kamen zusammen und berichteten von eigenen Forschungen, die teils unter erheblichem Risiko für die persönliche Freiheit und Gesundheit durchgeführt wurden, entwarfen Pläne für gemeinsames Engagement und bessere Vernetzung und diskutierten die internationalen Informationsdefizite mit VertreterInnen von UNICEF. TERRE DES FEMMES präsentierte die Unterschriftenaktion „Genitalverstümmelung in Indonesien – Schutz statt Verharmlosung“

Einen kurzen Überblick über den Ablauf der Konferenz und die wichtigsten Informationen möchten wir hier geben:

Zunächst hatten Forschende Gelegenheit, über ihre Ergebnisse und die Lage der weiblichen Genitalverstümmelung in ihrem Land zu berichten:

Dr. Maha Al-Sakban, Vorsitzende der Human Rights Defenders Federation und Gründerin weiterer Frauenrechtsnetzwerke im Irak, hat mit einer Studie in Kliniken und Praxen als erste nachgewiesen, dass weibliche Genitalverstümmelung auch im Südirak unter Schiiten praktiziert wird – nicht nur wie bisher bekannt, in den kurdischen Gebieten von Sunniten. Die meisten Frauen werden zwischen ihrem 19. und 45. Lebensjahr „beschnitten“. Oftmals gilt die Pilgerreise nach Mekka als Anlass, da die Bevölkerung der Meinung ist, dass FGM die Frauen für dieses wichtige Ereignis angemessen spirituell reinigen würde und ohne „beschnittenes“ Genital die erwünschte Wirkung ausbleiben könnte.

Mary Mendes präsentierte das Engagement von UNICEF im Irak, das aufgrund der Forschungen von WADI in den kurdischen Gebieten aufgenommen und kontinuierlich ausgebaut wurde. Hier ist eine deutliche Korrelation zwischen weiblicher Genitalverstümmelung und Bildungsmangel und Armut zu sehen.

Vereintes Wissen: die TeilnehmerInnen der Konferenz in einer Arbeitsgruppe: Foto: © TERRE DES FEMMESVereintes Wissen: die TeilnehmerInnen der Konferenz in einer Arbeitsgruppe.
Foto: © TERRE DES FEMMES
Aus dem Oman berichten Habiba al Hinai und Susan Al Shahri, zwei im Land bekannte Aktivistinnen und Bloggerinnen, die unabhängig voneinander weibliche Genitalverstümmelung und andere Frauenrechtsthemen thematisieren. Das Thema ist dort stark tabuisiert. Obwohl sie sich damit strafbar gemacht hat, veröffentlichte Habiba al Hinai eine Studie an der 100 Männer und 100 Frauen in Muskat teilnahmen. Sie fand heraus, dass FGM besonders von der gut gebildeten Oberschicht befürwortet und verteidigt wird. Da omanische Krankenhäuser keine Genitalverstümmelung anbieten dürfen, reisen viele Familien für den Eingriff in die Vereinigten Arabischen Emirate. Susan Al Shahri betonte zu beginn ihres Vortrags, dass sich der Süden des Oman in vielfacher Hinsicht stark vom Norden unterscheidet. Die Erlasse und Gesetze der Regierung im Norden werden als unlautere Einmischung empfunden und weibliche Genitalverstümmelung gilt als sehr privates Thema. Für 40 Dollar kann ein Säugling genitalverstümmelt werden und bei 100% ihrer Forschungsgruppe wurde dies getan. Die Mütter haben die Wahl zwischen medizinischem Personal und traditionellen Beschneiderinnen, die meist mit Scheren und Asche arbeiten. Vor den Männern wird diese Praktik geheim gehalten. Aufgrund der starken Autonomieansprüche der Stämme sieht Susan Al Shahri im Gegensatz zu Habiba Al Hinai jedes Regierungsengagement in diesem Bereich sehr kritisch und als eher kontraproduktiv an. Ihrer Überzeugung nach ist eine aus der Zivilbevölkerung entstehende Bewegung die einzige Möglichkeit, FGM abzuschaffen.

Aus dem Iran berichten zwei Forschende, die sowohl auf den Fotos als auch namentlich nicht veröffentlicht werden möchten. Im Landesdurchschnitt beträgt die Quote der genitalverstümmelten Mädchen und Frauen 56%, wobei sich ein erheblicher Anteil davon selbst im Erwachsenenalter zu diesem Eingriff entschlossen hat.

Ägypten wird vertreten durch Dr. Mawaheb El-Mouelhy, die zu den Folgen weiblicher Genitalverstümmelung auf die Sexualität geforscht hat und betont, dass der Islam den Frauen explizit ein Recht auf erotischen Genuss zuspricht. Das Land weist eine Verbreitungsquote von über 90% auf – bei den unter 18jährigen jedoch weniger und unter Schulpflichtigen Mädchen 50%. In Ägypten sehen Frauen keinen Zusammenhang zwischen einem verstümmelten Genital und sexueller Unlust während die Mehrheit der Männer FGM für eheliche Probleme verantwortlich macht und gerne abgeschafft sähe. Dass weibliche Genitalverstümmelung trotz eindeutigen Verbots der Regierung noch weiter praktiziert wird, führt El-Mouelhy darauf zurück, dass medizinische und religiöse BefürworterInnen koordinierter und langfristiger zusammenarbeiten als die AktivistInnen gegen FGM.

Für Malaysia referierte Azrul Mohd Khalib, dessen Titel „It's wrong to cut our girls but we do it every day“ das Dilemma um weibliche Genitalverstümmelung in Malaysia deutlich macht. Es gibt ein gewisses Problembewusstsein in Malaysia und viele Strategien der Bekämpfung. Die Regierung gab 2008 eine Studie in Auftrag um zu entscheiden, ob man FGM zur Pflicht für alle Einwohner Malaysias machen sollte. Die Entscheidung wurde jedoch schon vor Veröffentlichung des Berichts getroffen und seit 2009 ist weibliche Genitalverstümmelung religiöse Pflicht. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass 94% der Mädchen und Frauen betroffen sind. In den letzten Jahren stellt sich der Trend zur Medikalisierung ein, so dass die Töchtergeneration zu 29% unter klinischen Umständen genitalverstümmelt wurde, während es bei den Müttern nur 6% waren. Bei 85% der Mädchen wird FGM im ersten Jahr durchgeführt, bei Konvertitinnen ist sie auch im Erwachsenenalter üblich.

Indonesien wurde durch Rena Herdiyani und Lillis Listyowati vertreten, die sowohl die Verbreitung und Wahrnehmung von weiblicher Genitalverstümmelung in Indonesien als auch ihr internationales Engagement präsentierte.

Näheres Kennenlernen der AktivistInnen beim gemeinsamen Abendessen. Foto: © TERRE DES FEMMESNäheres Kennenlernen der AktivistInnen beim gemeinsamen Abendessen.
Foto: © TERRE DES FEMMES
Der Nachmittag beginnt mit einer Skype-Konferenz mit Claudia Cappa und Cody Donahue von UNICEF in New York. Nachdem Oliver Piecha von WADI den Report von 2013 dahingehend kritisiert hat, dass dort suggeriert wird, weibliche Genitalverstümmelung sei weitestgehend ein „afrikanisches Problem“ und andere Länder (außer Irak) höchstens beiläufig und einmalig genannt werden, erklärt Claudia Cappa das Vorgehen von UNICEF und die diplomatischen Beschränkungen ihrer Arbeit: Die den Veröffentlichungen zugrunde liegenden standardisierten Fragebögen werden zwar von UNICEF kontinuierlich überarbeitet und erprobt, aber welche Themenblöcke in welchem Land abgefragt würden, entscheidet die Regierung autonom. UNICEF leistet bereits Überzeugungsarbeit, damit auch weitere Länder den Fragenkomplex zu FGM integrieren, ist dabei aber auf die Unterstützung der Zivilbevölkerung angewiesen.

 

Gruppenfoto der KonferenzteilnehmerInnen. Foto: © TERRE DES FEMMESGruppenfoto der KonferenzteilnehmerInnen.
Foto: © TERRE DES FEMMES
Die ernüchternden Neuigkeiten von UNICEF beflügelte die Ideenfindung der nächsten Arbeitsgruppen: Die VertreterInnen Südostasiens und die des mittleren Ostens beratschlagten darüber, welche Strategien und konkreten Maßnahmen für ihre jeweilige Region am effektivsten seien. Die Ideen werden in dem Netzwerk weiter konkretisiert. TERRE DES FEMMES wird die Aktivitäten des neuen „Netzwerk FGM Asien“ (vorläufiger Name) den deutschen und europäischen Netzwerken nahe bringen und soweit wie möglich unterstützen.

Autorin: Katharina Kunze