Ein Jahr Let’s CHANGE: „Es ist die Mühe wert, geduldige Arbeit zu leisten.“ – Im Gespräch mit Schirmherrin Rakieta Poyga

Rakieta Poyga. Foto: © Alexander GonschiorRakieta Poyga. Foto: © Alexander GonschiorDer Jahreswechsel lädt, wie jedes Jahr dazu ein, Geschehenes und Erreichtes zu reflektieren. TERRE DES FEMMES blickt nicht nur auf ein ereignis- und erfolgreiches Jahr 2019 allgemein, sondern auch auf das erste Jahr des Let’s CHANGE Projekts zurück. Dies haben wir uns zum Anlass genommen, um auch mit der Schirmherrin des Projektes, Rakieta Poyga noch einmal über das Projekt und über ihren Einsatz gegen weibliche Genitalverstümmelung in Burkina Faso zu sprechen.

Rakieta Poyga, ist Gründerin und Projektleiterin der Association Bangr Nooma (ABN) und engagiert sich bereits seit über 20 Jahren gegen Gewalt an Frauen. Von 1984 bis 1994 hat sie in Deutschland bzw. der ehemaligen DDR gelebt. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Ouagadougou.

Seit der Gründung von ABN konnte viel erreicht werden, auch weil der gewählte Ansatz zur Aufklärung genau auf die Bedürfnisse der Zielgruppen zugeschnitten ist. Ein wichtiger Aspekt den es in der Konzipierung zu berücksichtigen galt, waren zum Beispiel die niedrigen Alphabetisierungsraten in Burkina Faso. Um möglichst viele Personen mit ihrem Anliegen zu erreichen, arbeiten die von ABN ausgebildeten AktivistInnen, sog. Animateure/Animatricen mit bildhaften Materialien, mit Filmen und Bildern, die die Beschneidung und deren möglichen Folgen oft sehr graphisch darstellen. In Deutschland würde sie mit solchen Bildern auf heftige Ablehnung stoßen, aber für die Arbeit hier [in Burkina Faso] sei es notwendig, so Rakieta Poyga. Und es ist effektiv. Durch Aufklärungskampagnen konnte ABN schon mehr als eine Millionen Menschen erreichen und so unzählige Mädchen vor einer Genitalverstümmelung bewahren. Es wurden mehr als 900 Dorfkommitees eingerichtet, die sich für ein Ende von weiblicher Genitalverstümmelung (engl. Female Genital Mutilation, FGM) bzw. die Nachhaltigkeit der bereits erreichten Veränderungen einsetzen. Die Reichweite der Kampagnen wird zusätzlich durch regelmäßige Radiosendungen zum Thema weibliche Genitalverstümmelung vergrößert, welche Diskussionen in der breiten Öffentlichkeit anstoßen. Durch Aufklärung im schulischen Bereich konnten bereits über 40 SchülerInnen-Kommitees eingerichtet werden, die sich für das Thema Gewaltschutz für Mädchen an ihrer Schule einsetzen. „Wir fangen schon in der Grundschule an aufzuklären. Kinder sind offen und neugierig. Außerdem lügen sie nicht. Wenn sie etwas sehen, dann sagen sie was“, so Poyga.

Der Name der Organisation, Bangr Nooma, heißt so viel wie „Es gibt nichts wichtigeres als Wissen“. Davon ist Rakieta Poyga überzeugt. „Ohne Bildung, keine Basis“, sagt sie. Umso wichtiger sei es, dass die nächste Generation die Möglichkeit bekommt, ihr Potenzial zu entfalten. Gerade für Mädchen ist eine gute Ausbildung wichtig.
„Ohne Bildung und finanzielle Unabhängigkeit werden Frauen immer unterdrückt werden“, so Rakieta Poyga. „Ich sage immer, der erste Ehemann einer Frau ist ihr Job. Er sollte ihre Priorität sein.“

Sie bedankt sich mehrfach herzlichst bei TERRE DES FEMMES für die andauernde Unterstützung. Bereits seit 1998 besteht eine Kooperation mit ABN.
„TERRE DES FEMMES war maßgeblich an allem beteiligt, was wir erreicht haben“, sagt sie. „Mittlerweile geht es in unserer Arbeit zu weiblicher Genitalverstümmelung zunehmend darum, Erfolge zu sichern. Wir haben bereits vielerorts ein Umdenken erreicht. Die Beschneidungszahlen gehen deutlich zurück. Frauen organisieren sich und sprechen offen über ihre Probleme, auch in Bezug auf die Beschneidung.“ Seit einiger Zeit erreichen die Organisation zudem mehr und mehr Anfragen von potentiellen MultiplikatorInnen aus relevanten Berufsgruppen. Sicherheitspersonal, traditionelle Gerichte und Anführer möchten mehr über weibliche Genitalverstümmelung und beispielsweise die gesetzliche Lage in Burkina Faso erfahren.

 Eine neue Herausforderung ist die instabile politische Situation im Land. Aufkommender Terrorismus habe zur Schließung von etlichen Schulen geführt und viele Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. Etliche sehen sich in ihrer Existenz bedroht. „In den Lagern haben die Leute erstmal dringlichere Sorgen als weibliche Genitalverstümmelung oder Frauenrechte“, so Rakieta Poyga. Die Leute dort zu erreichen sei schwierig, dabei sei Bildungs- und Aufklärungsarbeit wichtiger denn je. „Solche Konflikte werden immer auf dem Rücken der Kleinen ausgetragen. Wir müssen vor allem Frauen und Kinder schützen.“, betont sie. „Wir müssen wissen teilen.“

Im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung ist der (junge) Mann ein wichtiger Mitstreiter, beteuert Poyga. Zur Aufklärung in den Dörfern entsendet ABN immer ein Team aus je einem Animateur und einer Animatrice. „Die Probleme von Frauen und Männern sind nicht die gleichen.“, sagt sie. Außerdem seien gerade in afrikanischen Gesellschaften Männer oftmals noch die Entscheidungsträger. Einem jungen Mann, der sich deutlich gegen weibliche Genitalverstümmelung ausspricht, würde man an mancher Stelle mit viel mehr Offenheit begegnen. Das neue Projekt „Men Stand Up for Gender Equality“ hält sie deshalb für sehr viel versprechend. Sie findet es auch gut, dass Männer Teil des Let’s CHANGE Projekts sind und sich als CHANGE Agents und CHANGE Trainers für ein Ende von FGM einsetzen.

Überhaupt ist Rakieta Poyga vom Let’s CHANGE Projekt begeistert. Es sei wichtig, dass dieses Projekt sich an seine Vorgängerprojekte anschließe. Man könne nicht erwarten, dass eine Jahrhunderte alte und so tief in den Köpfen verankerte Tradition in nur zwei Jahren Projektlaufzeit abzuschaffen sei. Kontinuität und Nachhaltigkeit seinen sehr wichtig. „Es lohnt sich geduldige Arbeit zu leisten.“, sagt sie. „Ich finde es sollte mehr solcher Projekte geben.“

Vielen Dank, liebe Rakieta für diesen spannenden Austausch.

TERRE DES FEMMES

 

Stand 12/2019

 

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