• 20.06.2024

Die „Weiße Woche“ 2024: Präventionsarbeit gegen Zwangsverheiratung an Schulen

Das Team: TERRE DES FEMMES und die Berliner Polizei

Jedes Jahr zu den Sommerferien steigt das Risiko für SchülerInnen aus streng patriarchalischen Strukturen, zwangsverheiratet zu werden. Aus diesem Grund veranstaltete TERRE DES FEMMES zum mittlerweile dritten Mal die sogennante „Weiße Woche“ – eine Aktionswoche im Vorfeld der Sommerferien vom 10. – 14.06.2024 gemeinsam mit der Berliner Polizei. Der Begriff „Weiße Woche“ steht symbolisch für ein weißes Hochzeitskleid.

Viele Bedrohte oder Betroffene trauen sich nicht, Hilfe zu holen, weil sie Angst haben, dass sofort ihre Eltern informiert werden. Viele empfinden es jedoch auch als Verrat, mit Außenstehenden über familiäre Sorgen oder Probleme zu sprechen. Wiederum andere haben die Hoffnung, vor Ort immer noch „nein“ sagen zu können und so einer ungewollten Verheiratung zu entgehen. Umso wichtiger ist eine niedrigschwellige Sensibilisierung und Präventionsarbeit, die vorab geleistet werden kann.

Was passiert in der „Weißen Woche“?

Es passiert vor allem ganz viel, was Mut macht und den betroffenen SchülerInnen vermittelt: Du bist nicht allein. Zusammen mit der Berliner Polizei gibt TERRE DES FEMMES deshalb an Berliner Schulen Workshops. Damit die SchülerInnen geschützt sind, wissen sie im Vorfeld nicht, dass eine solche Aktion an ihrer Schule stattfinden wird. In den halbstündigen Workshops liegt der Fokus vor allem auf der Botschaft, sich Hilfe zu holen, wenn man ein ungutes Gefühl hat. Betont wird dabei immer wieder, dass die Wünsche der betroffenen Person im Mittelpunkt einer jeden Beratung stehen. Man kann sich auch zunächst anonym beraten lassen. Dabei sind alle SchülerInnen gleichermaßen angesprochen, denn jeder und jede kann im Laufe seines Lebens eine mögliche Vertrauensperson von Bedrohten oder Betroffenen werden.

Das Wissen um „Warnzeichen“ und fachspezifische Beratungsstellen ist für alle relevant, denn eine Menschenrechtsverletzung betrifft die gesamte Gesellschaft. Auch wenn die von einer Zwangsheirat bedrohten oder betroffenen Personen überwiegend weiblich sind, wird im Rahmen der Workshops deutlich, dass von Früh- und Zwangsheirat auch junge Männer betroffen sein können.

Mut machen muss Schule machen

In diesem Jahr wurden 4 Berliner Schulen besucht. Schulen spielen eine elementare Rolle, da dort potenziell Bedrohte oder Betroffene außerhalb ihrer Familie erreicht werden können. In den Workshops wird die aktuelle Rechtslage erläutert, über Warnzeichen aufgeklärt und werden die Folgen von Früh- und Zwangsverheiratungen diskutiert. Die Präsenz der Berliner Polizei soll dabei verdeutlichen, dass Früh- und Zwangsheirat ein ernstzunehmendes Thema ist. Gleichzeitig sollen mögliche Hemmschwellen abgebaut und aufgezeigt werden. Die Berliner Polizei informiert ihrerseits über Hilfs- und Unterstützungsangebote. Mit der klaren Botschaft: Such dir frühzeitig Hilfe, denn das ist entscheidend, damit du auch selbst mehr Bedenkzeit hast.

Berichte von PädagogInnen und SchülerInnen

Wie wichtig es ist, Beratungsangebote vorzustellen, kann von den SchulsozialarbeiterInnen bestätigt werden, die an einer von TERRE DES FEMMES bundesweit durchgeführten Umfrage im Jahr 2022 teilgenommen haben. Laut eines Großteils der Befragten wünschen sich mehr PädagogInnen Hilfe bei dem Thema Zwangsverheiratung. Ähnliches wurde auch bei der diesjährigen „Weißen Woche“ berichtet.

Zitate von SchulsozialarbeiterInnen, Lehrkräften und SchülerInnen:

„Bei mir in den Klassen gibt es einige Jungen, die zwangsverheiratet werden sollen. In den Fällen hat die Familie sehr großen Druck ausgeübt, einige Familienmitglieder standen vor der Schule, die Jungen wussten nicht, wo sie übernachten sollten, einer hatte in einer Bar übernachtet, weil er Angst vor der Familie hatte.“

„Zu uns in die Schule kam ein Vater, der wollte seine Tochter kontrollieren. Als ich ihn ansprach, meinte er, seine Tochter hat das Handy vergessen. Ich kannte allerdings das Mädchen schon, sie hat gesagt, dass die Situation zu Hause immer schlimmer wird…“

Das Thema Zwangsheirat beschäftigt LehrerInnen und SchülerInnen. Viele berichteten von (ehemaligen) MitschülerInnen oder FreundInnen, die bereits durch eine Zwangsheirat verheiratet wurden:

„In meiner Klasse war ein Mädchen, die sollte im Ausland verheiratet werden, sie hat ihren Pass zerschnitten, am Flughafen ist das dann aufgefallen und ihr konnte geholfen werden.“

„Ich habe ein Praktikum in einer Einrichtung gemacht. Da war eine 12-Jährige, die schon verheiratet und schwanger war.“

„Mein bester Freund sollte mit 16 verheiratet werden, konnte sich gegen den Vater jedoch wehren.“

Die Gefahr Zwangsheirat ist nicht unbekannt, aber wird verdrängt

Vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist Zwangsheirat ein Begriff: So wurde in einer Klasse während des Workshops gefragt, wie viele das Thema kennen - von 14 haben sich 13 SchülerInnen gemeldet. Daraufhin zeigte sich der Lehrer sehr überrascht. Ein Schüler entgegnete jedoch: „Wenn man nicht mit Scheuklappen durch die Welt geht, weiß man, dass es Zwangsheiraten gibt.“

Via Infostand und Glücksrad kamen die SchülerInnen in den Pausen oder Freistunden mit den Mitarbeiterinnen von TERRE DES FEMMES ins Gespräch. Die Gespräche gingen von Neugier (Weshalb ist TDF an der Schule?) über das Interesse am Thema Frauenrechte bis hin zu positivem Feedback zur Aktion.

Ein Fazit, das Mut macht: Insgesamt gab TERRE DES FEMMES 33 Workshops, bei denen 475 SchülerInnen erreicht werden konnten, die interessiert und engagiert dabei waren. Zusätzlich besuchten 444 Schülerinnen und Schüler den Infostand. Die Schulen verteilten sich über die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin-Mitte und Marzahn-Hellersdorf.

Was hat die "Weiße Woche" bisher verändert?

Die „Weiße Woche“ ist ein bedeutender Schritt im Kampf gegen Zwangsverheiratungen und ein wichtiger Beitrag zur Sensibilisierung und Aufklärung junger Menschen. TERRE DES FEMMES setzt sich dafür ein, dass Mädchen und Frauen selbstbestimmt und frei über ihr Leben entscheiden können. Die „Weiße Woche“ soll auch in den kommenden Jahren weiterhin stattfinden.

Für ein Hin ohne Heirat und ein Zurück mit Zukunft

Gerade vor den Sommerferien ist es für Betroffene oder im Umfeld von Betroffenen tätige Personen wie Lehrkräfte wichtig, schnell Hilfe zu finden. Wir haben deshalb alle wichtigen Beratungsstellen in ganz Deutschland, Hintergrundinformationen und erste Hilfestellungen auf unserer neuen Website gut übersichtlich gesammelt: www.zwangsheirat.de

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