Frühehen

TERRE DES FEMMES: STOP Frühehen! Foto: © evgenyatamanenko - Fotolia.comTERRE DES FEMMES: STOP Frühehen!
Foto: © evgenyatamanenko - Fotolia.com   

Laut UNICEF (2018) leben weltweit über 650 Millionen Mädchen und junge Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet wurden. Jedes Jahr kommen geschätzt weitere 12 Millionen hinzu. Eine Kindheit im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention ist so nicht möglich. Deshalb sieht TERRE DES FEMMES Frühehen als eine Menschenrechtsverletzung.

Das Wichtigste zum Thema Frühehen in den hier folgenden häufigen Fragen:




Was versteht man unter Frühehen? Sind alle Frühehen Zwangsehen?

Eine Frühehe (early bzw. child marriage) liegt dann vor, wenn einer der Verheirateten zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht 18 Jahre alt ist. In den meisten Ländern unterscheidet sich das Alter der Volljährigkeit von dem Alter, ab dem ein Mädchen oder eine junge Frau als heiratsfähig gilt. Beispielsweise im Iran liegt die Ehemündigkeit der Frau mit Vollendung des 13. Lebensjahrs, während es in Saudi-Arabien, im Jemen und Südsudan gar kein gesetzliches Mindestheiratsalter gibt. Auch wenn das Mindestheiratsalter in vielen Ländern bei 18 Jahren liegt, werden Frühehen oft im Rahmen religiös-traditioneller Voraustrauung geschlossen - unabhängig vom Staat.

In Deutschland sind überwiegend Jugendliche von einer verfrühten Heirat bedroht, deswegen spricht TERRE DES FEMMES nicht von Kinder-, sondern von Frühehen.

TERRE DES FEMMES sieht Frühehen als eine Form der Zwangsverheiratung. Auch wenn die Minderjährige der Eheschließung zugestimmt hat, können Kinder und Jugendliche Folgen und Ausmaß einer verfrühten Eheschließung nicht einschätzen. Folglich können sie sich nicht entsprechend dagegen wehren, das Recht auf Selbstbestimmung und freie PartnerInnenwahl bleibt ihnen so verwehrt.

Deswegen sind Frühehen auch eine Menschenrechtsverletzung. Die Betroffenen werden ihrer Rechte und Freiheiten, die die UN-Kinderrechtskonvention (PDF-Datei) festhält, beschnitten. Ein selbstbestimmtes, freies und unabhängiges Leben ist so nicht möglich!

Aus welchen Gründen werden Frühehen geschlossen?

Die Gründe für eine frühe Verheiratung sind vielfältig und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

In patriarchalisch strukturierten Gesellschaften festigt eine Frühehe die soziale Ordnung, basierend auf archaischen Traditionen und überkommenen Wertvorstellungen wie beispielsweise die Vorstellung, dass die „Familienehre“ an das Verhalten der weiblichen Familienangehörigen geknüpft ist. Voreheliche sexuelle Erfahrungen gelten demzufolge als Beschädigung der Familienehre. Eine jungfräuliche Heirat soll das vorbeugen. Die vermeintliche Ehre wird also gesichert, indem die weibliche Sexualität kontrolliert und nur innerhalb der Ehe toleriert wird.

Armut und finanzielle Not befördern Frühehen, denn eine jüngere Braut verspricht oft ein höheres Brautgeld. Manche Familien erhoffen sich durch die Verheiratung ihrer Tochter mit einem älteren, finanziell besser stehenden Mann eine finanzielle Entlastung sowie eine Verbesserung der Lebensumstände der Tochter. In manchen Kulturen dient die Ehe auch als festigende Bindung zwischen zwei Familien.

Es besteht eine enorme Wechselwirkung zwischen Frühehen und einem niedrigen Bildungsgrad. Je länger ein Mädchen die Schule besucht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie erst später heiratet. Armut, mangelnde Bildung und eine verfrühte Heirat werden anschließend oft nach einer Frühehe an die eigenen Kinder weitergegeben.

Mädchen und Frauen in Fluchtsituationen sind besonders gefährdet, geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein. Eltern verheiraten ihre Töchter früh, um sie davor zu schützen. Gleichzeitig dient der Erlös oft einer weiteren Finanzierung der Flucht der anderen Familienangehörigen. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien ist die Zahl der Frühverheiratungen in den Flüchtlingsunterkünften der Nachbarländer – besonders Jordanien und Libanon – von 13% auf über 50% gestiegen.

Welche Konsequenzen haben Frühehen?

Frühehen bedeuten das Ende der Kindheit. Die Folgen sind oft verheerend. Laut einem Bericht von Girls Not Brides sind weltweit 90% der minderjährigen Mütter verheiratete Mädchen. Dies deutet auf einen engen Zusammenhang zwischen Frühehen/Zwangsverheiratung und Schwangerschaften bei Minderjährigen hin. Zu frühe Schwangerschaften stellen zudem ein enormes Gesundheitsrisiko für die Mädchen dar: Komplikationen während der Schwangerschaft und Geburt zählen weltweit zu einer der Haupttodesursachen heranwachsender Mädchen. Bis zu 99 % aller Mütter im Alter von 15-49 Jahre, die infolge oder bei der Geburt sterben, sind zwischen 15 und 19 Jahre alt.

Häufige Isolation und Abschirmung nach einer Verheiratung verwehrt Mädchen und jungen Frauen die Chance eines (höheren) Bildungsabschlusses, der ökonomische Unabhängigkeit sicherstellen würde. An Kinder, die aus einer aus finanzieller Not geschlossenen Frühehe hervorgehen, wird die ökonomische Abhängigkeit als Folge mangelnder Bildungsmöglichkeiten oft weitergegeben. Sie sind so ebenfalls gefährdet, minderjährig verheiratet zu werden.

In manchen Ländern geht eine Frühehe mit anderen traditionellen schädlichen Praktiken einher, wie der weiblichen Genitalverstümmelung.

Zusätzlich sind minderjährig verheiratete Frauen häufiger von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt betroffen (Quelle: ICRW, „Child Marriage and Domestic Violence“).

Wie ist die Situation in Deutschland?

Laut einer 2011 veröffentlichen Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zur Zwangsverheiratung in Deutschland (PDF-Datei) waren knapp ein Drittel der Personen, die 2008 Unterstützung wegen einer drohenden oder vollzogenen Zwangsverheiratung suchten, minderjährig. Zwangsverheiratungen werden in Deutschland überwiegend religiös/sozial geschlossen.

Bis zum Stichtag im Juli 2016 lebten in Deutschland ca. 1475 verheiratete minderjährige AusländerInnen (darunter 1152 minderjährige Ehefrauen). 361 waren unter 14 Jahre alt. und 664 syrische StaatsbürgerInnen bilden dabei die Mehrheit. Das zeigen Zahlen des Ausländerzentralregisters aus dem Jahr 2016.

In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2017 hat der Bundestag ein Gesetz zur Bekämpfung von Frühehen (PDF-Datei) verabschiedet, das Betroffene besser schützen soll. Bisher gab es noch eine Ausnahmeregelung, mit der man ab 16 Jahren heiraten konnte. Mit dem Beschluss des neuen Gesetzes wurde das Mindestheiratsalters in Deutschland auf 18 Jahre ohne Ausnahme festgelegt. Zudem werden Ehen, die im Ausland mit Minderjährigen geschlossen werden, zukünftig in Deutschland nicht mehr anerkannt bzw. aufgehoben: Ehen, die unter 16 geschlossen werden, in Deutschland nichtig. Ehen, die im Alter von 16 und 17 Jahren eingegangen werden, sollen in der Regel aufgehoben werden.

Außerdem ist nun klargestellt, dass Jugendämter minderjährig Verheiratete (vorläufig) in Obhut nehmen müssen. Die Entscheidung, ob der Kontakt zum „Ehepartner“ zum Wohl der Minderjährigen ist, soll weiter im Einzelfall entschieden werden.

Detaillierte Stellungnahme von TERRE DES FEMMES zu dem Gesetzentwurf vom 15.05.2017 (PDF-Datei)

Situation weltweit?

Frühehen werden weltweit geschlossen geschlossen – unabhängig von Religion und Kultur. Laut UNICEF (PDF-Datei) betrifft das jährlich 15 Millionen Mädchen und junge Frauen, also 41.000 täglich und 28 pro Minute. Aktuell leben weltweit über 700 Millionen Frauen, die vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet wurden.

Vor allem in Afrika und Asien werden Mädchen und junge Frauen oft vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Weltweit liegt in 54 Staaten die Ehemündigkeit der Frau unter der des Mannes. In Saudi-Arabien, im Jemen und Süd-Sudan gibt es überhaupt kein gesetzliches Mindestheiratsalter. Im Iran erlangt eine junge Frau die Ehemündigkeit mit Vollendung ihres 13. Lebensjahrs, in Nigeria beim vollendeten 12. Lebensjahr. Die Zahl der verheirateten Minderjährigen wird bis 2050 auf 1,2 Milliarden ansteigen, sollte dagegen nichts unternommen werden (Quelle: Marrying Too Young; PDF-Datei).

Mehr dazu in den Länderprofilen.

Was kann gegen Frühehen getan werden?

Um Frühehen zu bekämpfen, muss das Mindestheiratsalters weltweit auf 18 Jahre festgelegt werden. Das fordert TERRE DES FEMMES genauso wie UNICEF, Human Rights Watch sowie das UN-Frauenrechts- und das UN-Kinderrechtskommitee. Außerdem muss Bildung allen Mädchen und Frauen zugänglich sein, um langfristig Frühehen zu verhindern. In Schulen können Mädchen und junge Frauen über ihre Rechte aufgeklärt und Alternativen zu einer Frühverheiratung aufgezeigt werden.

In Deutschland sind vor allem religiöse/soziale Verheiratungen Minderjähriger problematisch. Diese rechtlich nicht wirksamen Eheschließungen sind bis jetzt nicht strafrechtlich verfolgbar, wenngleich sie für Betroffene genauso bindend sind wie eine standesamtliche Ehe. Der Zwangsheirats-Paragraph §237 StGB muss deswegen um die Formulierung „eheähnliche Verbindungen“ ergänzt werden.

Was hat TERRE DES FEMMES diesbezüglich getan?

TERRE DES FEMMES betreibt seit über zwei Jahre intensive Presse-, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit zur Bekämpfung von Frühehen.

Im Rahmen des Schwerpunktes „STOP Frühehen“ unterzeichneten mehr als 108.000 UnterstützerInnen eine Petition für die Aktion „Frühehen stoppen – Bildung statt Heirat!“ und forderten damit die Festlegung des gesetzlichen Mindestheiratsalters auf ausnahmslos 18 Jahre. TERRE DES FEMMES legte diese Forderung dem Bundesjustizministerium im Rahmen eines Fachgesprächs vor. Mit Erfolg: der entsprechende Gesetzesentwurf hat es in den Bundestag geschafft und wurde am 2. Juni 2017 verabschiedet.

Zudem bietet TERRE DES FEMMES im Rahmen des von Aktion Mensch geförderten Projekts "STOP harmful traditional practices - Patriarchale Gewalt verhindern" kostenfreie Schulungen zu den Themenschwerpunkten Früh- und Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung an um MitarbeiterInnen von Flüchtlingsunterkünften und soziokulturellen Stadtteil- und Familienzentren über die Themen aufzuklären und zu sensibilisieren.

In einer Aktion vor dem Brandenburger Tor in Berlin stellten SchauspielerInnen eine Frühverheiratung nach. Einen umfassenden Überblick über die Arbeit der vergangenen zwei Jahre von TERRE DES FEMMES bündelt eine Dokumentation (PDF-Datei).

Welche Erfolge konnte TERRE DES FEMMES erzielen?

TERRE DES FEMMES hat vor allem für die Durchsetzung des Mindestheiratsalter 18 Jahre ohne Ausnahme viel geleistet. Für die Umsetzung dieser Forderung konnten im Mai letzten Jahres für die Aktion „Frühehen stoppen – Bildung statt Heirat“ über 100.000 Unterschriften gesammelt und dem Justizministerium vorgelegt werden.

In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2017 hat der Bundestag ein Gesetz zur Bekämpfung von Frühehen (PDF-Datei) verabschiedet, das Betroffene besser schützen soll. Bisher gab es noch eine Ausnahmeregelung, mit der man ab 16 Jahren heiraten konnte. Mit dem Beschluss des neuen Gesetzes wurde das Mindestheiratsalters in Deutschland auf 18 Jahre ohne Ausnahme festgelegt. Zudem werden Ehen, die im Ausland mit Minderjährigen geschlossen werden, zukünftig in Deutschland nicht mehr anerkannt bzw. aufgehoben.

Einen Beitrag leistete TERRE DES FEMMES zum Bericht „Preventing and eliminating child, early and forced marriage“ (PDF-Datei) des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR). Auch zum derzeitigen OHCHR-Bericht zu den „Fortschritten im Kampf gegen Frühverheiratungen“ hat TERRE DES FEMMES in einer Stellungnahme auf die Gesetzeslücken in Deutschland hingewiesen.

Die „Beseitigung aller schädlichen traditionellen Praktiken, wie Kinder-, Früh- und Zwangsheirat und weiblicher Genitalverstümmelung“ wurde als Unterpunkt zu Ziel 5 „Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen“ 2015 in die Agenda 2030 (Englisch, PDF-Datei) aufgenommen. Dafür setzte sich TERRE DES FEMMES im globalen Netzwerk „Girls not Brides“ gemeinsam mit anderen NGOs ein.

TERRE DES FEMMES hat durch intensive Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit das Thema Frühehen in die Medien gebracht und war gefragte Gesprächs- und Interviewpartnerin für Presse und Politik.