In eigener Sache: Die Mehrheit des TDF-Vorstands distanziert sich von dem Positionspapier "Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht" und weist die Geschäftsführung an, dieses Positionspapier von der Website zu nehmen
Der Vorstand gab seine Entscheidung am 17. August 2022 den Mitfrauen bekannt.
"Bitte erlaubt uns, zu erklären, wie wir zu dieser Entscheidung gekommen sind.
Eine Positionierung unseres Vereins ist nicht mit der Erarbeitung und Verabschiedung des Positionspapiers getan. Das Positionspapier und die Position müssen immer wieder auf den Prüfstand gestellt und sowohl inhaltlich als auch formal aktualisiert werden. Oft veralten Begrifflichkeiten – die Gesetzeslage oder die gesellschaftliche Situation ändern sich. Auch die Erkenntnis, dass eine Positionierung ohne Absicht Betroffene verletzen kann, gehört dazu. Nach einer eingehenden Prüfung des Positionspapiers Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht ist uns deutlich geworden, dass wir einer befriedigenden Überarbeitung unmöglich gerecht werden können.
Transidentität ist kein Kernthema von TERRE DES FEMMES, es gibt weder eine Arbeitsgruppe, noch ein Referat. Bereits bei der Entstehung des Positionspapiers wurden Betroffene zu wenig gehört. So stellt sich die Gefährdung von Frauenräumen wie beispielsweise Frauenschutzhäusern in der Realität als weitaus unbedeutender dar, als im Papier angenommen. Eine Positionierung zum Thema ohne fundierte wissenschaftliche Expertise und ohne Erfahrungswissen von Betroffenen und Mitarbeiterinnen in Mädchen- und Frauenschutzeinrichtungen ist kein adäquater Beitrag zur Debatte.
Unsere Positionierung bezog sich nicht auf eine (geschlechtsspezifische) Menschenrechtsverletzung, sondern hatte im Gegenteil die Wirkung, als verletzend und diskriminierend auf andere vulnerable Gruppen wahrgenommen zu werden. Das bedauern wir sehr.
Aus diesem Grund sieht sich TERRE DES FEMMES seit der Verabschiedung des Positionspapiers mit den heftigsten Vorwürfen konfrontiert. Dem Vorwurf der Transfeindlichkeit, der sich insbesondere auf das Positionspapier bezieht, ist inzwischen mit keinem Argument mehr zu begegnen. Solange das Positionspapier öffentlich ist und nicht transparent zurückgenommen wird, wird dieser Vorwurf bleiben. Dadurch wird unser Auftrag – der Einsatz für Frauenrechte - bis zur Unmöglichkeit erschwert, Kooperationen und wichtige Bündnisse sind und werden aufgekündigt, bereits begonnene Kampagnen können nicht umgesetzt oder müssen abgebrochen werden. Das Thema Transgender und das Positionspapier überschatten alle unsere wichtigen Referatsthemen.
Die Mädchen und Frauen, für die wir uns einsetzen – Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt, weiblicher Genitalverstümmelung, Früh- und Zwangsverheiratung, Leihmutterschaft, Prostitution und Frauenhandel – sie alle sind indirekt davon betroffen, dass TERRE DES FEMMES massiv mit dem Vorwurf der Transfeindlichkeit zu kämpfen hat. Wir wollen uns auf die Kernthemen unserer Arbeit fokussieren – und zwar nicht durch Frontenbildung gegen andere, sondern an der Seite derer, die uns brauchen! Indem TERRE DES FEMMES sich andauernd gegen den Vorwurf der Transfeindlichkeit verwahren muss, gehen wertvolle Zeit und Ressourcen für unsere Kernthemen verloren.
TDF wurde bislang als absolut integre, professionelle Frauenrechtsorganisation anerkannt und wertgeschätzt. Wir haben klar fokussiert, pointiert und auch gegen den Mainstream zu den Themen geschlechtsbasierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen und zum Thema „weg mit dem Patriarchat“ gearbeitet. Mit dem Positionspapier Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht hat dieser Ruf gelitten und unsere Expertise, auch und besonders zu unseren Kernthemen, hat es schwer, Gehör zu finden. Solidarität war eines unserer obersten Gebote im Kampf um Frauenrechte und gegen das Patriarchat. Nie haben wir unsere Solidarität denen verwehrt, die sie brauchten und verdienten. Mit dem Positionspapier brechen wir mit dieser Haltung, die uns bislang immer positiv getragen hat.
Wir möchten unsere Ressourcen in der Geschäftsstelle, in den ehrenamtlichen Gremien und im Vorstand wieder gemeinsam auf unsere Kernthemen konzentrieren und unseren unermüdlichen Kampf für Gleichberechtigung und gegen geschlechtsspezifische Gewalt fortsetzen!
Diesen Kampf können wir nur fortsetzen, wenn wir ernst genommen werden. Wir sind an politischen Prozessen beteiligt, sind gut vernetzt mit Verbänden und PolitikerInnen, kurzum: wir sind ganz vorne mit dabei und stehen für Mädchen- und Frauenrechte ein."
Mit feministischen Grüßen,
Godula Kosack
Vorstandsvorsitzende von TERRE DES FEMMES
Die Belegschaft der Bundesgeschäftsstelle steht geschlossen hinter der Entscheidung des Vorstands.