• 20.02.2023

Besuch bei den Partner-Organisationen in Burkina Faso und Mali

„Wir tun unser Möglichstes, aber jeden Tag kommen neue Menschen, vor allem Frauen und Kinder. Bitte helfen Sie uns, diese Menschen zu versorgen und zu schützen. Ich appelliere an die Menschen in Deutschland: wir brauchen wirklich Ihre Unterstützung!“

- (König des Departements Saaba, über die massive Binnenflucht in Burkina Faso)

Ende Januar 2023 besuchte IZ-Referatsleiterin Birgitta Hahn die Sahelländer Burkina Faso und Mali. Sie traf mit den TDF-Partnerorganisationen Association Bangr Nooma (ABN) in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou und Association pour le Progrès et la Défense des Droits des Femmes (APDF) in der malischen Hauptstadt Bamako zusammen. Auch sprach sie mit Frauen und Mädchen, die sich aus Gewaltsituationen in die Schutzhäuser der Organisationen gerettet haben und dort Beratungs- und Berufsbildungsangebote nutzen. Die Aufklärungsarbeit beider Organisationen, u.a. zur Verhinderung von weiblicher Genitalverstümmelung, in den Gemeinden, an Schulen und bei Hausbesuchen konnte die IZ-Referatsleiterin persönlich begleiten. Auch Treffen auf der Lobbyebene, z.B. mit den Deutschen Botschaften und anderen KooperationspartnerInnen, fanden statt.

Zwei Millionen Menschen auf der Flucht im eigenen Land
Ein besonders drastisches Ausmaß haben die Fluchtbewegungen in Burkina Faso angenommen. Rund zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht im eigenen Land - vor brutalen, immer häufiger verübten terroristischen Angriffen und Massentötungen vor allem im Norden und Osten des westafrikanischen Binnenstaates. Die Betroffenen müssen von jetzt auf gleich flüchten, bloß mit der Kleidung am Leib, ohne Papiere oder Besitz. In Ouagadougou leben viele Binnengeflüchtete schlichtweg auf der Straße. Es fehlt an Essen, Trinken, medizinischer Versorgung und Perspektiven für einen Neustart. Die Risiken von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind in dieser unsicheren Lage extrem hoch. Die TDF-Partnerorganisation ABN unterstützt bereits mit Nothilfe-Aktionen, verteilt Reis oder finanziert Medikamente, sie müssten aber noch viel mehr tun, Nahrungsmittel an Schulen für geflüchtete Kinder zur Verfügung stellen, regelmäßige mobile Aufklärungsarbeit, Beratung und Schutzangebote sowie Berufsbildungen für binnengeflüchtete Frauen anbieten. TDF hat sich bereit erklärt, an einer Schule für geflüchtete Kinder wenigstens zweimal im Monat Gemüse und Fleisch oder Fisch auf den Tisch zu bringen, da bislang ausschließlich Nudeln – ohne jedwede Beilage – und oft auch nicht in ausreichend großer Menge für die Kinder zubereitet werden. Für weitere Maßnahmen fehlen derzeit aber leider die Mittel.

Religiöser Widerstand gegen Geschlechtergerechtigkeit
In Mali fällt dagegen vor allem der vehemente Widerstand der religiösen Führungselite gegen längst überfällige Änderungen des frauendiskriminierenden Familien- und Erbrechts sowie gegen die Einführung eines gesetzlichen Verbots von weiblicher Genitalverstümmelung erschwerend ins Gewicht. So erbt ein Mann qua Geschlecht z.B. das Doppelte einer Frau. Auf Haushaltsebene hat der Mann Entscheidungsbefugnisse über das Leben der Frau und Kinder. So kann er der Frau z.B. verbieten, zu arbeiten, und bestimmen, wo sie mit ihm lebt. Die TDF-Partnerorganisation APDF hat gemeinsam mit anderen NROs die malische Regierung vor dem afrikanischen Menschengerichtshof gegen diese diskriminierenden Regelungen verklagt und in allen Punkten Recht bekommen. Geändert hat sich auf Gesetzesebene aber leider noch Nichts, zumal es in der Zwischenzeit einen Regierungswechsel gab und sich die jetzige Militärjunta nicht an das Urteil gebunden fühlt. Progressive Töne und Emanzipationsbewegungen werden insbesondere von den muslimischen Wortführern, den großen Marabous und Imamen des Landes, die wahabistisch ausgebildet wurden und den Koran ultrakonservativ auslegen, aktiv verhindert oder zunichte gemacht.

Besuch in Burkina Faso

In Burkina Faso sprach TDF mit Frau Morne, der psychologischen Beraterin von ABN, die sehr viel von den Gewaltsituationen berichtete, wegen derer die Frauen Zuflucht im Gewaltschutzzentrum suchen. Neben häuslicher Gewalt und Scheidungen, die Männer oder deren Familienangehörige forcieren, damit eine neue Frau geheiratet werden kann und die bisherige Frau nicht mehr versorgt werden muss bzw. nicht erbberechtigt bleibt, spielen auch Vergewaltigungen im Fluchtkontext und gesellschaftliche Ausgrenzung aufgrund von Schwangerschaften in der Folge von sexualisierter Gewalt derzeit eine große Rolle.

Bei ABN erhalten die Frauen Schutz, Beratung, medizinische Behandlung und weiterführende Unterstützung wie etwa Berufsbildungsmöglichkeiten. So berichtete eine Frau, die bei ABN gelernt hatte, Erdnusspaste herzustellen, die in Burkina Faso bei sehr vielen Gerichten zum Einsatz kommt, von ihrer Unternehmensgründung, Kundenakquise und ihrem ganz persönlichen Erfolgsgeheimnis. Sie beliefert zahlreiche Restaurants und EinzelkundInnen und kann sich vor Bestellungen kaum retten.

TDF hatte zudem Gelegenheit, mit Dr. Akotionga über Notoperationen für Betroffene von weiblicher Genitalverstümmelung zu sprechen. Er ist einer der wenigen ÄrztInnen in Burkina Faso, die diese OPs anbieten, und eine echte Koryphäe. Mit 80 Jahren ist er noch täglich in seiner Praxis und immer am Arbeiten. Hätte er vor rund einem Jahrzehnt nicht eine neue, weniger invasive OP-Methode zur Behebung der gravierenden Folgeerscheinungen von weiblicher Genitalverstümmelung entwickelt, würden betroffene Frauen noch heute damit allein gelassen. Die OP, die er initiiert hat, ist deutlich günstiger und kürzer als frühere Verfahren. Was ihm die Frauen nach ihrer OP sagen? Nun, in vielen Fällen tragen die späteren Neugeborenen dieser Frauen Dr. Akotionga’s Vornamen.

Mit einer dieser Frauen kam TDF ins Gespräch. Sie war viele Jahre lang unverheiratet geblieben, obwohl sie sich immer ein Ehe- und Familienleben gewünscht hatte, weil es für sie unvorstellbar war, Geschlechtsverkehr zu haben. So sehr litt sie an chronischen Entzündungen und Unterleibsschmerzen. Heute ist sie schmerzfrei, hat geheiratet und Kinder bekommen. ABN hat diesen lebensverändernden Eingriff ermöglicht.

TDF war auch bei der mobilen Sensibilisierung dabei, sprich bei Rundgängen durch die verschiedenen Stadtviertel Ouagadougous, während der ABN mit Frauen und Männern in Cafés, Restaurants, an Gemeinschaftsorten oder zu Hause ins Gespräch kommt und über geschlechtsspezifische Gewalt aufklärt. Für die Beteiligten sind viele der vermittelten Informationen neu und regen zu weiterem Nachdenken an.

Besuch in Mali
Auch in Mali fanden etliche interessante Gespräche statt, u.a. mit Frau Diakité, der Rechtsberaterin der APDF. Sie und ihre KollegInnen, die das Schutzhaus betreuen, erhalten täglich mehrfach Anrufe von Frauen in Notsituationen, die Beratung benötigen, sehr oft auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten. Im Präsenz-Wartebereich des Gewaltschutzzentrums finden sich täglich mindestens drei, oft auch fünf oder noch mehr Frauen, ein, um sich beraten zu lassen. In Mali ist es selten, dass Frauen rechtliche Schritte ergreifen, wie etwa Anzeige zu erstatten oder ein Gerichtsverfahren aufzunehmen, da dies insbesondere von der Schwiegerfamilie, mit der die Frau meist zusammenlebt, als Verrat angesehen und sanktioniert wird. Häufiger finden Beratungsgespräche mit dem Partner und ggf. weiteren Familienangehörigen statt, um Veränderungen zu ermöglichen und an die Verantwortung des oder der Gewaltausübenden zu appellieren. Die Fälle decken eine große Bandbreite ab, von der Weigerung des Ehemanns, seiner Frau eine dringend erforderliche Gesundheitsbehandlung zu finanzieren, über Polygamie-Streitigkeiten und -Ungleichbehandlung der Frauen bis hin zu drohender Frühverheiratung oder Genitalverstümmelung. Im Fall eines jungen Paares, dessen Beratung TDF mitverfolgen konnte, war die Eifersucht des Mannes sogar so weit gegangen, dass er seine Frau ohne irgendeinen Beweis ihrer vermeintlichen Untreue des gemeinsamen Hofes verwies und sie gewaltsam davon abhielt, zumindest noch einen Koffer zu packen und sich von ihren Kindern zu verabschieden.
Viele Frauen erzählten, dass sie erst dann ein Mitspracherecht auf Haushaltsebene hätten und in familiäre Entscheidungen involviert würden, wenn sie selbst Geld nach Hause brächten. Da sie meist aber noch während der Schulzeit oder kurz danach verheiratet werden und entsprechend keinen Beruf erlernen, können sie bei der APDF an verschiedenen Ausbildungen teilnehmen. TDF besuchte die Ausbildungskurse für Schneiderei/Modedesign, Seifenherstellung, Henna-Tattoo-Kunst, Kosmetik/Frisierhandwerk/Foulard-Binden und zur Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten. Die Angebote sind überdurchschnittlich stark nachgefragt und die APDF muss streng auswählen, wer teilnehmen darf. Die Teilnehmerinnen waren in allen Fällen mit großem Elan und konkreten Zukunftsplänen dabei. Die große Mehrzahl gründet nach der Ausbildung ein eigenes Unternehmen. Die APDF begleitet die Frauen dabei, besucht sie regelmäßig und berät sie in Businessfragen. Bei erfolgreicher Kursabsolvierung werden zudem Starterkits ausgegeben, so dass die Frauen notwendige Arbeitsmaterialien direkt zur Hand haben und zeitnah erste Einnahmen erwirtschaften können.
Die Aufklärungsarbeit konnte TDF an zwei Schulen und im Rahmen eines Seminars zu „positiver Männlichkeit“ erleben. Bei Letzterem wurden in einer Gruppenarbeit etwa die Anzahl an unbezahlten und bezahlten Tätigkeiten von Frauen und Männern an einem normalen Wochentag ermittelt, was erhebliche Ungleichheiten offenlegte. Das Seminar war von lebhaften Diskussionen begleitet, die belegen, dass eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichberechtigung der Geschlechter stattfindet.

Ausblick
TDF wird mehrere Interviews mit Projektbeteiligten aus Burkina Faso und Mali in Kürze hier veröffentlichen.
Bei ihrem unermüdlichen Ringen um die Verhinderung und Überwindung von geschlechtsspezifischer Gewalt, um die Gleichberechtigung der Geschlechter und dringend erforderlicher Nothilfe für geflüchtete Frauen und Mädchen wird TDF beide Partnerorganisation weiter unterstützen. Der Bedarf ist sehr groß und wir möchten unser Engagement gerne ausweiten. Helfen Sie uns dabei?
 

 

  • Aufklärungsveranstaltung zu geschlechtsspezifischer Gewalt mit Frauen in Ouagadougou © TDF
  • Mobile Sensibilisierung zu weiblicher Genitalverstümmelung, hier in einem Restaurant in Ouagadougou © TDF
  • Treffen mit Binnengeflüchteten in Burkina Faso © TDF
  • Viele Geflüchtete sind notdürftig in Zelten aus Planen und Karton untergekommen © TDF
  • Temporäre Schule, in der geflüchtete Kinder unterrichtet werden. An dieser Schule leistet TDF bis Ende des Schuljahres im Juni 2023 Nahrungsmittelhilfe © TDF
  • Das ABN-Team mit Dr. Akotionga (in der Mitte, mit Krawatte), der mehreren tausend Frauen bereits durch Notoperationen nach erlittener Genitalverstümmelung geholfen hat © TDF
  • Absolventin einer Berufsausbildung zur Herstellung von Erdnuss-Paste, die in Burkina Faso sehr nachgefragt ist © TDF
  • Das ABN-Team: in der Mitte die Gründerin und Präsidentin Rakieta Poyga (mit Brille) © TDF
  • Die aktuell jüngsten Bewohner des Schutzhauses in Bamako © TDF
  • Training für das Anlegen einer Kopfbedeckung (Foulard) im Berufsbildungskurs Kosmetik und Frisierhandwerk in Mali © TDF
  • Die TeilnehmerInnen am aktuellen Berufsbildungskurs Schneiderei/Modedesign in Mali © TDF
  • Die Teilnehmerinnen am aktuellen Berufsbildungskurs Seifenherstellung in Mali © TDF
  • Seminar der APDF für MultiplikatorInnen und BürgermeisterInnen zum Thema „positive Männlichkeit(en)“ in Mali © TDF
  • Die Teilnehmerinnen am Berufsbildungskurs Henna-Tattoo-Kunst; Kundschaft finden die Frauen mit ihren späteren Unternehmen v.a. im Rahmen der sonntäglichen Hochzeitsfeiern in Bamako © TDF
  • Teilnehmerinnen am Berufsbildungskurs zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte in Mali beim Waschen von Hirse © TDF
  • Rollenspiel-Vorführung im Rahmen der schulischen Aufklärungsarbeit, die TDF und Häuser der Hoffnung gemeinsam in Mali fördern © TDF
  • Teilnehmerinnen am Berufsbildungskurs zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte beim Sieben von Hirse und gerösteten Erdnüssen © TDF
  • Maiga Saima, die Leiterin des APDF-Schutzhauses in Gao (links), mit der APDF-Leiterin Bintou Coulibaly (rechts). Maiga Saima hat einen Preis für ihre Verdienste rund um das Schutzhaus und die Angebote für gewaltbetroffene Frauen von der malischen Regierung erhalten © TDF
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