• 16.06.2023

Die „Weiße Woche“ 2023 – TERRE DES FEMMES sensibilisierte gemeinsam mit der Berliner Polizei zu Früh- und Zwangsverheiratungen an Schulen

„Infostand“: Referatsleiterin Myria Böhmecke am Infostand, 2023

Da zu befürchten ist, dass auf einige Jugendliche und junge Erwachsene in den Sommerferien keine Urlaubs-, sondern eine Hochzeitsreise wartet, klärte TERRE DES FEMMES auch in diesem Jahr im Rahmen der „Weißen Woche“ (6. – 9. Juni 2023) über Frühehen und Zwangsverheiratungen auf. Die „Weiße Woche“ fand dieses Jahr in vier Berliner Schulen in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Marzahn-Hellersdorf statt. Wie bereits im Jahr zuvor unterstützte die Berliner Polizei die Aktion und wirkte aktiv mit.

Der Zeitraum vor den Sommerferien ist bewusst gewählt. Gerade jetzt steigt für SchülerInnen aus streng patriarchal strukturierten Familien das Risiko einer Zwangsverheiratung und Frühehe innerhalb der Sommerferien. Eine angekündigte Urlaubsfahrt könnte dann zu einer ungewollten Hochzeitsreise führen. Oft werden den Mädchen und Frauen Pässe und Kontaktmöglichkeiten genommen. Eine Rückkehr – sowohl in ihr „altes“, möglicherweise freieres Leben – als auch nach Deutschland ist dann nur noch sehr schwer möglich. Ein „Nein“ der Betroffenen kann in vielen Familien als Verletzung der sogenannten „Familienehre“ wahrgenommen werden und/oder wird nicht akzeptiert. Im schlimmsten Fall - allerdings nicht in wenigen – wird die Weigerung mit Gewalt sanktioniert.

In den Schulen

In insgesamt 20 Klassen wurden interaktive Workshops gehalten, rund 350 SchülerInnen wurden damit direkt erreicht. Zusätzlich konnte TERRE DES FEMMES mit knapp 350 SchülerInnen einen hohen Andrang auf den Infostand in den Schulfoyers feststellen, bei welchem verschiedene Aufklärungsflyer zum Mitnehmen auslagen und TDF-Referentinnen sowie die Polizei für Gespräche und Nachfragen zur Verfügung standen. Im Rahmen der Workshops wurde über gesetzliche Regelungen hinsichtlich Zwangs- und Frühehen in Deutschland aufgeklärt, mögliche Warnzeichen im Vorfeld thematisiert, Beratungsstellen vorgestellt und die lebenslangen Folgen von Früh- und Zwangsehen diskutiert. Zudem hat die Polizei ergänzend über ihre Möglichkeiten und Vorgehensweisen informiert. Die Workshops richteten sich nicht nur an potenziell Bedrohte oder Betroffene – auch nicht-gefährdete Mädchen und Jungen können als MultiplikatorInnen einen wichtigen Beitrag zur Hilfestellung leisten. Denn die Kernbotschaft der „Weißen Woche“ lautet: „Hol dir so früh wie möglich Hilfe. Du bist nicht allein.“

Eindrücke

„Ich kenne viele… Freundinnen, Cousinen… werden alle verheiratet“, so eine Schülerin im Workshop. Eine weitere erzählte, dass sie „natürlich“ nur einen Mann aus ihrem Kulturkreis heiraten könne, sonst würde sie „Schande“ über die Familie bringen. Eine junge Frau berichtete darüber, dass für eine zwangsverheiratete und verschleppte Freundin der Reisepass aus der elterlichen Wohnung entwendet werden musste, damit diese aus dem Ausland – und damit aus der Zwangsehe – zurück nach Deutschland fliehen konnte. In vielen Klassen hörte TERRE DES FEMMES ähnliche Geschichten. Für viele SchülerInnen scheinen Zwangsverheiratungen und Frühehen im sozialen Umfeld nichts Unbekanntes zu sein. Zudem waren viele SchülerInnen noch nicht darüber aufgeklärt, dass Minderjährige auch nicht im Rahmen von traditionellen oder religiösen Zeremonien verlobt oder verheiratet werden dürfen.

Des Weiteren konnte das von TERRE DES FEMMES entwickelte Theaterstück „Mein Herz gehört mir“ an einer Schule aufgeführt werden. In dem Theaterstück werden die Themen Selbstbestimmung, Familie und Liebe aufgearbeitet. Die SchülerInnen können dabei den Verlauf der Szenen aktiv mitgestalten und ihre Ideen auf der Bühne selbst vorspielen. Auch die Polizei stand hier für Fragen zur Verfügung und beteiligte sich selbst am Stück. Über 60 SchülerInnen nahmen an der Theateraufführung teil. Die anschließende Podiumsdiskussion mit TDF-Referatsleiterin Myria Böhmecke, drei TheaterpädagogInnen und zwei PolizistInnen bot Gelegenheit zum Austausch und offenbarte die unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema. So fragte eine Schülerin, ob man lebenslang verheiratet bleiben müsse, wenn man zwangsverheiratet wurde. Eine andere Schülerin hingegen war irritiert, dass sich das Mädchen im Theaterstück über die geplante Hochzeit überrascht zeigte – man wisse doch, dass man auch früh heiraten werde, wenn dies schon die Mutter und Großmutter mussten, so die Schülerin.

Diese Erfahrungen und Resonanzen zeigen: Präventionsarbeit ist dringend notwendig. TERRE DES FEMMES möchte 2024 wieder gemeinsam mit der Berliner Polizei die „Weiße Woche“ durchführen.

  • „Gruppenbild“: Team der Weißen Woche: TERRE DES FEMMES und Berliner Polizei, 2023
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