• 01.06.2023

Interview mit der Künstlerin Shelley Lui zu "Das Licht im Treppenhaus"

Im Jahr 2019 wird die Berlinerin Shelley in ihrem eigenen Hausflur überfallen und vergewaltigt. Ein Schicksal, das sie nicht zum Schweigen bringt. Ihr Entschluss, sich öffentlich zu äußern und den Fall zur Anzeige zu bringen, sorgt dafür, dass der Täter später verurteilt wird.

Eine Geschichte, die berührt und Mut macht.

In Kooperation mit TERRE DES FEMMES e.V. entwickelten Shelley Lui und Tobias Herford das zwölfminutige Audiofeature "Das Licht im Treppenhaus", das Shelleys Geschichte eindrücklich vertont.

TERRE DES FEMMES hat Shelley Lui dazu interviewt.

 

Was willst du anderen Frauen mit dieser Geschichte mit auf den Weg geben?

Es ist eine sehr persönliche Geschichte, und ich wende mich damit an die Öffentlichkeit, um anderen Opfern von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen daran zu erinnen, dass sie nicht allein sind.

Nach der Vergewaltigung habe ich mich leer gefühlt, erschöpft, zerbrochen – als ob mir ein Teil von mir genommen wurde und abstarb. Ich war überwältigt von einem wilden Mix aus Gefühlen wie Furcht, Schuld, Scham, Schwäche, Hilflosigkeit und Wut. Und ich habe mir monatelang Fragen gestellt: Warum ich? War es meine Schuld? Hört das jemals auf? Wie kann ich mir selbst helfen? Werde ich mich je wieder sicher fühlen?

Ich habe aber auch gelernt, wie wichtig es ist, offen mit dem Thema umzugehen. Denn mir wurde klar, dass das viel häufiger passiert, als man es sich so vorstellt – sei es mit einem Fremden (wie in meinem Fall), einem Freund, mit jemandem, den man schätzt, liebt und vertraut. Das war erschütternd. Offenheit hat mir dabei Stärke gegeben. 

Nach einem langen Prozess und durch die Kraft der Kunst habe ich einen der schlimmsten Momente meines Lebens in einen verwandelt, der mich stärkt wie keiner zuvor. Ich habe gelernt, dass wir Kraft auch aus unserer Verletzlichkeit ziehen können – physisch wie psychisch. Dass wir stolz auf unsere Narben sein können. Und das ist eine Botschaft, die ich gerne anderen Frauen mitteilen würde.

Ich hoffe, diese Story wird

  • andere ermutigen, offen über das Thema zu sprechen
  • klarmachen, dass es hier in unserem Alltag passiert, nicht nur in Filmen
  • Opfern klarmachen, dass sie weder allein noch jemals Schuld sind
  • Betroffenen hilft, die sich in derzeit in einer ähnlichen Situation befinden
  • Frauen hilft, ihre Kraft zurückzubekommen und Licht in ihre Dunkelheit zu bringen

 

Wie geht es dir heute?

Gut. Wenn es auch durchaus Zeiten gab, in denen ich mich draußen im Dunkeln gefürchtet habe oder ich aufgeschreckt bin, wenn mir ein Fremder auf der Straße zu nahe gekommen ist, ist diese Nervosität heute aber verschwunden und ich kann erfülltes Leben leben. Der Gerichtsprozess und die Schuldigsprechung meines Täters haben mir ein gewisses Gefühl von Gerechtigkeit zurückgegeben und vor allem einen emotionalen Abschluss, der mich wieder nach vorne blicken lässt, in meine eigene Zukunft.

 

Wie hast du dir Hilfe und Unterstützung gesucht? Was hat dir besonders geholfen und was überhaupt nicht?

Der erste große Schritt für mich war die Kontaktaufnahme zur Hotline „Gewalt gegen Frauen“  – 8000 116 016. Die Beraterin am Telefon war freundlich und geduldig und gab mir eine klare Anleitung, welche Schritte ich als nächstes gehen müsste. Nach der Vergewaltigung war mein Verstand wie vernebelt und ich habe mich in Gefühlen, Gedanken und Fragen verloren. Die Frau an der Hotline hat mir die zuständige Abteilung im Charité genannt, wo ich eine gesundheitliche Untersuchung bekommen würde. Außerdem gab sie mir eine Anleitung, was ich mit der Kleidung jener Nacht anstellen sollte, also habe ich sie in eine Papier-Tüte gesteckt, um DNA-Spuren als Beweismittel erhalten zu können.
Eine gute Freundin hat mich zum Charié begleitet, wo ich bei der Anmeldung schon die Wahl hatte, ob ich Anzeige erstatten wollte. Das würde bedeuten, dass die Polizei zum Charité kommen und mir Fragen stellen würde. Ich habe mich dafür entschieden. Bei jeder Untersuchung wurden Proben als Beweis aufgenommen, das war ein langer und genauer Prozess, der mich etwa 6 Stunden im Charité verbringen lies.
Zwei Polizeibeamte haben mich befragt und unmittelbar darauf den Tatort in meinem Treppenhaus untersucht. Leider wurde das schon am Morgen danach gereinigt und die Überwachungskamera stellte sich als Atrappe heraus. Aber an der von mir aufbewahrten Kleidung haben sie schließlich DNA-Spuren gefunden, die sie mit jemandem in ihrem System matchen konnten.
Die Polizeit empfahl mir auch, LARA zu kontaktieren, die mir geholfen haben, mich auf den Gerichtstermin vorzubereiten. Das war ebenfalls eine sehr starke Hilfe, sowohl mental als auch praktisch. Dort bekam ich auch die Empfehlung für eine Anwältin, die mich vor Gericht vertreten sollte, und auch die Kosten wurden von LARA übernommen.

War es einfach, an Informationen über Hilfestellen in Berlin zu kommen?

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen": 8000 116 016 war ein bedeutender erster Schritt für mich und auch relativ einfach zu finden. Eine Freundin, der ich mich anvertraut hatte, hatte mich gedrängt, dort anzurufen. Dies war der eine Schritt, der alles weitere losgetreten hat.

UPDATE: Das Hilfetelefon ist ab sofort auch unter der neuen Nummer 116 016 zu erreichen, 24 Stunden an jedem Tag, kostenfrei, anonym, in 18 Sprachen und per Chat.

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