• 04.10.2023

„Solange Prostitution legal ist, wird es äußerst schwierig sein, zwischen selbstbestimmter und unfreiwilliger Tätigkeit zu unterscheiden.“

Dr. Elke Bartels war von 2010 bis 2021 Polizeipräsidentin des Polizeipräsidiums Duisburg.
Im Interview spricht sie über die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden im Bereich der Prostitution, die Schwierigkeiten, mit denen die Polizei konfrontiert ist und welche politischen und gesetzlichen Veränderungen notwendig sind, um Zwangsprostitution wirksam einzudämmen.

TDF: Im Vulkankaree in Duisburg befindet sich die wohl größte Bordellmeile in NRW, inwiefern hatte das Auswirkungen auf Ihre alltägliche Arbeit bei der Strafverfolgungsbehörde?

Dr. Elke Bartels: Die Bordellmeile in Duisburg wird regelmäßig in den Streifendienst der Polizei einbezogen. Auf die alltägliche Arbeit hat es aber keinen Einfluss, weil die Polizei aufgrund der Gesetzgebung hinsichtlich Prostitution nicht anlasslos die Etablissements aufsuchen darf. Sie darf nur tätig werden, wenn sie gerufen wird oder sieht, dass es einen konkreten Anlass gibt, ansonsten kann sie diese Etablissements nicht begehen.

TDF: Selbst mit dem Prostituiertenschutzgesetz von 2017 nicht?

Dr. Elke Bartels: Das Schutzgesetz hat für die Polizei keine Auswirkung. Es ist mehr eine Frage, wie die Prostituierten sich unter den neuen Auflagen verhalten, z.B. ob sie sich anmelden und bestimmte festgeschriebene Rahmenbedingungen einhalten (Kondompflicht etc.).

Uns sind die Hände gebunden. Solange es kein Straftatbestand ist, Laufhäuser und Bordelle zu betreiben und auch der Straßenstrich rechtmäßig ist, haben wir keine Handhabe. Vor dem Prostitutionsgesetz (2002), dass Prostitution als Sittenwidrigkeit abschaffte, haben wir noch regelmäßige Kontrollen durchgeführt.

TDF: Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt, es wird von einer enorm hohen Dunkelziffer ausgegangen. Von einer hohen Dunkelziffer wird auch im Bereich der Prostitution ausgegangen (geschätzte Zahl von Prostituierten in Deutschland 400.000 - tatsächlich angemeldeten Zahl von Prostituierten 28.278).
TERRE DES FEMMES fordert seit Jahren eine Studie mit statistisch fundierten Zahlen zur Prostitution in Deutschland. Inwiefern könnte die Umsetzung dieser Forderung einen Zugewinn für die polizeiliche Arbeit darstellen?

Dr. Elke Bartels: Eine Studie als solche würde für die Polizei keinen Zugewinn darstellen. Zum einen erlauben die Datenschutzgesetze keinen direkten Datenaustausch zwischen Kommune und Polizei. Wir wissen nicht, welche und wie viele Frauen z.B. in Duisburg, gemeldet sind. Dieser Datenschutz greift über alles. Ein Austausch findet nicht statt und somit kennen wir nicht nur die ungemeldeten Prostituierten nicht, sondern noch nicht einmal die gemeldeten Prostituierten.
Zum anderen gibt eine solche Statistik der Polizei auch keine Handhabe einzugreifen. Wenn wir glauben, dass man einen Durchgang durch Bordelle machen sollte, dann brauchen wir konkrete Anhaltspunkte, die auf ein rechtswidriges Handeln deuten.

TDF: Im neu erschienen Buch „Sex-Kauf - eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“ beziehen Sie Stellung zur aktuellen Lage der Prostitution aus Sicht der Polizeibehörden, sie sagen, dass es am wichtigsten sei, dass Frauen im Milieu, die nicht freiwillig und selbstbestimmt tätig sind, dies der Polizei auch verlautbaren. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, dass dies häufiger passiert, um Betroffene von Zwangsprostitution schneller zu identifizieren?

Dr. Elke Bartels: Solange Prostitution legal ist, wird es äußerst schwierig sein, zwischen selbstbestimmter und unfreiwilliger Tätigkeit zu unterscheiden. In der Zwangsprostitution wird stets Gewalt angewendet, sowohl psychische als auch physische und Drohung mit Gewalt, um die Frauen gefügig zu machen. Es wird auch mit Gefühlen gearbeitet, z.B., die Loverboy-Methode. Gerade Migrantinnen, die durch Erzeugung falscher Tatsachen hierher gelotst worden sind, haben kaum eine Ausbildung, sind oft Analphabetinnen, können kaum die Sprache, ihnen wird sofort der Pass abgenommen. Sie sind völlig hilflos und ausgeliefert und da wird es kaum möglich sein, irgendeine Aussage zu erhalten, die belastbar ist für Polizei und Staatsanwaltschaft. Der Druck, der auf den Frauen lastet, ist immens, nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familie. Der wird, von den Zuhältern gezielt ausgeübt, indem sie damit drohen, dass Angehörige zu Schaden kommen, wenn sie nicht das machen, was von ihnen erwartet wird. Solange das so ist, werden wir keine belastbaren Beweise für ein Vorgehen der Polizei erhalten.

TDF: Sie stehen dem ProstSchG kritisch gegenüber, ihrer Meinung nach schützt es mehr die Frauen, die selbstbestimmt arbeiten, als diejenigen die sich unter Zwang prostituieren. Aktuell wird das ProstSchG vom Kriminologischem Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN), beauftragt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) evaluiert. Wie müsste sich Ihrer Meinung nach die Gesetzgebung verändern, damit Frauen, die nicht freiwillig in der Prostitution arbeiten besser geschützt werden?

Dr. Elke Bartels: Fachleute gehen davon aus, dass 90 - 95% der Prostituierten nicht freiwillig dieser Tätigkeit nachgehen. Das Prostitutionsmilieu ist dank der Legalisierung in Deutschland und ihrer konkreten Umsetzung, die zu einem gewissen Alleinstellungsmerkmal in Europa führen, zu einem lukrativen kriminellen Wirtschaftszweig geworden. Es wird davon ausgegangen, dass der jährliche Gewinn bis zu 15 Milliarden Euro beträgt. Auch deshalb setzen die Profiteure alles daran, dass die Legalisierung erhalten bleibt.

Es muss eine Basis geschaffen werden, auf der man feststellen kann, dass der Gesetzgeber zu einem Großteil nicht von Freiwilligkeit ausgehen kann. Die von Ihnen angesprochene Studie führt sicherlich auch dazu, aber man müsste dann noch einmal akribischer eine Bestandsaufnahme machen und klar darstellen, dass diejenigen, die das freiwillig machen wirklich die Ausnahmen sind. Wenn man diese Unfreiwilligkeit dann zugrunde legt, müsste man überlegen, ob es allein durch ein Sexkaufverbot möglich ist, die Frauen zu schützen oder ob es andere Möglichkeiten gibt. Mir fallen keine guten ein, außer dem Sexkaufverbot. Wenn man so weit ist, dann müsste das bisherige Prostituiertenschutzgesetz neu geschrieben werden. Wir haben leider keine Klientel, die uns über ihre Situation aufklärt, das ist das Problem. Man kann nicht damit rechnen, dass die Frauen eine belastbare Aussage tätigen.

Ohne eine wie auch immer geartete Kriminalisierung kommen wir bei der Unterscheidung zwischen Zwangsprostitution und freiwilliger Prostitution nicht weiter.
Oftmals sind diejenigen, die als freiwillige Prostituierte durch die Medien wandern, Dominas, die andere Sexualität verkaufen oder auch Frauen, die Gewinn machen, z.B. Bordellbesitzerinnen oder sogenannte Puffmütter. Die Frauen, die zu den 90 - 95% gehören, die sich unter Zwang prostituieren müssen, werden sich kaum vor die Medien stellen und von ihrem Schicksal berichten.

TDF: Abolitionistin in Deutschland zu sein, ist anstrengend, da der Gegenwind noch besonders stark ist. Immer wieder begegnen wir der Kritik, dass ein Sexkaufverbot das Recht auf freie Berufswahl und sexuelle Selbstbestimmung beschneiden würde, Prostitution würde lediglich ins Verborgene gedrängt, die Gewalt würde steigen, der Zugang zu Hilfe und Beratung würde abermals erschwert werden. Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Dr. Elke Bartels: Die Arbeit in der Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere. Das haben die Gesetzgeber 2002 und 2017 völlig verkannt. Der Gesetzgeber ist von einer Freiwilligkeit ausgegangen, die nur in den aller geringsten Fällen vorhanden ist. Ich denke, ein Beruf muss den Anspruch haben, dass die eigene Würde nicht mit Füßen getreten wird.
Die Menschenwürde ist jedem Menschen immanent und sie muss von jedem geachtet werden, besonders auch vom Staat. Der Staat muss diejenigen schützen, deren Menschenwürde beeinträchtigt wird, aber das hat der Staat hier mit seiner Gesetzgebung nicht getan. In Freier-Foren haben viele der Männer keine Ahnung von Menschenwürde und sind sogar darauf erpicht, den Frauen ihre Würde zu nehmen. Deswegen rede ich nicht von einem Beruf. Man kann über Berufswahl diskutieren, über Berufsausübungsregelungen und auch Berufsausübungsschranken. Aber für mich stellt sich die Frage: Ist es überhaupt ein Beruf, wenn die Würde, nicht mehr gegeben ist?
90% der Frauen, die durch Menschenhandel oder Zwangsprostitution in diese Tätigkeit geraten, haben fast keine Möglichkeit da wieder rauszukommen. Die Behauptung, dass die Dunkelziffer steigt, ist lächerlich, wenn man sich vorstellt, dass wir von einer Dunkelziffer von bis zu 400.000 Prostituierten ausgehen und nur 28.000 gemeldet sind, die Dunkelziffer kann gar nicht mehr höher werden. Wir sind an einem Level angelangt, wo es kaum schlimmer werden kann. Eine Kriminalisierung des Sexkaufs würde ein Umdenken in der Gesellschaft bewirken. Ich habe einige Bücher und Aussagen über das schwedische Modell gelesen und dort wird gesagt, dass es in der Gesellschaft z.B. nicht mehr en vogue ist, zum Junggesellenabschied in den Puff zu fahren, sondern dass Prostitution in weiten Teilen verpönt ist. Das ist ein Prozess, das geht nicht von heute auf morgen, wir werden auch mit einem Sexkaufverbot Zwangsprostitution nicht sofort völlig unmöglich machen. Aber sie wird reduziert, das ist schon ein Anreiz, dass man wenigstens einen gewissen Prozentsatz der Frauen rettet. Es wird immer Frauen geben, die das weiter machen wollen, die werden auch die Möglichkeit finden, z.B. auf Internetplattformen.

Aber wenn es die Möglichkeit gibt, dass die Polizei gegen Freier vorgeht, die diese Angebote annehmen, dann haben wir zumindest die Handhabe, dagegen einzuschreiten.

TDF: Wie würde sich das Nordische Modell auf die Arbeit der Polizei auswirken?
Dr. Elke Bartels: Die Polizei wäre bei ihren Ermittlungen nicht mehr nur auf die Aussagen der Frauen angewiesen. Sie könnte selbst Recherchen anstellen und Missstände in den Etablissements aufdecken und da es sich um ein Kontrolldelikt, kein Anzeigedelikt handelt, müsste auch das nötige Personal vorhanden sein. Da sehe ich bei der Polizei eine große Schwierigkeit. Denn die Polizei hat einen großen Personalmangel, der dazu führen würde, dass für solche Kontrolltätigkeiten die Leute aus anderen Bereichen abgezogen werden müssten. Man müsste sich also ansehen, wie ein solches Gesetz nicht ins Leere läuft, weil evtl. die personellen Ressourcen nicht ausreichen, um es zu kontrollieren. Das ist aber erst der zweite Schritt. Der erste Schritt ist, den Frauen bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, soziale Angebote zu etablieren, Ausstiegshilfen und Beratungsstellen aufzubauen. Dafür müssten die Kommunen und Länder monetäre und personelle Mittel freisetzen. Für mich ist es erst einmal wichtig, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderung zu schaffen. So ein Gesetzgebungsverfahren würde auch eine längere Zeit beanspruchen, da gibt es eine Karenzzeit, in der man begleitend die Rahmenbedingungen schaffen kann.

TDF: Die derzeitige Umsetzung des ProstSchG liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Arbeitet die Polizei, wie sie es bereits zum Thema Menschenhandel tut, länderübergreifend zum Thema Prostitution zusammen?

Dr. Elke Bartels: Obwohl die Polizei Ländersache ist, arbeiten die einzelnen Dienststellen über die Landeskriminalämter eng zusammen. Denn häufig werden Zwangsprostituierte von einem Bundesland in ein anderes gekarrt. Deswegen arbeiten wir bereits länderübergreifend zusammen und der Informationsaustausch über Ermittlungsverfahren ist ausreichend gewährleistet. Bei Ermittlungsverfahren, die gegen eine bestimmte Gruppierung oder eine bestimmte Person laufen, gibt es eine enge Zusammenarbeit auch mit anderen Bundesländern, in denen diese Gruppierungen oder Täter bereits auffällig geworden sind. Der Austausch funktioniert. Was jedoch nicht funktioniert, ist der Informationsaustausch mit anderen Beteiligten, wie Kommunen oder NGOs, aufgrund der Datenschutzgesetze. Die schützen nicht nur die Daten von rechtschaffenden Bürgern, sondern vor allem auch die Daten potenzieller Täter. Wenn der Gesetzgeber der Polizei mehr Möglichkeiten geben würde, andere Informationen zu erhalten, wäre das schon sehr gut.

TDF: Können Sie uns zum Abschluss noch einen Einblick in Erfahrungen zu Einzelfällen gewähren?

Dr. Elke Bartels: Wir haben in meiner Amtszeit mehrere Frauen aus dem Bordell rausgeholt, die waren halb totgeschlagen. Dann haben wir sie ins Krankenhaus gebracht und dann haben sie auch oft gesagt: „Ich will weg, ich will nach Hause“, wenn sie deutsch sprachen. Wenn nicht, haben wir ihnen sofort einen Dolmetscher zur Seite gestellt, und die meisten haben auch eine Anzeige erstattet, aber ein oder zwei Tage später ihre Aussage wieder zurückgezogen. Vielleicht, weil sie sich zuvor ihrer Situation nicht bewusst waren, dass man sie aufspüren könnte oder dass ihren Familien etwas passiert. Meistens waren die Zuhälter oder Bordellbetreiber auch schon da und haben ihnen einen Besuch abgestattet. Wir haben kein Personal, um einer Frau, die im Krankenhaus liegt, weil sie zusammengeschlagen wurde, 24/7 jemanden vor die Tür setzen. Und selbst wenn, wie lange sollen wir das aufrechterhalten? Sobald sie das Krankenhaus verlassen, können wir das nicht mehr machen. So etwas gibt es leider nur im Fernsehen. Fast 100% der Anzeigen wurden zurückgezogen.
Wenn die Frau sagt: „Ich bin die Treppe runtergefallen“, dann haben wir keine Handhabe. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass das nicht den Tatsachen entspricht, dann brauchen wir belastbare Beweise. Sonst nimmt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht an.

Für mich ist das die größte Menschenverachtung, die ich mir vorstellen kann. Man muss verstehen, dass die Frau eine sehr einfache Ware ist. Wir als Polizei haben häufig mit Drogendealern, Waffenkurieren usw. zu tun, aber um in dieses Geschäft einzusteigen, braucht man Geld. Es kostet, Drogen oder Waffen zu beschaffen und dann zu verkaufen. Für die Ware Frau braucht man nichts, man braucht nur ein Transportmittel und dann holt man sie aus Südosteuropa oder Nigeria oder sonst wo her. Dann fangen sie sofort an zu arbeiten und machen sofort Gewinn. Es wird kein Anfangskapital benötigt.

Aber es gab natürlich auch Ermittlungserfolge. Wir haben zum Beispiel nigerianische Frauen aus dem Vulkankarree herausgeholt. Da war auch eine krankenhausreif geschlagen worden, die dann von einer „Madame“ erzählte, sodass wir einen guten Anhaltspunkt hatten. Wir haben dann tatsächlich einen Menschenhändlerring ausheben können, der mehrere nigerianische Frauen hierher verschleppt hat und jede war einer „Madame“ unterstellt. Diese hatten für jede Frau eine Voodoo-Puppe, und die Frauen glaubten, wenn man die Puppe mit einer Nadel sticht, wird einem selbst etwas Böses widerfahren oder die Familie wird drangsaliert, wenn nicht genau das getan wird, was man von ihnen verlangt. Das waren wirklich ganz üble Machenschaften mit diesem Voodoo-Zauber, und wir konnten sie aufdecken, aber es war akribische Ermittlungsarbeit nötig.

Wir haben auch Loverboys hochgehen lassen. Meistens waren es nicht die Mädchen, die zu uns kamen, sondern die Eltern, die ihre Kinder suchten und von ungesunden Liebesbeziehungen berichteten. Wir haben sie dann zum Beispiel im Vulkankarree oder auf dem Straßenstrich gefunden. In wenigen Fällen ist es uns gelungen, diesen Loverboy zu ermitteln und dann gegen ihn vorzugehen. Dazu bedarf es aber wiederum der Aussage der jungen Frauen. Nur wenn sie minderjährig waren, dann war der Straftatbestand klar und wir hatten eine Handhabe, gegen die Männer vorzugehen.

nach oben
Jetzt spenden