• 24.07.2023

Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2022

Dunkelziffer von Zwangsverheiratungen bleibt hoch

Die jährlich veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) führt alle von der Polizei erfassten Straftaten auf. Seit 2011 der Straftatbestand der Zwangsheirat mit dem §237 StGB in Kraft trat, werden auch diese Fälle differenziert aufgeführt.

Laut Gesetzgeber handelt es sich nach §237 StGB um eine Zwangsheirat, wenn ein Mensch rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung einer Ehe genötigt wird.


Im Berichtsjahr 2022 wurden insgesamt 67 Fälle und 68 Opfer* in ganz Deutschland erfasst. Davon wurden 31 Zwangshochzeiten tatsächlich vollzogen.

Mädchen und Frauen waren überwiegend bedroht oder betroffen – 61 von 68 Opfer waren weiblich, die jüngsten zwischen 6 und 14 Jahren alt. Erschreckend ist, dass es sich bei den drei jüngsten Opfern (davon ein Junge) um bereits vollzogene Zwangsverheiratungen handelte. Als am stärksten betroffene Gruppe stellten sich die 14 bis unter 18-Jährigen heraus: Bei ihnen verzeichnete die Statistik 13 vollzogene und 18 versuchte Zwangsheiraten. Unter den Opfern gab es nur eine männliche Person, somit waren deutlich mehr Mädchen als Jungen betroffen. Bei den Erwachsenen von 21 bis 60 Jahren wurden 19 Opfer erfasst. Die Zahlen verdeutlichen, dass sowohl Mädchen als auch Jungen bereits ab einem frühen Alter betroffen sein können. Mit der Pubertät steigt das Risiko an. Auch Erwachsene können von Zwangsverheiratungen betroffen sein.

Tatverdächtig ist oft die eigene Familie

Unter Tatverdacht standen im Jahr 2022 103 Personen. Davon waren die meisten Personen Männer, aber auch 35 Frauen waren Tatverdächtige. Bezogen auf die formalen Beziehungen zwischen Opfern und Tatverdächtigen standen bei den meisten Opfern die Eltern unter Tatverdacht. Ebenso konnten auch die eigenen Geschwister tatverdächtig sein.

Die meisten Fälle werden nicht erfasst

Doch diese Zahlen stellen aus Sicht von TERRE DES FEMMES nur die Spitze des Eisbergs dar. Ein Indiz dafür kann ein Blick auf die Statistiken von Beratungsstellen liefern: 2022 verzeichnete allein das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 220 Beratungsfälle zum Thema Zwangsverheiratung.1 Zudem hatte TERRE DES FEMMES im Jahr 2022 eine (nicht repräsentative) online-Umfrage unter 460 Lehrkräften aus 15 Bundesländern durchgeführt. Die Umfrage ergab 1.468 Verdachtsfälle und 379 gesicherte Fälle von von drohenden oder vollzogenen Früh- und Zwangsverheiratungen.2 Diese Beispiele zeigen, dass es zwischen dem Hell- und Dunkelfeld eine große Diskrepanz zu geben seint. Sich Außenstehenden anzuvertrauen, wird in streng patriarchalen Familien als Tabu angesehen. Die Angst vor möglichen Sanktionen oder auch die Hemmung, engste Verwandte anzuzeigen, können einige Gründe sein, weswegen viele Fälle von versuchten und vollzogenen Zwangsverheiratungen polizeilich womöglich nicht erfasst werden.

Um gefährdete Personen über ihre Rechte und Schutzmöglichkeiten aufzuklären, führte TERRE DES FEMMES kurz vor den Sommerferien 2023 bereits zum zweiten Mal die Weiße Woche“ gemeinsam mit der Berliner Polizei an Berliner Schulen durch. Auch das Theaterprojekt Mein Herz gehört mir“ zählt zu der Präventionsarbeit von TERRE DES FEMMES und sensibilisiert SchülerInnen. Des Weiteren versendet TERRE DES FEMMES Informationen und Handlungshilfen kostenlos an Lehrkräfte, SozialarbeiterInnen und Schutzeinrichtungen.

Mehr Infos zu den Themen Frühehe und Zwangsverheiratungen finden Sie hier.

*Hinweis: TERRE DES FEMMES spricht von Betroffenen oder Bedrohten. Da aber die Polizei in ihrer Statistik den Begriff „Opfer“ verwendet, ist er in diesem Text übernommen worden.

 

Quellen:

PKS Bundeskriminalamt, Berichtsjahr 2022, Version 1.0

Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Das Jahr 2022 in Zahlen, Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (Mai 2023). Online unter: https://www.hilfetelefon.de/fileadmin/content/04_Materialien/1_Materialien_Bestellen/Jahresberichte/2022/BAFZA_Hilfetelefon_Jahresbericht_Das_Jahr_in_Zahlen_2022_web_bf.pdf

Stand: Juli 2023

1. https://www.hilfetelefon.de/fileadmin/content/04_Materialien/1_Materialien_Bestellen/Jahresberichte/2022/BAFZA_Hilfetelefon_Jahresbericht_Das_Jahr_in_Zahlen_2022_web_bf.pdf

2. TERRE DES FEMMES: Auswertung anonyme Schulumfrage (2022): https://www.frauenrechte.de/images/aktuelles/2022/GNE/Auswertung_Umfrage_EFM_an_Schulen.pdf

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