Das Projekt „Mein Herz gehört mir! – Gegen Frühehen und Zwangsverheiratung“
Projektabschluss: „Mein Herz gehört mir! – Gegen Frühehen und Zwangsverheiratung“
Das Projekt „Mein Herz gehört mir! – Gegen Frühehen und Zwangsverheiratung“ ist Anfang des Jahres 2025 erfolgreich zu Ende gegangen. TERRE DES FEMMES blickt zurück auf fünf ereignisreiche Jahre intensiver Präventions- und Sensibilisierungsarbeit.
Wie es begann
Das interaktive und von Aktion Mensch geförderte Projekt wurde im Oktober 2020 mit einer ursprünglich geplanten Laufzeit von drei Jahren ins Leben gerufen. Aufgrund des großen Erfolgs wurde das Projekt bis März 2025 verlängert, sodass in rund 30 Theateraufführungen und Workshops über 1300 Schülerinnen erreicht werden konnten!
Gemeinsam mit professionellen TheaterpädagogInnen und einem jugendlichen Beirat aus einem Berliner Mädchentreff wurden Szenen zu familiären Konflikten um Themen wie Lebensentwürfe, Rollenbilder, Zwangsverheiratung und Homosexualität erarbeitet.
Das daraus entstandene Stück wurde anschließend an zahlreichen Berliner Schulen aufgeführt. Dabei kam die Methode des Forumtheaters zum Einsatz.
Methode Forumtheater
Drei professionelle TheaterpädagogInnen spielten mit der Methode des Forumtheaters verschiedene Szenen, die jeweils mit einem Konflikt endeten. Zunächst wurde im Plenum geklärt, welche Figur unter Druck gesetzt wird, wer den Druck ausübt und wie man die Situation gewaltfrei lösen kann. Im Anschluss an jede Szene konnten die SchülerInnen selbst auf die Bühne kommen und Lösungsvorschläge ausprobieren. Das Forumtheater bietet den SchülerInnen so eine Möglichkeit, sich in unterschiedliche Rollen und Situationen einzufühlen und sich mit den Lebens- und Gefühlswelten anderer aktiv auseinanderzusetzen. Sie stellen sich die Fragen: „Wie würde ich mich fühlen? Wie würde ich handeln? Wie kann ich den Konflikt lösen?“
Bei „Mein Herz gehört mir“ waren die Bühne und die Requisiten bewusst sehr schlicht gehalten. Auch wurde auf Namen im Stück verzichtet und die einzelnen Rollen der Figuren nur durch Schilder kenntlich gemacht wie „Mutter“, „Große Schwester“, „Vater“, „Tochter“. Dadurch sollte der Blick auf übergeordnete Konflikte gelenkt werden, ohne kulturelle Zuschreibungen vorzunehmen oder mögliche Vorurteile zu bestärken.
Begleitende Workshops im Anschluss an die Aufführung vertieften Inhalte und informierten über Unterstützungsangebote und Hilfsmöglichkeiten. Auch Lehrkräfte und SchulsozialarbeiterInnen wurden sensibilisiert und über Präventions- und Hilfsmöglichkeiten, speziell für Früh- und Zwangsverheiratung, informiert.
Die Jugendlichen und auch Lehrkräfte waren begeistert und bewerteten das Projekt als positiv und wegweisend. So erklärte eine Schülerin: „Ich weiß jetzt, dass ich was sagen muss, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin." (Auswertung der gesamten Schulveranstaltungen).
Und auch eine Lehrkraft bestätigt den Mehrwert der Sensibilisierungsarbeit: „Ich finde es wichtig, dass den Schülerinnen und Schülern mehrere Handlungsoptionen aufgezeigt werden und sie lernen, dass es nicht nur eine richtige Perspektive gibt!“
Mehr als Theater: Breite Sensibilisierungsarbeit
Die Schwerpunkte des Projekts reichten über die Theateraufführungen hinaus: Schulungen und weitere Präventionsmaßnahmen, eine neugestaltete Website, eine Informationsbroschüre für Eltern sowie zwei Kurzclips für Jugendliche waren weitere Projektbestandteile. Durch das breitgefächerte Angebot konnte ein ganzheitlicher Zugang zum Thema Rollenbilder und speziell zum Thema Früh- und Zwangsverheiratung geschaffen werden.
Ergebnisse im Überblick
- Rund 30 Aufführungen des interaktiven Schultheaterprojektes „Mein Herz gehört mir“ mit anschließenden Workshops an Schulen.
- Seit 2022 finden jährlich vor den Sommerferien Workshops an Berliner Schulen im Rahmen der „Weißen Woche“ zusammen mit der Berliner Polizei statt. Ziel ist es, über Zwangsverheiratung und mögliche Verschleppung ins Ausland aufzuklären. Es wird davon ausgegangen, dass ein besonders hohes Risiko während der Ferienzeit besteht. Laut einer Umfrage des Arbeitskreises Berlin fanden 2022 88 % der vollzogenen Zwangsverheiratungen im Ausland statt.
- Die Website www.zwangsheirat.de wurde umfassend überarbeitet. Sie bietet bundesweite Beratungs- und Hilfsangebote für Betroffene sowie Unterstützende
- In Zusammenarbeit mit der Illustratorin Miriam Barton entstand ein 90-sekündiger Clip, der über Früh- und Zwangsverheiratungen aufklärt und dazu ermutigt, sich Hilfe zu holen. Das Video ist hier abrufbar.
- Auch Informationsmaterial – Poster und Postkarten – wurden für die Jugendlichen entwickelt und können kostenfrei im TDF-Shop bestellt werden.
- Um die Zielgruppe der Eltern zu erreichen, wurde eine Broschüre „Starke Familien haben starke Töchter“ in 8 Sprachen erstellt. In einfacher Sprache und mit zahlreichen Illustrationen klärt die Broschüre über die rechtliche Lage auf und weist auf die Auswirkungen von Zwangsverheiratungen hin. Die Broschüre wird u. a. über die „Stadtteilmütter“ verteilt und kann kostenfrei im TDF-Shop bestellt oder heruntergeladen werden.
- In mehreren Schulungen konnten ca. 100 Berliner „Stadtteilmütter“ zum Thema Zwangs- und Frühverheiratung erreicht werden, sodass sie in ihren Gemeinschaften Hilfs- und Präventionsarbeit leisten können.
- Es wurden Aufklärungs- und Informationsmaterialien für PädagogInnen und Personen entwickelt, die Betroffenen helfen und Präventionsarbeit leisten wollen (z. B. ein Flyer für Lehrkräfte und SchulsozialarbeiterInnen sowie kostenfreie Unterrichtsmaterialien)
- Am Internationalen Tag der Kinderrechte (20. November 2024) wurden Schulen angeregt, sich im Rahmen von niedrigschwelligen Präventionsaktionen gegen Zwangsverheiratung und Frühehen einzusetzen. Eine Zusammenfassung der Aktion finden Sie hier.
- Relevante AkteurInnen wie PädagogInnen, MitarbeiterInnen der Polizei, Stadtteilmütter etc., konnten miteinander vernetzt werden, um effektiv Präventionsarbeit zu leisten und im Einzelfall gezielt helfen zu können. So organisierte TERRE DES FEMMES 2023 im Rahmen des Projekts einen „Runden Tisch“ mit Berliner VertreterInnen aus Politik und Polizei oder 2025 eine bundesweite Online-Podiumsdiskussion anlässlich des 20. Todestags von Hatun Sürücü mit rund 340 Teilnehmenden.
- Um gezielt für die Gefahr der Verschleppung und die lebenslangen Folgen einer Frühverheiratung zu sensibilisieren, wurde der Clip „Der letzte Schultag“ gedreht. Er rückt insbesondere auch die Schule in den zentralen Fokus der Hilfestellung.
We won’t stop now- Wie es weitergeht
TERRE DES FEMMES konnte mit dem Projekt „Mein Herz gehört mir!“ bereits entscheidende Ziele erreichen, doch hier soll es nicht aufhören. Im April 2025 startete daher ein neues Projekt unter dem vorläufigen Namen „Gemeinsam für Gleichberechtigung“. In diesem Projekt liegt der Fokus auf Jugendliche und jungen Erwachsene vor allem in Geflüchteteneinrichtungen.
Das Engagement gegen Früh- und Zwangsverheiratung und für ein selbstbestimmtes Leben geht weiter.
„Mein Herz gehört mir!“
Als Betroffene von Zwangsverheiratung gibt es in ganz Deutschland spezialisierte Beratungsstellen, an die Du Dich wenden kannst.
Dann mach den Mund auf und informiere eine Beratungsstelle!
Als Zwangsheirat wird eine Heirat bezeichnet, zu der einer oder beide der Ehepartner/in nicht ihre freie oder volle Zustimmung geben. Oft wird unter Androhung von körperlicher oder psychischer Gewalt eine Heirat erzwungen.
Frühehe beschreibt die Heirat einer Person vor Erreichen der Volljährigkeit (unter 18 Jahren). Heiraten unter 18 Jahren ist seit 2017 in Deutschland gesetzlich verboten. Deshalb finden die sogenannten religiösen/traditionellen Eheschließungen meistens heimlich statt.
Für eine Zwangsverheiratung oder Frühehe gibt es verschiedene Gründe.
Zum Beispiel werden manche Mädchen zur Ehe gezwungen, um die Ehre der Familie zu bewahren oder weil es in der Familie so Tradition ist.
Wusstest du, dass Zwangsverheiratung seit 2011 in Deutschland ein eigenständiger Straftatbestand ist? Deshalb finden sie so oft heimlich oder im Ausland statt.
In Berlin und vielen anderen Städten gibt es tolle Projekte, die Mädchen und junge Frauen dabei unterstützen sich auszutauschen, kreativ zu sein und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Wie Sie als Fachkraft Betroffenen helfen und wo erhalten Sie Unterstützung und Hilfestellung?