• 24.01.2023

Verhütung für alle!
Kostenlos, sicher und gleichberechtigt

Weltweit werden aktuell wieder reproduktive Rechte debattiert. In einem Land wie Deutschland sollte man erwarten können, dass grundlegende Menschenrechte wie sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR), gewährleistet sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch das Recht auf Verhütung zählt zu diesen Rechten, doch es scheitert am Angebot, am Zugang und an der Aufklärung über Verhütungs- und Notfallverhütungsmittel. Was gleichberechtigte Verhütung angeht, liegt ebenfalls noch ein weiter Weg vor uns.

Gleichberechtigung sieht anders aus

Egal, ob jemand zum ersten Mal ein Verhütungsmittel verschrieben bekommt, ein Folgerezept braucht oder zu einer anderen Verhütungsmethode wechseln will, in den meisten Fällen ist dafür ein Besuch bei GynäkologInnen und nicht bei UrologInnen notwendig. Verhütung wird also (nicht nur bei der Frage der Finanzierung) zur Frauensache gemacht.

Doch wieso sollen Frauen die alleinige Verantwortung tragen?

Wer sexuell aktiv ist, sollte sich Gedanken über die passende Verhütung machen. Es gibt heutzutage verschiedene Arten der Verhütung. Einige schützen besser vor einer ungewollten Schwangerschaft als andere, wobei nur das Kondom bei richtiger Anwendung zusätzlich auch vor der Übertragung von Geschlechtskrankheiten schützt. Je sicherer die Verhütungsmethode ist, desto niedriger ist der sogenannte Pearl Index. Das Kondom hat ein Pearl Index von 2-12. Dagegen schneidet die Pille mit einem Wert von 0,1-0,9 besser ab.[1]

Zu den hormonellen Verhütungsmethoden gehören neben der Pille auch die Hormonspirale, der Vaginalring, die drei-Monats-Spritze, das Verhütungsstäbchen und das Hormonpflaster. Für die Frau gibt es neben hormonellen Verhütungsmitteln ebenfalls hormonfreie, die keinen Einfluss auf den Zyklus haben. Dazu zählt beispielsweise das Diaphragma, welches ähnlich wie ein Tampon in die Vagina eingeführt wird, um Spermien den Weg in die Gebärmutter zu versperren. Die hormonfreie Kupferspirale und -kette werden in die Gebärmutter eingelegt und können dort bis zu 5 Jahre bleiben.[2]

Es gibt zudem noch weitere hormonfreie Methoden, bei denen jedoch der Pearl-Index nicht ausreichend erforscht ist. Eine mögliche Variante besteht darin, die fruchtbaren Tage anhand der Beobachtung des Zyklus zu erfassen. Hierzu können Temperaturmessungen, Kalendertage oder die Beschaffenheit des Zervixschleim Auskunft liefern. Für den Mann gibt es zum Beispiel das temperaturbasierte Verhütungsmittel des Hodenbadens. Diese Methoden erfordern jedoch eine gute Kenntnis über den eigenen Körper und Zyklus und sind vergleichsweise nicht sehr sicher. Sie erzielen nur eine Unterbrechung der Fruchtbarkeit oder Zeugungsfähigkeit. Eine weitere sehr effektive und teils endgültige Methode der Verhütung ist die Sterilisation der Frau oder die Vasektomie des Mannes. Hierbei handelt es sich um kurze Eingriffe, bei denen die Eilleiter oder die Samenleiter unter örtlicher Betäubung durchtrennt oder verschlossen werden. Nach der Vasektomie gibt es in 80% der Fälle eine Chance auf Refertilisierung. Abhängig von der Sterilisationsmethode können zwischen 25 und 80 % der Frauen wieder schwanger werden. Die abgeklemmten oder durchtrennten Eileiter müssen dazu wieder miteinander verbunden werden. Für junge Frauen steht die Chance auf eine Sterilisation nicht besonders gut, da viele ÄrztInnen den Eingriff verweigern und Frauen von dieser Art der Verhütung abraten, auch wenn sie ausdrücklich von PatientInnen gewünscht wird. Die Entscheidungsfreiheit der Frau wird durch diese Art der Bevormundung eingeschränkt und hindert sie in der freien Ausübung ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte.
Die konventionelle Auswahl an verfügbaren Methoden beschränkt sich meistens auf ein hormonelles Verhütungsmittel für die Frau und das Kondom für den Mann. Ein gleichgestelltes, selbstbestimmtes Sexualleben, in dem der Zugang zu und eine freie Auswahl von Verhütungsmethoden gewährleistet ist, ist demnach fern der Realität.

Auch für Männer kann eine sexuelle und reproduktive Selbstbestimmtheit nur dann gewährleistet werden, wenn sie ebenfalls für eine temporäre Zeugungsunfähigkeit sorgen können. Denn Kondome sollten nicht die einzige verlässliche Form der Verhütung sein, die dem Mann zur Verfügung steht. Deshalb muss die Forschung in diesem Bereich dringend weiter gefördert werden. Von Seiten der Politik muss demnach in alternative Verhütungsmethoden investiert werden, um dadurch eine gleichberechtigte Verhütung für alle Menschen in Deutschland zu ermöglichen. Die Ampelkoalition einigte sich bereits bei den Haushaltsberatungen für 2024 auf eine Erweiterung der Forschungsförderung im Rahmen von 60 Millionen EUR jährlich für die Forschung zu Verhütungsmitteln.[3] TDF fordert vor diesem Aspekt unter anderem auch eine bundesweite Kostenübernahme aller Verhütungsmethoden, inklusive der rezeptfreien.

Die Pille braucht Alternativen, sonst bleibt Verhütung Frauensache

Auch wenn die Auswahl gering ist, gibt es dennoch unterschiedliche Möglichkeiten der Verhütung. Gleichzeitig herrscht ein gewisser Mythos der Alternativlosigkeit der Pille.[4] Obwohl die Erfindung der Pille als Meilenstein für die selbstbestimmte Sexualität der Frau verstanden wird, wird sie heute zunehmend kritisiert. Da Verhütung in unserer Gesellschaft eher als Frauensache gesehen wird, wird von Frauen oft erwartet auf hormonelle Verhütung zurückzugreifen. Grund dafür ist unter anderem, dass die Pille zu den sichersten Verhütungsmethoden zählt, da sie i.d.R. zuverlässig vor einer Schwangerschaft schützt. Die Pille wird daher mit Verantwortungsbewusstsein, aber auch Sorglosigkeit verbunden. Die Pille wird auch oftmals mit anderen Qualitäten als der Verhütung beworben, wie beispielsweise schönerer Haut oder geringeren Menstruationsbeschwerden. Der mögliche Verlust der Libido, den viele Frauen durch die Einnahme der Pille erfahren, geht in der gesellschaftlichen wie auch wissenschaftlich-politischen Debatte über die Vorteile der Pille oft verloren.

Auch die gesundheitlichen Risiken, die mit der Einnahme der Pille einhergehen, werden häufig nicht oder wenig berücksichtigt. Zu den Nebenwirkungen zählen u.a. Übelkeit, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, niedrige Libido und ein erhöhtes Thromboserisiko. FrauenärztInnen klären teilweise unzureichend über diese Folgen auf.[5]

Fazit

Die Pille bleibt trotz dieser Kritik ein essenzielles Verhütungsmittel, welches Frauen zuverlässig vor ungewollten Schwangerschaften schützt. Aus der Sicht von TDF ist bei der Wahl des Verhütungsmittels vor allem eines zu kritisieren: Die mangelnde Aufklärung über die verschiedenen Verhütungsmethoden im Allgemeinen sowie auch die meist auf Frauen abgeschobene Verantwortung dafür im Besonderen. Um dem entgegenzuwirken, ist eine Enttabuisierung des Themas Verhütung wichtig. Männer und Frauen sollten sich gleichermaßen – nicht nur im Rahmen einer Beziehung – mit den verschiedenen Verhütungsmethoden auseinandersetzen, um so eine gleichberechtigte Verhütung praktizieren zu können. Die Gesellschaft muss Forderungen an die Forschung stellen, sich intensiv mit der Verbesserung und Etablierung von neuen Verhütungsmitteln zu beschäftigen, die auch für den Mann Alternativen zum Kondom schaffen. GynäkologInnen wie auch UrologInnen sollen ihre PatientInnen ausführlich über die möglichen Verhütungsmethoden aufklären. Jede/r sollte die uneingeschränkte Wahl haben sich für eine individuell passende Verhütungsmethode zu entscheiden. Dabei sollte vor allem die Vielfalt der bereits bestehenden Verhütungsmethoden berücksichtigt werden, sodass bei der Auswahl nicht nur zwischen der Pille und dem Kondom entschieden wird. Wichtig ist jedoch, dass Verhütung keine Frauensache ist. Der weibliche Zyklus, die Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung, die anfallenden Kosten, die Termine bei GynäkologInnen, die Erinnerungen an die Einnahme der Pille oder den Wechsel des Vaginalrings sollten beide SexualpartnerInnen betreffen. An vorderster Front muss die Politik konkrete Lösungen finden, um den kostenlosen Zugang zu Verhütung für alle zu ermöglichen.

Für einen besseren Überblick, wie man die eigene Verhütung auch jetzt schon gleichberechtigter gestalten kann, hat TDF diesen Guide für gleichberechtigte Verhütung entwickelt (siehe unten).                          


Quellen und weitere Informationen:

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwjT8sq4rumCAxUcg_0HHSDXBUIQFnoECBUQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.profamilia.de%2Ffileadmin%2Fpublikationen%2FMagazin%2F2015%2Fpfm_2015-3_web_geschuetzt.pdf&usg=AOvVaw0REmbA4MkSRtOXujDT_lQf&opi=89978449

https://betterbirthcontrol.org/

https://www.spiegel.de/gesundheit/sex/pille-kondome-sensiplan-diaphragma-verhuetung-geht-beide-an-a-1228991.html

https://www.ardmediathek.de/video/exactly/spass-beim-sex-frust-bei-der-verhuetung/mdr/Y3JpZDovL21kci5kZS9iZWl0cmFnL2Ntcy9iOGQ1NTA3ZC0zN2Q3LTQ2Y2QtOTJkMC0xNTQzNzM3YmFlZTQ

https://www.lilli.ch/notfallverhuetung_pille_danach

https://www.profamilia.de/themen/verhuetung/pearl-index

https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/wie-schaedlich-ist-die-pille/#pillemigraene

https://www.frauenaerzte-im-netz.de/familienplanung-verhuetung/hormonelle-verhuetung-neben-der-pille/

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwiW-_P9ksaCAxUESuUKHVuWCqUQFnoECBQQAw&url=https%3A%2F%2Fwww.profamilia.de%2Ffileadmin%2Fpublikationen%2FReihe_Verhuetungsmethoden%2FBro_Sterilisation_131018.pdf&usg=AOvVaw1EhKkUM4PM5NQ3silGi_-C&opi=89978449

https://www.familienplanung.de/verhuetung/verhuetungsmethoden/kupferspirale/#c639

https://www.zeit.de/zett/politik/2019-12/sterilisation-mit-23-nur-weil-ich-eine-frau-bin-habe-ich-keinen-angeborenen-kinderwunsch

https://www.familienplanung.de/kinderwunsch/behandlung/refertilisierung-der-frau/


[1] https://www.profamilia.de/themen/verhuetung/pearl-index.

[2] https://www.profamilia.de/themen/verhuetung/spirale.

[3] https://betterbirthcontrol.org/about.

[4] Kray, Sabine (2017): Freiheit von der Pille. Eine Unabhängigkeitserklärung, S. 18.

[5] Ebd., S. 19.

  • Guide für gleichberechtigte Verhütung.
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