Interview mit Anna Syzmanska, Mutter von drei Kindern, ihrer Anwältin, Farsana Soleimankehl-Hanke und der Sozialarbeiterin Katharina

Anna Szymanska kommt aus Polen und hat drei Kinder- zwei Töchter (9 und 12 Jahre alt) und einen Sohn (4 Jahre alt). Die Kinder wurden in Deutschland geboren. Gemeinsam mit ihrem Mann lebte Anna sechs Jahre in Deutschland. Nach einem 2-jährigen Aufenthalt in Polen kehrten die Familie im Sommer 2022 nach Berlin zurück. Im Oktober 2022 trennte sich Anna, weil ihr Ex-Mann gewalttätig war und ging in ein Frauenhaus. Daraufhin zeigte ihr Ex-Mann sie wegen Kindesentführung an. Wir wollen wissen, was passiert ist. Bei dem Gespräch sind auch ihre Anwältin, Farsana Soleimankehl-Hanke und die Sozialarbeiterin Katharina dabei, die Anna in dem Wohnprojekt betreut, in dem sie zum Zeitpunkt des Interviews mit ihren Kindern lebte. Ebenfalls anwesend ist die Übersetzerin Danuta Treder. Geführt wurde das Interview von Johanna Wiest, Referentin für Häusliche und Sexualisierte Gewalt bei TERRE DES FEMMES (TDF).

Das Interview wurde am 15. Dezember 2023 geführt, nachdem Anna in einem ersten Gerichtverfahren vor dem Amtsgericht im September 2023 Recht behalten hatte- sie darf mit ihren Kindern in Deutschland bleiben. Diese Entscheidung wurde aber im Januar 2024 in nächster Instanz vom Kammergericht rückgängig gemacht.

TDF: Frau Szymanska, Ihr Ex-Partner hat Sie wegen Kindesentführung angezeigt. Wie ist es dazu gekommen?

A. Szymanska: Mein Ex-Partner war mir gegenüber gewalttätig. Meine Kinder haben das natürlich mitbekommen. Als wir im Sommer 2022 nach Berlin zurückkehrten, spitzte sich die Gewalt zu. Ich habe mich entschieden meinen Mann zu verlassen und ins Frauenhaus zu gehen, um mich und meine Kinder zu schützen. Das war im Oktober 2022. Daraufhin hat mein Ex-Partner mich wegen Kindesentführung angezeigt. Er wollte sich rächen, weil ich ihn verlassen habe.

TDF: Worum ging es ihm Ihrer Meinung nach dabei?

A. Szymanska: Er wollte mir das Leben schwerer machen. Er wollte, dass ich zurück nach Polen komme, weil er weiß, dass ich in Polen keine Chance auf ein unabhängiges Leben habe. Meine Mutter hat bereits versucht ihn davon abzubringen gerichtlich gegen mich vorzugehen, weil die Anwaltskosten eine so große finanzielle Belastung darstellen, sodass kaum Geld für die Kinder da ist. Daraufhin hat er geantwortet: na dann ist eben kein Geld für die Kinder da.

TDF: Zahlt er denn Unterhalt für die Kinder?

A. Szymanska: Nein, er zahlt keinen Unterhalt. Aber für die Kosten seines Gerichtsverfahrens bezahlt er schon.

TDF: Und wie verläuft der Rechtsstreit zwischen Ihnen und Ihrem Ex-Mann bisher?

Anna Szymanska: Der Rechtsstreit zwischen mir und meinem Ex-Mann läuft schon seit über einem Jahr. Als ich im Oktober 2022 ins Frauenhaus ging, habe ich einen Gewaltschutzantrag gestellt. Daraufhin hat er im Eilverfahren die Herausgabe unserer Kinder gefordert. Damit hatte er Erfolg. Ich habe Widerspruch eingelegt und musste die Kinder zum Glück nicht an ihn herausgeben. Dann ging es aber um die Zuständigkeit, also darum, ob der Fall in Deutschland oder in Polen verhandelt werden soll. Bis diese Frage geklärt ist, sind keine anderen rechtlichen Schritte möglich. 

TDF: Ich finde es schockierend zu hören, dass nach der Stellung eines Gewaltschutzantrages durch die Mutter die Kinder im Eilverfahren dem Vater zugesprochen wurden- auch wenn es dann nicht dazu kam, dass du die Kinder an ihn herausgeben musstest.

F. Soleimankehl-Hanke: Daran sieht man die Problematik im Familienrecht bei gewaltbetroffenen Müttern. Es sind zwei unterschiedliche Verfahren, die getrennt voneinander geführt werden. Die Gewalttätigkeit des Vaters wird im Sorgerechtsstreit selten berücksichtigt. Nach meiner Einschätzung ist es in diesem Fall ganz klar, dass Frau Szymanskas Ex-Partner über die Kinder versucht an sie heranzukommen. Denn sonst würde es ja Sinn machen, Umgang zu beantragen, was er aber nicht getan hat. Würde es ihm wirklich um die Kinder gehen, wäre das der beste Weg gewesen. Stattdessen zeigt er sie wegen Kindesentführung an und beantragt, dass sie nach Polen zurücküberführt werden soll. Daher auch der Streit um die Zuständigkeit, die an den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Kinder anknüpft. Der Verbleib in einem Frauenhaus begründet aber eben nach Rechtslage keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit und das führt zu Komplikationen.

Katharina: Die Kinder sind alle in Deutschland geboren. Die Familie hat sechs Jahre lang hier gelebt, dann sind Anna und die Kinder nach Polen zurückgegangen. Letztes Jahr im Sommer sind sie nach Berlin zurückgekehrt. In dieser Zeit spitzte sich die Gewalt gegen Anna zu. Ihr Ex-Mann behauptet jetzt, dass sie nur die Sommerferien hier verbringen wollten und geplant war, danach zurück nach Polen zu gehen. Was Anna aber sagt und was auch gemeinsame Freunde bestätigen, ist, dass der Plan war, dass die Familie in Deutschland bleibt. Nach einem besonders schlimmen Vorfall mit Gewalttätigkeit ging Anna dann ins Frauenhaus. Weil ihr Ex-Mann die Adresse herausfinden konnte, musste sie mit den Kindern in ein anderes Frauenhaus umziehen. Seitdem ist sie bei uns. Dieses Jahr im Juni konnte Anna dann in eines unserer Wohnprojekt ziehen.

TDF: Wie konnte er die Adresse herausfinden?

Katharina: Das wissen wir nicht genau. Aber er hat auch über ihre Freundinnen versucht herauszufinden, wo sie sich aufhält.

TDF: Und wie ist er als Vater Frau Szymanska? Wie viel hat er sich um die Kinder gekümmert, als Sie noch zusammen gelebt haben?

A. Szymanska: Als wir noch zusammen waren, war für ihn immer die Arbeit am wichtigsten, während ich mich um die Kinder gekümmert habe. Er hatte seine Firma und in seiner Freizeit hat er sich mit anderen Dingen beschäftigt. Manchmal hat er auch Zeit mit den Kindern verbracht, aber sehr selten. Jetzt hat er über das Jugendamt begleiteten Umgang mit den Kindern. So sieht er die Kinder einmal im Monat für zwei Stunden. Wir haben auch versucht uns so zu treffen, aber dabei kam es zu Übergriffen und daher wurde der begleitete Umgang angeordnet.

F. Soleimankehl-Hanke: Er hätte auch einen wöchentlichen Umgang beantragen können, aber das hat er nicht gemacht. Einmal im Monat hat ihm gereicht. Ich habe viele Mandate im Kontext von Gewaltschutzverfahren, aber in diesem Fall erscheint es mir ganz eindeutig: Der Gewalttäter will sich an Anna rächen, weil er womöglich nicht akzeptieren kann, dass Anna ihn verlassen hat. Würde er mehr Umgang beantragen, hätte er diesen wahrscheinlich auch erhalten. Und genau hier liegt das Problem. Im Kindschaftsrecht beobachte ich eine Entwicklung, wonach Gewaltanwendungen gegenüber der Mutter nicht im Rahmen von Sorgerechtsentscheidungen berücksichtigt werden. Nach dem Motto: ja der Vater hat die Mutter geschlagen, aber darum geht es jetzt erstmal nicht. Der Vater hat grundsätzlich immer Recht auf Umgang mit seinem Kind. Der Frau wird dann vorgeworfen, dass sie die Kinder vom Vater entfremdet habe, selbst wenn sie damit ihre eigene körperliche Integrität zu schützen versucht.  Die Rechte des Vaters werden gewahrt, auch wenn er sich infolge einer Körperverletzung gegenüber der Mutter strafbar gemacht hat. Die Richterin hat Anna zum Beispiel auch vorgeworfen, sie habe sich nicht um die Umgänge ihres Ex-Mannes mit den Kindern gekümmert. Dabei bestand von seiner Seite gar kein Interesse. Anna musste wegen seiner Gewalttätigkeit ins Frauenhaus fliehen. Und trotzdem sieht die Richterin die Verantwortung für die Umgänge bei ihr, der Mutter.

TDF: Wie ging es Ihnen, als Sie ins Frauenhaus gegangen sind? Wie war das für Sie?

A. Szymanska: Es war sehr schwer, vor allem in den ersten zwei Wochen. Die Kinder sind nachts ständig aufgewacht. Ich hatte große Angst, weil ich wusste, dass mein Ex-Partner nach uns suchen würde. Immer wieder hat er versucht mich über meine Familie zu kontaktieren und zu manipulieren, damit sie auf mich einwirken nach Polen zurückzukommen. Er hat gedroht, dass er Selbstmord begeht, wenn ich mich nicht bei ihm melde. Ich habe einmal mit ihm telefoniert. Da hat er versucht mich zu überreden das Frauenhaus zu verlassen und nach Polen zurückzukommen. Als dann das Gerichtsurteil kam, dementsprechend ich die Kinder an ihn abgeben sollte, wurde klar, dass er die Adresse des Frauenhauses kennt, und wir mussten flüchten. Nach dem Umzug ins zweite Frauenhaus habe ich direkt Widerspruch gegen die Gerichtsanordnung eingelegt.

TDF: Wie war es für deine Kinder im Frauenhaus zu leben?

Anna Szymanska: Für die Kinder war das sehr schwer. Sie waren sehr belastet durch die Gewalt gegen mich, die sie miterlebt hatten und waren nun mit anderen Kindern zusammen, die ebenfalls solche Gewalt erlebt haben. Natürlich unterhalten sich die Kinder auch darüber, tauschen sich aus. Das hat ihnen nicht gutgetan. Ich war froh, dass wir nun sicher waren, aber für die Kinder war es schlimm ins Frauenhaus gehen zu müssen. Zum Glück kam es aber wenigstens nicht dazu, dass ich die Kinder an den Vater übergeben musste. Meinem Widerspruch wurde stattgegeben.

TDF: Wie ist das Verhältnis der Kinder mit ihrem Vater?

Anna Szymanska: Besonders die älteste Tochter wollte wissen, warum Papa nicht verstehen kann, dass sie hier in Deutschland bleiben wollen. Weil sie ja auch Freunde hier haben. Wenn sie ihren Vater sehen soll, weint sie oft und sagt sie will nicht dorthin. Wenn sie bei ihm sind, treffen sie auch die neue Freundin ihres Vaters und er erzählt ihnen, wohin sie überall in Urlaub fahren und was für Reisen sie machen. Er versucht sie zu beeindrucken und auf seine Seite zu ziehen. Er erzählt, dass er Hunde hat und andere Tiere. Er redet auch schlecht über mich vor den Kindern und beleidigt mich.

TDF: Wie haben Sie den Gerichtsprozess erlebt?

A. Szymanska: Die Gerichtsprozesse machen mir Angst, weil es um sehr schwerwiegende Entscheidungen geht und weil so viele schlimme Erinnerungen hochkommen. Ich frage mich immer: wann ist das endlich alles zu Ende?

TDF: Fühlen Sie sich gehört von den RichterInnen?

A. Szymanska: Ich habe das Gefühl, dass man mir zuhört, aber mein Gefühl war, dass die Richterin nicht wusste, wem sie glauben soll.

TDF: Und fühlen Sie sich als gewaltbetroffene Frau geschützt von den Gerichten?

A. Szymanska: Was die Gewalt angeht, fühle ich mich geschützt, auch meine Kinder. Die Frage ist eben, wo die Kinder leben sollen und ob ich nach Polen zurückgehen muss.

TDF: Trotzdem ist es ja eine sehr seltsame Situation, Sie bist ja immerhin ins Frauenhaus gegangen. Das macht man nicht ohne Grund. Und trotzdem wird dieser Vorwurf der Kindesentführung so ernst genommen.

F. Soleimankehl-Hanke: Ich würde hier gerne ergänzen, dass Anna sich glaube ich auch deshalb gehört und geschützt fühlt, weil ihre Kinder vor Gericht aussagen mussten und die Gewalt bezeugt haben. Wäre es jetzt ihre Aussage gegen seine Aussage gewesen, hätte die Situation anders aussehen können. Aber die Kinder haben ausgesagt, dass sie die Gewalt miterlebt haben, und Angst hatten um ihre Mutter. Dass die Aussagen der Kinder überhaupt bemüht wurden, ist ja schon eine Indikation dafür, wie viel Gewicht die Aussage einer gewaltbetroffenen Frau hat. Er hat keine Zeugen dafür, dass er sie nicht geschlagen hat. Er musste sich nicht entlasten. Wenn man Gewaltvorwürfe ausspricht, muss man dafür auch ggf. Beweise erbringen und das ist eine ganz missliche Situation, denn bei Familiengewalt, also häuslicher Gewalt, muss man ja dann auf Kinder zurückgreifen. Was schon sehr fragwürdig ist im Hinblick auf Kindeswohlaspekte. Annas Kinder wurden in diesem Verfahren sehr stark involviert. Trotzdem hat es nicht dazu geführt, dass ein Beschluss in ihrem Sinne erging. Das zeigt auch die Anordnung nach der Anna die Kinder an ihren Ex-Partner herausgeben sollte, auch wenn es letztendlich nicht dazu kam. Es passiert aber immer wieder, dass die Kinder herausgegeben werden müssen, auch wenn das bei ihnen zu enormen Schäden führt.

Annas Kinder sind seit über einem Jahr Gegenstand dieser Gerichtsprozesse. Aber der Vater hört nicht auf, auch wenn es den Kindern schadet. Obwohl wir Kompromissbereitschaft signalisiert haben, unter der Bedingung, dass die Kinder in Deutschland bleiben können. Im Gegenzug kann er seine Kinder sehen. Würde es ihm wirklich um die Kinder gehen, müsste er sich mit so einer Regelung eigentlich zufriedengeben. Aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Schon der zweite Umgangstermin eskalierte nach Angaben von Anna und er hat sie auf dem Spielplatz beschimpft.

Ich denke diese Dinge gehen bei der Übersetzung verloren- sie fühlt sich geschützt, weil sie keine sehr hohen Ansprüche hat. Das sehe ich bei Frauen in dieser Situation sehr oft, dass sie gar keine Ansprüche haben. Sie sind froh, wenn sie in irgendeinem Frauenhaus sein können.

TDF: Wie ist das für die Kinder in einem solchen Prozess auszusagen?

F. Soleimankehl-Hanke: Für die Kinder ist das sehr schwierig. Auch wenn das vom Gericht kindgerecht verpackt wird. Auch bei Anna ist das so. Die Kinder, wissen nicht- bleiben wir in Deutschland, können wir hier leben? Muss ich wieder beschreiben, wie mein Vater meine Mutter geschlagen hat? Trotzdem war Anna darauf angewiesen, sonst hätte man ihr nicht geglaubt. 

TDF: Und wie geht es Ihnen jetzt Anna? Wovor haben Sie Angst? Was sind Ihre Sorgen?

Anna Szymanska: Ich habe Angst, dass das Gericht meinem Ex-Mann Recht gibt. Wir haben uns hier eine Existenz aufgebaut, ich habe Angst, dass das alles wieder kaputt geht. Die Kinder gehen zur Schule, der Kleine geht in den Kindergarten. Das ist unser neues Leben.

TDF:  Das heißt, wenn dieses Gerichtsverfahren jetzt nicht in Ihrem Sinne ausgeht, dann müssen Sie und Ihre Kinder zurück nach Polen?

A. Szymanska: Im Moment geht es dem deutschen Gericht nur um die Zuständigkeit. Wenn entschieden wird, dass die Zuständigkeit nicht in Deutschland liegt, muss ich zurück nach Polen. Dann wird dort zu Umgang und Sorgerecht verhandelt.

TDF: Wie finden Sie es Anna, dass Ihr Ex-Mann dich schlägt und aber trotzdem Umgang mit den Kindern haben darf?  

Anna Szymanska: Ich finde es ungerecht, dass er die Kinder sehen darf. Das er so viele Rechte hat und so viel entscheiden kann, das sollte nicht so sein.

F. Soleimankehl-Hanke:  Ich will nur nochmal fragen: wie findet es Anna, dass die Richterin sagt es sei ihre Verantwortung sicherzustellen, dass der Vater die Kinder sehen kann, selbst wenn er das gar nicht beantragt hat?

A. Szymanska: Ich finde das absurd und ungerecht. Er hat sich in all den Jahren nie um die Kinder gekümmert. Hat sich nie für sie interessiert und jetzt soll ich das alles organisieren. Er erkundigt sich noch nicht mal ob die Kinder gesund sind. Er hat das Auto weggenommen, die Handys, zahlt keinen Unterhalt. Und dann macht er mir Vorwürfe, dass er die Kinder so lange nicht gesehen hat. Er dreht das um, sodass ich Schuld bin.

F. Soleimankehl-Hanke: Darin, dass Anna als die Verantwortliche gesehen wird, zeigen sich die patriarchale Denkstrukturen, die solchen Entscheidungen oftmals zugrunde legen. Die Begründung ist das Wohl des Kindes. Der Regelung im Umgangsrecht zufolge sollen Mütter nicht auf sich selbst, sondern nur auf das Wohl des Kindes achten. Das Verhältnis der Eltern versucht man dabei völlig außer Betracht zu lassen. So ist es aber vom Gesetzgeber nicht gemeint, weil das Wohlergehen der Kinder direkt mit dem Wohlergehen der Eltern zusammenhängt. Je enger die Bindung zwischen Mutter und Kind ist, desto eher zeigen sich auch beim Kind Ängste. Wurde eine Mutter geschlagen und muss in ein Frauenhaus gehen, wirkt sich das direkt auf das Kind aus. Das kann man nicht trennen. Aber der Trend geht in Richtung der Stärkung der Rechte der Väter. Es gibt eine wirklich starke Lobby der Väter in Deutschland. Und auch Frauen tragen diesen Trend im Rechtssystem weiter.

TDF: Wurde Annas Ex-Partner denn bestraft? Die Kinder haben die Gewaltvorwürfe ja bestätigt.

F. Soleimankehl-Hanke: Es gab Annäherungsverbote, aber die führen nicht zu einer Sanktion. Bei Gewaltschutzanträgen geht es erstmal nur um den Schutz der gewaltbetroffenen Person. Parallel gibt es die Strafermittlungsbehörden. Annas vorherige Anwältin hat eine Anzeige gestellt, es wird also ein Ermittlungsverfahren gegen ihn laufen. Aber die Situation ist immer die gleiche. Sie sagt: er hat mich geschlagen und er streitet das ab. Meistens werden derartige Verfahren eingestellt, oder es wird auf Privatklage verwiesen. Das kann sich aber niemand leisten. Man braucht eine Strafverfolgungsbehörde, die gewillt ist diese Fälle zu verfolgen und bei der Häufigkeit dieser Fälle ist das einfach nicht gegeben. Lieber beschäftigt man sich mit Clans als mit häuslicher Gewalt.

TDF: Das heißt die Aussage der Kinder, die ja die Gewalt bestätigt haben, wird strafrechtlich gar nicht berücksichtigt? 

Katharina: Meine Kolleginnen, die Anna damals ins Frauenhaus aufgenommen haben, haben eine Stellungnahme verfasst. Da wurde die Gewalt nochmal genau dargestellt und auch wie die Kinder damals wahrgenommen wurden, als sie ins Frauenhaus gekommen sind. Man hat den Kindern ganz deutlich angemerkt, dass sie Gewalt miterlebt haben. In dem Beschluss des Familiengerichts wurde das auch erwähnt, aber nicht berücksichtigt.

F. Soleimankehl-Hanke: Familiengerichtliche Verfahren, wie etwa das Gewaltschutzverfahren, laufen unabhängig vom Strafverfahren. Es ist kein gegenseitiger Austausch vorgesehen, weswegen der Stand eines Strafverfahrens dem Familiengericht nicht bekannt ist. In den Strafverfahren wurde das nicht aufgenommen, weil es zu kostenaufwändig ist. Zwischen Familiengericht und Strafgericht gibt es keine Zusammenarbeit, keine gemeinsame Datenbank, aus der das ersichtlich wird. Es erfordert einen guten Anwalt/eine gute Anwältin, um diese Brücke herzustellen und darauf zu achten, dass auch strafrechtliche Anträge gestellt werden und das Familiengericht, das im Gewaltschutzverfahren zu befinden hat, hierüber in Kenntnis zu setzen. Aber das ist nicht die gängige Praxis. Es ist unwahrscheinlich, dass Annas Ex-Partner für die Gewalt, die er ihr angetan hat, geahndet werden wird.

TDF:  Was wünschen Sie sich für die Zukunft Frau Szymanska?

Anna Szymanska: Ich wünsche mir einfach nur ein ruhiges und normales Leben mit meinen Kindern und das die Gerichtsverfahren aufhören. Mehr nicht.  

Nachdem der Vater von Anna Szymanskas Kindern Widerspruch gegen das ergangene Urteil eingelegt hatte, erging am 6. Februar 2024 die Entscheidung des Kammergerichts in seinem Sinne. Demnach muss sie die Kinder zurück nach Polen bringen. Das der Vater Gewalt gegen Anna Szymanska ausgeübt hat, wird zwar erwähnt, aber nicht maßgeblich berücksichtigt. Das Gericht schreibt: „Da die Mutter nicht gezwungen ist, in den Haushalt des Vaters zurückzukehren, kann sie sich nicht auf die Gefahr berufen, erneut Opfer häuslicher Gewalt zu werden. Der Mutter steht es frei, sich für den Zeitraum bis zum Abschluss des sorgerechtlichen Verfahrens mit den Kindern einen gegebenenfalls geheim gehaltenen Aufenthaltsort in Polen zu suchen, an dem sie vor - vermeintlich zu besorgenden - Übergriffen des Vaters geschützt ist.“ Es sei ihr zuzumuten sich in Polen notfalls um gerichtlichen Schutz vor Verfolgungen des Vaters zu bemühen. Der Schutz der Mutter und die eine potenzielle Belastung der Kinder durch das Miterleben der Gewalt des Vaters spielen keine Rolle. Anna Szymanska wird vorgeworfen, dass sie ihre Kinder manipuliert. Am 9. Februar 2024 schreibt sie in einer E-Mail: „Leider geht es mir nicht gut, das Gericht hat dem Vater meiner Kinder Recht gegeben und ordnet die Rückkehr der Kinder nach Polen an. Das ist sehr ungerecht und traurig für mich und meine Kinder. Nach all dem, was passiert ist, wurden wir vom Gericht nicht gut behandelt, und meine Kinder sind weiterhin dem Verlust von Frieden und Sicherheit ausgesetzt. Das ist grausam. Es ist sehr ungerecht. Mein Leben und das meiner Kinder wird wieder unstabil und unsicher. Als ich mit meinen Kindern in Polen lebte, wohnten wir in einer Mietwohnung, die mein Mann bezahlte. Und als ich meinen Mann verließ, wurde die Wohnung von meinem Mann verschenkt. Ich habe nichts, wohin ich zurückkehren könnte. Aber das Gericht kümmert sich nicht darum, ich soll allein zurechtkommen. Das ist sehr traurig.”

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