• 30.10.2023

„Wir müssen laut sein und kritisieren!“ - Filmvorführung: „Mina – Der Preis der Freiheit“

Auf diesem Bild sehen sie  Christa Stolle, Mina Ahadi, Gesa Birkmann
v.l. Christa Stolle, Mina Ahadi, Gesa Birkmann

Am 24. Oktober 2023, zum Auftakt des Filmfestivals FrauenWelten, zeigte TERRE DES FEMMES in einer Sondervorführung den Dokumentarfilm „Mina – Der Preis der Freiheit“. Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin, begrüßte das Publikum und Mina Ahadi zu Beginn in ihrem Grußwort. Insbesondere wegen der aktuellen Drohungen gegen Mina Ahadi, freue es TERRE DES FEMMES umso mehr, Mina Ahadi heute Abend höchstpersönlich begrüßen und mir ihr das anschließende Filmgespräch im Kinosaal führen zu können. Es ist eine großartige Möglichkeit mit ihr nach dem Film vertiefend austauschen und Fragen stellen zu können.

„Niemand soll diesen Schmerz erleiden“
In diesem beeindruckenden und persönlichen Dokumentarfilm nimmt uns Mina mit in ihr bewegtes Leben zwischen persönlichem Glück und Personenschutz. Auf einfühlsame und klare Weise werden ihre zentralen, prägenden Lebensabschnitte erzählt. Mina widersetzte sich bereits in jungen Jahren jeglicher Unterdrückung und Repression, schloss sich zuerst dem Widerstand gegen den Schah und später Widerstand gegen die Mullahs unter Khomeini an. Weil sie sich gegen die staatliche verordnete Hijab-Pflicht einsetzte, wurde sie der Universität verwiesen und arbeitete zwischenzeitlich in einer Fabrik. Kurz nach der Machtübernahme der Islamischen Republik wurde ihr Ehemann, Ismail Yeganehdust, hingerichtet. Mina entschloss sich, ihr weiteres Leben dem Kampf gegen die Todesstrafe zu widmen. Kein Kind, keine Frau, kein Mensch solle erleben müssen, was sie erlebt hat. So setzte sie sich auch erfolgreich für die Rettung von Sakineh Mohamdi-Ashtiani ein, deren Steinigung verhindert wurde. Minas Engagement hat maßgeblich dazu beigetragen, dass auf internationalen Druck im heutigen Iran keine Steinigungen mehr stattfinden.

In „Mina – Der Preis der Freiheit“ öffnet Mina Ahadi ihr bewegtes Leben zwischen persönlichem Glück und Personenschutz. Sie teilt ihre Erfolge und Misserfolge im Kampf gegen die Todesstrafe und für die Rechte von Frauen, LGBTQIA+ Personen und Ex-Muslimen. Selbst nach unzähligen Bedrohungen und einem Leben, das von ständiger Angst geprägt ist, vermittelt Mina nachdrücklich die Botschaft, dass sie nach wie vor großes Vertrauen in die Menschlichkeit hegt und glaubt, dass dieses Vertrauen maßgeblich dazu beiträgt, ihren Kampf fortzusetzen.

„Bitte mischen Sie sie ein“
Die Zuschauende im Kinosaal waren sichtbar berührt von Minas Lebensgeschichte und nutzten die Gelegenheit Mina im anschließenden Filmgespräch Fragen zustellen. Durch das Filmgespräch führte die Gesa Birkmann,A bteilungsleiterin Themen, Projekte.

Die erste Frage an Mina war, wie es sein kann, dass unschuldige Kinder im Iran zu Erwachsenen heranwachsen, die Mädchen und Frauen auf den Straßen angreifen, wenn sie kein Kopftuch tragen oder für Frauenrechte demonstrieren. Auch die Wandlung dieser jungen Menschen zu Erwachsenen, die in Gefängnissen systematisch foltern, vergewaltigen und töten, wurde thematisiert. Mina sieht hier eine klare Verbindung zur religiösen Indoktrination und erklärt, dass Menschen im Iran seit 44 Jahren mit einem islamischen Regime konfrontiert sind. Dieses politische Phänomen begann mit der Unterdrückung der Frauen, Hinrichtungen und Steinigungen. In ihrer eigenen Kindheit konnte sich Mina nicht vorstellen, wie eine Frau überhaupt gesteinigt werden könnte. Doch das islamische Regime setzte diese grausamen Praktiken durch Gesetze um und unterdrückte so verschiedene Bevölkerungsgruppen, darunter Frauen, Kinder und die LGBTQA+ Community.

Ein weiteres zentrales Thema, das in der lebhaften Podiumsdiskussion intensiv beleuchtet wurde, ist die Problematik des Kinderkopftuchs. Mina selbst hat den Hijab im Iran als ein Gefängnis erlebt und beschrieb, wie sie sich unter dem Kopftuch wie eine Sexsklavin fühlte. Dies führte dazu, dass sie sich am 8. März 1979 den Frauenprotesten gegen das Khomeini-Regime anschloss. Seitdem die Theokraten im Iran an der Macht sind, gelten Mädchen bereits mit 9 Jahren als volljährig und können damit bereits verheiratet werden. Schon ab dem 7. Lebensjahr sind sie dazu verpflichtet, das sogenannte Kinderkopftuch zu tragen. TERRE DES FEMMES setzt sich als säkulare Frauenrechtsorganisation dafür ein, dass alle Mädchen, unabhängig ihres Elternhauses frei, selbstbestimmt und gleichberechtigt aufwachsen können. Deswegen fordern wir auch eine gesetzliche Regelung zum „Kinderkopftuch“ in öffentlichen Bildungseinrichtungen. Mina äußerte ihre klare Überzeugung, dass das Kinderkopftuch eine Verletzung der Kinderrechte darstellt und in deutschen, öffentlichen Bildungseinrichtungen verboten werden sollte. Oftmals sind mit dem „Kinderkopftuch“ Einschränkungen verbunden, führt sie aus. So dürfen viele Mädhen mit „Kinderkopftuch“ auch nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen und sind angehalten sich „sittsam“ zu verhalten. Sie betonte, dass Kinder sich diese Einschränkungen nicht wünschen. Obwohl einige MenschenrechtsaktivistInnen behaupten, dass das Kinderkopftuch eine private und religiöse Entscheidung sei, die nicht kritisiert werden solle, vertritt Mina die Meinung, dass dies eine passive und unzureichende Haltung ist. Sie appellierte vehement: „Bitte mischen Sie sich ein!“. Ihrer Ansicht nach ist es von großer Bedeutung, Kindern zu helfen, frei zu leben und sich selbst frei zu entscheiden. Denn dies sei nicht nur eine Frage der europäischen Kultur, sondern vor allem eine Angelegenheit der Förderung der Menschenrechte, die überall verteidigt werden müssen. Passend hierzu gab es im Film eine zentrale Passage. Bei den Protesten 1979 gegen den staatlichen Verhüllungszwang der Mullahs, riefen die Frauen: „Freiheit ist global, sie ist weder östlich noch westlich“.

Eine weitere Frage, die Mina gestellt wurde, bezog sich auf die Bedeutung der Säkularität in der Gesellschaft. Säkularität spielt in Minas Leben eine herausragende Rolle und führte zur Gründung des Zentralrats der Ex-Muslime. Besonders seit dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 gewinnt die Säkularität im Kontext des iranischen Feminismus zunehmend an Bedeutung. Dies ist vor allem in Ländern der Fall, in denen Religion nicht mehr nur eine private Angelegenheit ist, sondern eine mächtige Institution, die in viele

Lebensbereiche eingreift. Mina unterstreicht nachdrücklich die Notwendigkeit der Trennung von Religion und Regierung, Bildungswesen und anderen staatlichen Institutionen. Dies ist insbesondere für MuslimInnen von besonderer Bedeutung, da sie von diesem Problem am stärksten betroffen sind. Mina stellt klar, dass die religiöse Zugehörigkeit nicht die Hauptidentität der Menschen darstellt und auch nicht darstellen sollte. Sie betont die Wichtigkeit des Engagements für einen säkularen Staat, da dies die Zusammenarbeit aller Menschen in ihrer individuellen Menschlichkeit ermöglicht, ohne sich durch das Etikett einer Religion voneinander abzugrenzen.

Die Frage nach ihrer unerschütterlichen Kraft und Hoffnung trotz zahlreicher traumatischer Erlebnisse erhielt von Mina eine bewegende Antwort. Sie betonte, dass obwohl ein Teil ihres Lebens von Trauer geprägt ist, jede gerettete Seele ihr eigenes Leben noch reicher macht. Mina erkennt die transformative Kraft von kleinen Kampagnen, die oft erhebliche Veränderungen bewirken können, wie im Fall der Bewegung gegen die Steinigung. Mina äußert ein tiefes Vertrauen in die Menschheit, was ihr die Kraft gibt, sich weiterhin zu engagieren. Sie betont: "Seit dem Beginn der Frauenrevolution hege ich noch größere Hoffnung, dass wir gemeinsam ein besseres Bild der Welt schaffen können. Deswegen mache ich weiter“.

Im Rahmen des Gesprächs äußerte Mina Ahadi ihre Ablehnung des Muezzin-Rufs, der in Köln für Diskussionen sorgte. Sie schrieb einen offenen Brief an die Oberbürgermeisterin von Köln, um ihre Bedenken zu teilen. Für sie persönlich ist der Muezzin-Ruf eine schmerzhafte Erinnerung, da er im Iran mit Hinrichtungen von Menschen und Schikanen politisch aktiver Personen im Gefängnis in Verbindung gebracht wird. Dennoch ist der Muezzin-Ruf in der Stadt zu einem Symbol der Solidarität geworden. Anschließend beleuchtete Mina die Herausforderungen, mit denen der Zentralrat der Ex-Muslime konfrontiert ist. Die Organisation wurde im Jahr 2010 ins Leben gerufen und zählt etwa 400 Mitglieder. Die Mitglieder des Zentralrates stehen immer noch vor erheblichen Sicherheitsproblemen. Besonders gefährdet sind LGBTQIA+-Personen, die aus dem muslimischen Glauben ausgetreten sind. „Unsere Organisation ist sehr klein und leider nicht sehr laut“, erklärte Mina im Gespräch, doch gerade in einer Zeit, in der humanistische Aufklärung von entscheidender Bedeutung für die Gesellschaft ist, wünschen sie sich mehr Solidarität und Unterstützung seitens politischer und gesellschaftlicher AkteurInnen.

Kein Friede mit den Mullahs möglich
In der Podiumsdiskussion wurde auch die aktuelle deutsche Iran-Politik zur Sprache gebracht. Mina Ahadi äußerte ihren Unmut darüber, dass die deutsche Regierung immer noch mit dem iranischen Regime zusammenarbeitet. Sie betonte, dass die deutsche Regierung nach wie vor mit dem islamischen Regime kooperiert, in der Hoffnung, die Situation im Nahen Osten zu beruhigen. Sie brachte jedoch ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass erst mit dem Verschwinden des islamischen Unrechtsregimes wirklicher Frieden in der Region möglich sei. Mina appellierte eindringlich, keine Zusammenarbeit mit dem islamischen Regime zu pflegen und forderte die Schließung sämtlicher Botschaften dieses Regimes. Besonders bemängelte sie Olaf Scholz für seine langanhaltende Zusammenarbeit mit dem Islamischen Zentrum in Hamburg (IZH). Gleichzeitig fand sie kritische Worte für Claudia Roth, die bei ihrem Besuch im Iran ein Kopftuch trug und im Anschluss über die Stärkung der Frauenrechte sprach.

Während der Diskussion wurden sowohl die politische Entwicklung im Iran als auch die gegenwärtige Situation im Nahen Osten intensiv diskutiert. Mina Ahadi bot dazu eine vielschichtige Perspektive. Zum einen sprach sie über das barbarische Regime im Iran. Gleichzeitig betonte sie die Vielzahl von Bewegungen in Deutschland, darunter LehrerInnen-, Frauen-, StudentInnenbewegung und säkulare Gruppen, die trotz schwieriger Bedingungen theoretische Debatten führen. „Wenn man links ist und etwas bewegen möchte, muss man sich gegen das islamische Regime stellen.“ erklärte Mina im Gespräch. Mina äußerte auch ihre Besorgnis über die Unterstützung des Regimes durch die Weltöffentlichkeit, sei es direkt oder indirekt. Sie hob hervor, dass die internationale Gemeinschaft einen Beitrag zur Abschaffung des islamischen Regimes leisten kann, indem sie eine moderne, frauenrechtsorientierte Bewegung unterstützt, die den Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ trägt. In ihren Worten liegt die Überzeugung, dass eine solche Unterstützung dazu beitragen kann, Frieden im Nahen Osten herbeizuführen und die Lebensbedingungen von Frauen weltweit zu verbessern, vorausgesetzt, der Kampf für ihre Rechte wird fortgesetzt.

TERRE DES FEMMES bedankt sich bei allen Zuschauenden sowie bei Mina Ahadi für ihr persönliches Erscheinen und den Austausch. Wir stehen weiter solidarisch an der Seite der mutigen Demonstrierenden im Iran. In Deutschland werden wir weiterhin Schallverstärkerin sein und fordern unter anderem von der Bundesregierung alle iranishe Geheimdienstaktivitäten zu unterbinden sowie sich für den Schutz und die Sicherheit aller Exil-IranerInnen und Geflüchteter einzusetzen.

Weitere Infos zu unserem Engagement:

https://frauenrechte.de/aktuelles/detail/jin-jiyan-azadidas-unrechtsregime-islamische-republik-iran-zahlen-daten-fakten

https://frauenrechte.de/aktuelles/detail/sondervorstellung-des-films-7-winter-in-teheran-und-anschliessende-podiumsdiskussion-das-kurze-mutige-leben-von-reyhaneh-jabbari

https://frauenrechte.de/aktuelles/detail/volle-solidaritaet-fuer-die-feministische-revolution-im-iran-und-keine-propaganda-fuer-das-kinderkopftuch-kundgebung-vor-dem-islamischen-zentrum-hamburg

https://frauenrechte.de/aktuelles/detail/meine-kindheit-war-vorbei-als-ich-begann-den-hijab-zu-tragen

https://frauenrechte.de/aktuelles/detail/das-patriarchat-schlaegt-zweifach-zu

 

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