• 20.09.2023

Sondervorstellung des Films 7 WINTER IN TEHERAN und anschließende Podiumsdiskussion – Das kurze, mutige Leben von Reyhaneh Jabbari

Solidarität mit Frauen in Lebensgefahr! V.l.n.r. Walter, Schulz, Niederzoll, Samadi, Birkmann, Sepehri.

Seit vielen Jahren arbeitet TERRE DES FEMMES daran, aktiv Öffentlichkeit für iranische Frauen und Demonstrierende zu generieren. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini, der die feministische Revolution im Iran angefacht hat, riskieren vor allem junge Mädchen und Frauen ihre Freiheit und ihre Unversehrtheit, um gegen die tödliche Willkür des Unrechtsregimes vorzugehen.

Anlässlich des ersten Jahrestags von Jina Mahsa Aminis Todestag hat TERRE DES FEMMES am 19.09.2023 in Kooperation mit Amnesty International und Little Dream Pictures eine Sonderveranstaltung zum Kinostart des Films 7 WINTER IN TEHERAN von Steffi Niederzoll im Moviemento Kino in Berlin veranstaltet.

Ein Aufruf zum Widerstand gegen die Unterdrückung

Teheran: Am 07.Juli 2007 hat die damals 19-jährige Reyhaneh Jabbari ein Geschäftstermin mit einem neuen Kunden. Ein ganz normaler Tag, der ihr Leben jedoch für immer verändern wird. Denn als der Mann versucht, sie zu vergewaltigen, ersticht sie ihn in Notwehr und flieht. Am gleichen Tag wird sie verhaftet und bald zum Tode verurteilt. Sieben Jahre lang sitzt sie im Gefängnis, während ihre Familie, allen voran ihre Mutter Shole Pakravan, Anwälte engagiert und die internationale Öffentlichkeit über Reyhanehs Fall informiert. Trotz vieler Beweise, die auf Notwehr hindeuten, hat Reyhaneh vor Gericht keine Chance, da ihr Vergewaltiger ein mächtiger und exzellent vernetzter Mann war, der – selbst nach seinem Tod – von der patriarchalischen Gesellschaft geschützt wird. Reyhaneh wird zum Tode verurteilt. Doch sie lässt sich davon nicht entmutigen. Die Schicksale anderer unrechtgemäß inhaftierter Frauen erwecken Reyhanehs Kampfwillen, nicht nur für ihre eigenen Rechte, sondern für die Rechte aller Frauen im Iran.

Die Regisseurin Steffi Niederzoll zeigt in ihrem Dokumentarfilm mithilfe von heimlich aufgenommenen Videos, Briefen, die Reyhaneh im Gefängnis geschrieben hat, ihrer Zeugenaussagen und anderer Archive, die von ihrer Familie heimlich aus dem Iran geschmuggelt wurden, den Prozess, die Inhaftierung und das Schicksal einer unfreiwilligen Heldin, die im Kampf für Frauenrechte und gegen systematische Unterdrückung ihr Leben gab.

Podiumsgespräch

Im Anschluss an den Film moderierte Sybill Schulz im ausverkauften Kinosaal das Podiumsgespräch. Eingeladen waren Omid Nouripour (Bundestagsabgeordneter Bündnis90/ DIE GRÜNEN, Bundesvorsitzender), Lamya Kaddor (Bundestagsabgeordnete Bündnis90/ DIE GRÜNEN, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion), Steffi Niederzoll und Shole Pakravan. Kurzfristig kam es zu Absagen der beiden PolitikerInnen und dankenswerterweise konnten Daniela Sepehri (Aktivistin) und Roxana Samadi (Aktivistin und Schauspielerin) einspringen. Shole Pakravan konnte aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Die Regisseurin Steffi Niederzoll steht mit der Mutter der Hingerichteten im engen Austausch. Zusammen mit ihr hat Steffi Niederzoll auch das Buch „Wie man ein Schmetterling wird“ verfasst. Frau Pakravan lebt mit ihren beiden jüngeren Töchtern inzwischen in Berlin, der Vater konnte bislang nicht den Iran verlassen, da ihm vom Unrechtsregime kein Reisepass ausgestellt wird. Der jahrelange, kräftezehrende Kampf um Reyhanehs Leben und die Trennung der Familie hinterlässt bei Shole Pakravan auch gesundheitliche Langzeitfolgen. Auf die Frage von Sybill Schulz antwortete Frau Niederzoll in Frau Pakravans Namen, warum ihr der Film so wichtig sei. Erst später in ihrem Leben wurde Shole Pakravan bewusst: Während sie selbst 1988 ihre kleine, erstgeborene Tochter Reyhaneh in den Armen hielt, weinten viele andere Mütter im Iran um ihre Kinder, die der Hinrichtungswelle der Mullahs zum Opfer fielen. Aus Angst auch ihre anderen Kinder an das iranische Unrechtregime zu verlieren, schwiegen sie und trauerten nachts allein um ihre Kinder. Daher ist es ihr wichtig, dass Schweigen zu brechen und die frauen- und menschenverachtenden Missstände im Iran öffentlich zu machen. 

An Daniela Sepehri ging die Frage, was sie am Film am stärksten berührt hat. Die Aktualität des Themas löste in ihr starke Emotionen aus. In unseren patriarchalen Gesellschaften werden Frauen viktimisiert und bestraft. Sie bewundere die unglaubliche Stärke von Shole Pakravan und den sogenannten Gerechtigkeits-Familien im Iran. Diese Familien waren zuvor oftmals nicht politisch und setzen sich nach der unrechtmäßigen Inhaftierung, Folter und Verurteilung für ihre Kinder und Verwandten ein. Nicht nur im Iran sind Frauenrechte von Bedeutung, sondern sie sind essenziell. Jin Jiyan Azadî – Frau Leben Freiheit, ist der politische Slogan, der dies auch ausdrückt. Wenn eine Frau unfrei ist, sind alle Frauen unfrei. Freiheit entsteht durch die Befreiung von Frauen. Sie merkte noch an, dass verbunden mit der Befreiung von iranischen Frauen auch die Befreiung von sexuellen, ethnischen und religiösen Minderheiten zu verstehen sei. An dieser Stelle sei auch nochmals an die Worte der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi verwiesen: Nur in einem säkularen, demokratischen Rechtsstaat haben Frauen und Minderheiten die gleichen Rechte und Entwicklungsmöglichkeiten.

Roxana Samadi führt aus, wie wir uns alle engagieren können. Ihr ist es wichtig, dass wir unsere Augen öffnen und uns bewusst sind, dass wir, außerhalb des Irans, das Privileg haben lernen zu dürfen und die iranische Diaspora lernen sollte toleranter zu sein.

Abschließend antwortet Steffi Niederzoll auf die Frage eines Zuschauers, woher Reyhaneh die Kraft gefunden hat, kein falsches Geständnis abzugeben. Im Film wird berichtet, dass die Familie des versuchten Vergewaltigers, ihr die Möglichkeit gegeben hat von der Hinrichtung abzusehen, falls Reyhaneh zugäbe, dass sie die damalige Situation falsch verstanden hätte. Im Iran gilt die Scharia, das islamische Rechtssystem. Reyhaneh wurde zum Tode verurteilt und die Familie des Getöteten kann Blutrache nehmen oder sie auch begnadigen. Die Schicksale ihrer Mitinhaftierten haben Reyhaneh veranlasst im Gefängnis sich für Frauenrechte einzusetzen. Im Film kommt ihre Mitgefangene Mina zu Wort. Von ihrem drogensüchtigen Vater wurde sie an Freier verkauft, ihre Mutter tötete ihren Ehmann, weil sie die Situation nicht mehr aushielt und befahl ihren beiden Töchtern zu gestehen bei der Tötung behilflich gewesen zu sein. Minas Schwester war zu diesem Zeitpunkt erst 11 Jahre alt. Alle drei Frauen wurden zum Tode verurteilt. Erst durch Reyhanehs Unterstützung im Gefängnis, fand sie die Kraft und den Mut in einem weiteren Gerichtsprozess die Wahrheit zu erzählen. Mittlerweile ist Mina wieder frei und singt ihrer Tochter die Lieder vor, die sie zusammen mit Reyhaneh im Gefängnis gesungen hat. Mina erzählt, wie sie immer noch die Stimme von Reyhaneh dabei im Ohr hat. Es sind Filmszenen wie diese, die das Publikum tief emotional mitnehmen. Auch die starke Unterstützung ihrer Familie hätten Reyhaneh befähigt. Steffi Niederzoll nimmt an, dass Reyhaneh sich die Würde und Stärke bewahrt hat die Wahrheit zu berichten und kein falsches Geständnis abzugeben und dafür war sie auch bereit mir ihrem Leben zu bezahlen. Reyhaneh war es wichtig, dass ihre Persönlichkeit, ihr Geist, frei blieb, wenngleich ihr Körper hinter Gefängnismauern eingeschlossen blieb.

Jin Jiyan Azadî

Wir von TERRE DES FEMMES bekennen weiterhin Solidarität mit den iranischen Frauen und Mädchen. Reyhanehs Schicksal verdeutlicht die Scheinheiligkeit des iranischen Regimes. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdiensts und „religiöser Mann“ ist in ein Sexualdelikt verwickelt ist, und um dies zu verdecken wird die Schuldfrage umgedreht. Wir arbeiten weiterhin täglich daran den Freiheitskampf der IranerInnen möglichst vielen Menschen in Deutschland ins Bewusstsein zu bringen. Wir müssen mehr Druck auf das iranische Regime aber auch auf deutsche PoltikerInnen ausüben. Wir fordern das iranische Regime weiter zu sanktionieren und sich für die IranerInnen, auch hier in Deutschland einzusetzen und sie vor den iranischen Geheimdienstaktivitäten zu schützen. Auch hier in Deutschland heißt es patriarchale Strukturen zu überwinden.

Die feministische Revolution im Iran darf nicht in Vergessenheit geraten. TERRE DES FEMMES steht weiterhin solidarisch an der Seite der protestierenden Menschen im Iran!

Die Leseempfehlung des Buchs zum Film „Wie man ein Schmetterling wird – Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari“ von Shole Pakravan und Steffi Niederzoll finden Sie hier und in unserem Shop können Sie das Buch bestellen.

 

Weitere Infos zu unserem Engagement:

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