Liebe ist halal, immer und überall: Filmvorführung und Expertengespräch über Queerness im Islam beim 24. Filmfest FrauenWelten

Am 26.10.2024, im Rahmen des 24. Filmfestival FrauenWelten, zeigte TERRE DES FEMMES den Spielfilm „AMAL“ als Deutschlandpremiere. Stephanie Walter, Referentin für Gleichberechtigung und Integration, begrüßte das Publikum und stellte den Experten Tugay Saraç vor. Saraç arbeitet in der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee als Bildungsreferent und ist Projektleiter der Anlaufstelle Islam und Diversity, einer Beratungsstelle für queere MuslimInnen. Er gibt regelmäßig Workshops zu den Themen Salafismus, Antisemitismus, Queerness im Islam und zu Frauenrechten. Auch dabei: die Schirmherrin des 24. Filmfestivals, Jasmin Tabatabai, nicht nur bekannt als Schauspielerin und Sängerin, sondern auch für ihr Engagement für Frauenrechte.
AMAL - Gegen Vorurteile im Klassenzimmer
AMAL ist ein belgischer Spielfilm des Regisseurs Jawad Rhalib. Die Hauptfigur des Films ist die Lehrerin Amal. Sie unterrichtet an einer belgischen Vorstadtschule. In ihrer Klasse, in der ein Großteil der SchülerInnen muslimischen Hintergrunds hat, nutzt sie Literatur und Poesie, um Toleranz zu fördern. Sie versucht das kritische Bewusstsein ihrer SchülerInnen zu schärfen und zur Reflexion anzuregen, die oft in ihren Ansichten gespalten sind. Ihr Einsatz bleibt jedoch nicht ohne Konsequenzen. Für ihren muslimischen Kollegen wird Amal zunehmend zur Herausforderung. Als sich ihre Schülerin Mouna als queer outet und von ihren MitschülerInnen gemobbt wird, erhöht die muslimische Gemeinde den Druck. Amal stellt sich mutig an die Seite von Mouna, entschlossen, Mouna zu schützen. Doch ihr Einsatz macht sie selbst zur Zielscheibe islamistischer Anfeindungen.
Queerfeindlichkeit - Realität an deutschen Schulen
Im Anschluss an die Aufführung gab es ein Questions & Answers (Q&A) mit Tugay Saraç als Experten. Das Publikum war vom Ende des Films noch sichtlich erschüttert. Die erste Frage lautete, welche Erfahrungen Saraç mit Queerfeindlichkeit gegenüber MuslimInnen in Deutschland sowie mit Queerfeindlichkeit innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland macht. Daraufhin berichtet er, dass das, was in der Schule im Film passiert, auch an deutschen Schulen Realität ist. Queere MuslimInnen sind, wie Mouna im Film, Mobbing und Aggressionen in deutschen Schulen ausgesetzt.
In der Kontaktstelle sprechen und beraten MitarbeiterInnen mit queeren MuslimInnen und Ex-MuslimInnen. Sie versuchen, Betroffene zu unterstützen, damit sie sich nicht alleine fühlen. Er betont, dass Mouna Glück hat, dass sie eine Lehrerin an der Seite hat, die sie unterstützt und für sie kämpft. Viele Menschen im realen Leben haben aber oft niemanden, mit dem sie reden können. Die Kontaktstelle versucht für Betroffene da zu sein und ihnen zu zeigen, dass sie nicht die einzigen queeren MuslimInnen oder Ex-MuslimInnen auf der Welt sind. Unter anderem werden auch Workshops in Schulen angeboten. Dort trifft Saraç häufig auf SchülerInnen, die sehr aggressiv reagieren, wenn das Thema Queer und Islam angesprochen wird. Er geht deshalb oft mit einem unguten Gefühl in die Schulen. In einer Schule musste ein Sicherheitsmitarbeiter vor der Tür stehen.
Apell an die Regierung - queere MuslimInnen schützen
Der Diskurs in Politik und Gesellschaft ist elementar, um queere MuslimInnen besser zu schützen und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Saraç betont, dass diese Aufgabe unserer Regierung zufällt und diese bereit sein muss, etwas zu tun. Er merkt an, dass Innenministerin Nancy Faeser, als sie in ihr Amt kam, versprochen hat, dass liberale MuslimInnen von nun an in dieser liberalen Regierung gehört werden sollen. Der Bildungsreferent selbst wurde einige Male zur Deutschen Islamkonferenz eingeladen. Dort war er aber nie in der Lage, den Punkt Islam und Queerness in der muslimischen Gemeinschaft anzusprechen. Jedes Mal, wenn er es versucht hat, wurden konservative muslimische Verbände ihm gegenüber aggressiv. Die Verbände behaupteten, dass es respektlos vom Ministerium sei, diese Thematik anzusprechen. Daraufhin hat das Ministerium den Punkt gestrichen und dafür antimuslimischen Rassismus als Thematik gesetzt. Trotzdem muss Queerness in der muslimischen Community weiterhin angesprochen werden. Nicht nur in den Ministerien, sondern auch auf lokaler und gesellschaftlicher Ebene. PolitikerInnen haben oft Angst, selbst diesen Punkt anzusprechen, da sie das Risiko von Bedrohung und Anfeindung nicht eingehen wollen.
Liebe ist halal und nicht haram
Nach dem Q&A wurde die Fragerunde für das Publikum geöffnet. Eine Zuschauerin befürchtet, dass Queerfeindlichkeit in der Gesellschaft ausschließlich auf die muslimische Community beschränkt werde. Dies wiederum könnte zu anti-muslimischem Rassismus führen. Sie fragte daher Saraç wie er als Bildungsreferent damit umgehe und ob er mit diesem Vorwurf bereits konfrontiert worden sei. Dieser erwidert, dass das eine Besorgnis ist, die er oft zu hören bekomme. Davon solle sich allerdings niemand abhalten lassen. Missstände aufzuzeigen ist der einzige Weg, wie die Situation verbessert werden kann. Liebe ist halal (erlaubt und zulässig im islamischen Verständnis). Er versuche immer wieder innerhalb muslimischer Kreise darüber zu sprechen, aber niemand nimmt seine Einladungen zu einem Treffen an. Muslimische Kreise wollen nicht über diese Themen sprechen. Deshalb ist es wichtig, Queerness und den Islam in die Medien, in die Popkultur und in den politischen Diskurs zu bringen.
Die Kontaktstelle Islam und Diversity arbeitet seit 2017 an diesen Themen und Saraç hat festgestellt, dass sich der Diskurs tatsächlich langsam verändert. Muslimische Gemeinschaften fangen an, Queerness in der Community nicht mehr zu verleugnen. Sogar große Organisationen fangen an, darüber zu reden. Die Institutionen behaupten allerdings immer noch das Homosexualität haram (eine Sünde, Tabu) ist. Am Ende des Tages können sie das Thema jedoch nicht mehr ignorieren.
Eine weitere Frage aus dem Publikum war, wie man selbst zum Schutz von queeren MuslimInnen beitragen kann. Saraç erwidert, dass eine sichtbare Unterstützung, wie beispielsweise offen darüber zu reden oder Menschen Literatur über diese Themen zu lesen zu geben, erste wichtige Schritte sein können. Auch queere MuslimInnen, die mit ihrer Identität kämpfen, mit anderen Menschen, die in der gleichen Situation sind, zu verbinden, kann enorm helfen. Des Weiteren kann man Betroffene auf Organisationen wie die Anlaufstelle Islam und Diversity aufmerksam machen.
Wie nah ist die Bedrohung?
Zum Abschluss stellte Jasmin Tabatabai noch die Frage, ob in Deutschland eine ähnliche Situation wie an belgischen Schulen herrscht. In Belgien findet Islamunterricht im Rahmen der Schule statt, aber das Curriculum wird nicht vom Staat, sondern von der Muslimischen Vereinigung von Belgien aufgestellt. Der Schulleitung ist es beispielsweise nicht erlaubt, ohne Einladung das Klassenzimmer zu betreten.
In Deutschland ist Bildung Ländersache und jedes Bundesland hat daher eigene Regelungen erlassen. Saraç nennt das Beispiel Nordrhein-Westfalen (NRW). Dort wirken konservative Institutionen wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) stark auf den Inhalt des Islamunterrichts in Schulen ein. Die DITIB ist massiv vom türkischen Staat beeinflusst. Die DITIB untersteht ideologisch und organisatorisch der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Im Islamkolleg Deutschland e. V. in Osnabrück werden Imame, als Lehrkräfte in Schulen ausgebildet. Ein Student des Islamkollegs wurde vom Verfassungsschutz beobachtet und gilt als Islamist. Es scheint keine ordentliche Kontrolle darüber zu geben, welche Personen im Kolleg ausgebildet werden. Saraç vertritt, wie TERRE DES FEMMES, die Meinung, dass in Deutschland ausschließlich „Ethik“- und kein konfessioneller Religionsunterricht unterrichtet werden soll.
Sowohl der Film AMAL als auch das Q&A offenbarten, dass mehr für die Unterstützung und Sicherheit von muslimischen und queeren SchülerInnen und von Gewalt betroffenen Lehrkräfte unternommen werden muss. Der Diskurs über Queerfeindlichkeit innerhalb der muslimischen Gemeinde darf nicht mit der vorgeschobenen Behauptung, es würde anti-muslimischer Rassismus gefördert, eingestellt werden.
Liebe ist halal, immer und überall.
Mehr Informationen zu unserer Arbeit:
Das gleichberechtigte Klassenzimmer – Umfragen, Interviews und Information-Materialien rund um das „Kinderkopftuch“
Offener Brief an Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Günther-Wünsch: Für ein gemeinsames Lernen im Ethikunterricht und gegen die Einführung von Religion als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Berliner Schulen (15.12.2023)
Positionspapier von TERRE DES FEMMES: Ethik-Unterricht als Pflichtfach an allen öffentlichen Schulen