„Du darfst laut sein“ – Sanata Doumbia-Milkereit über Mut, Engagement und Selbstwirksamkeit

Sanata Doumbia-Milkereit © Claus Bergmann

TERRE DES FEMMES: Liebe Sanata, du bist seit 2017 bei TDF als Mitfrau aktiv und hast auch als Jugendbotschafterin einiges auf die Beine gestellt. Bitte erzähl uns von deinen Aktionen.

Mein Engagement bei TERRE DES FEMMES begann 2017. Damals noch als Mitfrau mit vielen Fragen, großer Neugier und dem Wunsch, etwas Sinnvolles zu bewegen und mit dem Impuls, mich gegen FGM und Zwangsverheiratung einzusetzen. Als Jugendbotschafterin konnte ich dann gezielt eigene Projekte umsetzen, vor allem zu Themen wie Gewalt im Namen der Ehre und weiblicher Genitalverstümmelung (FGM), die mir besonders am Herzen liegen.

Besonders stolz bin ich auf die Büchertischaktionen gegen FGM, die ich mehrfach in Osnabrück und Oldenburg organisiert habe. Was dabei entstanden ist, war richtig schön: Nicht nur Buchhandlungen und Bibliotheken haben sich beteiligt, sondern auch Cafés, Bars, Restaurants und kleine Bistros, vor allem in der Osnabrücker Innenstadt. Mit Flyern, Stickern und Infotischen war unsere Botschaft plötzlich überall sichtbar.

Auch an berufsbildenden Schulen konnte ich Aufmerksamkeit für das Thema generieren, indem ich Infomaterial und Fahnen verteilt habe, aber auch durch den persönlichen Austausch. Auf digitalen Wegen konnte ich ebenfalls für Aufmerksamkeit sorgen: Als Jugendbotschafterin habe ich bei Instagram zwei Live-Talks organisiert, unter anderem mit unserer Mitfrau und Multiplikatorin Fatou Mandin Diatta zu FGM sowie in Kooperation mit DM und Gillette. Es war mir wichtig zu zeigen, dass Engagement nicht unbedingt groß beginnen muss. Ein Tisch, ein Gespräch, ein Livestream ... all das reicht manchmal schon, um Diskussionen in Bewegung zu bringen. Diese Erfahrungen haben mich sehr geprägt und motivieren mich bis heute.

TERRE DES FEMMES: Du wurdest als TERRE DES FEMMES Vorständin gewählt. Was hat dich motiviert, dich für dieses Ehrenamt zur Wahl zu stellen?

Mich hat die Idee berührt, Verantwortung nicht nur als Rolle zu verstehen, sondern als Haltung. Ich glaube fest daran, dass wir gesellschaftlichen Wandel nur dann mitgestalten können, wenn wir uns auch in Strukturen einbringen. Als Mitfrau habe ich erlebt, wie viel Herzblut, Wissen und Engagement in unserem Verein steckt und ich habe gespürt, dass ich mehr tun möchte. Die Einladung zur Kandidatur habe ich als Vertrauensvorschuss empfunden. Ich wollte etwas zurückgeben: Meine Zeit, meine Erfahrung und das, was mir wirklich am Herzen liegt. Besonders wichtig war mir, meine Perspektive einzubringen und Vielfalt im Vorstand mitzugestalten. Denn Repräsentation ist nicht nur Symbolik, sie verändert Strukturen und wie wir Themen betrachten.

Ich wünsche mir, dass TERRE DES FEMMES ein Ort bleibt, an dem sich Frauen mit ihren Stimmen, Fragen und Ideen zeigen können. Und dass auch junge Frauen spüren: Du musst nicht „perfekt“ sein, um dich einzubringen. Es reicht, dass du bereit bist, mitzugestalten.

TERRE DES FEMMES: Du engagierst dich in zahlreichen Projekten mit verschiedenen Zielgruppen. Warum ist dir gerade Intersektionalität so wichtig, und was bewegt dich dazu, dich für so viele verschiedene Themen starkzumachen? Wie schaffst du es, all dem gleichzeitig gerecht zu werden?

Intersektionalität ist für mich keine Theorie. Sie ist für mich gelebte Wirklichkeit. Ich bin Mutter, Psychologin, schwarze Frau mit westafrikanischen Wurzeln, aufgewachsen in einem politisch instabilen Land. Meine Mutter ist Analphabetin, viele Frauen in meiner Herkunftsfamilie hatten keinen Zugang zu Bildung, wurden beschnitten oder zwangsverheiratet. Ich kenne das Gefühl, sich selbst fremd zu sein, sich Sprache, Raum und Sicherheit hart erarbeiten zu müssen. Ich bin Betroffene von Gewalt und gleichzeitig Gestalterin meines Lebens.

Heute lebe ich privilegierter als früher und ich bin mir dieser Privilegien bewusst. Ich habe sie mir Schritt für Schritt hart erkämpft. Genau deshalb ist es mir besonders wichtig, dorthin zu schauen, wo selten jemand hinschaut. Ich möchte diese Lebensrealitäten sichtbar machen. Ich möchte nicht nur Lücken benennen, sondern Brücken bauen. Und anderen, besonders jungen Frauen zeigen: Du kannst gestalten. Du darfst gestalten. Du darfst laut sein.

Aus der Psychologie weiß ich, dass Menschen Selbstwirksamkeit brauchen. Wenn ich mich engagiere, dann nicht trotz meiner Geschichte, sondern wegen ihr. Ich bringe viele Rollen mit und manchmal jongliere ich mehr, als ich tragen kann. Aber ich tue es mit Herz, mit Mut und mit einem starken Netzwerk. Ich glaube daran, dass Veränderung da beginnt, wo wir uns trauen, mehr als eine Identität zu leben und uns gegenseitig Raum geben.

TERRE DES FEMMES: Du bist besonders als Netzwerkerin bekannt. Wofür ist es vorteilhaft, viele Kontakte zu haben – und wie kann sich die einzelne Mitfrau auch ohne ausgiebige Vernetzung für Frauen- und Mädchenrechte engagieren?

Ich glaube fest daran, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Wir entwickeln uns in Beziehung und durch Verbindung. Netzwerke sind für mich nicht einfach nur Kontakte, sondern lebendige Beziehungen, die Vertrauen und Wandel ermöglichen. Wenn ich mit Menschen zusammenkomme, die ähnliche Werte teilen, entsteht oft eine ganz besondere Energie. Eine Idee, die weitergetragen wird, eine Kooperation, die Kreise zieht oder einfach ein unterstützendes Wort im richtigen Moment. Als Netzwerkerin sehe ich mich manchmal wie eine Übersetzerin zwischen Welten. Zwischen Fachsprache und Alltag sowie zwischen Theorie und gelebter Erfahrung. Ich bin überzeugt: Wenn wir einander zuhören, voneinander lernen und uns solidarisch bestärken, können wir unglaublich viel bewegen.

Aber Engagement muss nicht immer laut, vernetzt oder öffentlich sein. Es beginnt oft im Stillen. Eine Mitfrau, die einen Aufkleber klebt, ein Gespräch in der Familie führt oder in ihrer Schule einen Flyer aufhängt, bewegt genauso etwas. Manchmal reicht eine Frage zur richtigen Zeit, um andere zum Nachdenken zu bringen. Wir alle haben unterschiedliche Ressourcen. Zeit, Wissen, Kontakte, Kreativität und Fürsorge. Das Schöne an TERRE DES FEMMES ist: Hier darf jede Frau auf ihre Weise beitragen. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Beteiligung und um das Vertrauen. Auch kleine Schritte können große Veränderungen anstoßen.

TERRE DES FEMMES: Was meinst du als ehrenamtliche Vorständin: Welche Form des Engagements braucht TDF besonders von seinen Mitfrauen? Was wünschst du dir für die Zukunft von TDF?

Ich wünsche mir ein Engagement, das mutig und sanft zugleich ist. Mutig im Ansprechen von Ungerechtigkeit und sanft im Miteinander. TERRE DES FEMMES braucht Mitfrauen, die hinschauen, Fragen stellen, eigene Ideen einbringen … ganz gleich, ob laut oder leise, ob sichtbar oder im Hintergrund. Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Es geht darum, dazuzugehören und etwas beizutragen. Jede in ihrem eigenen Tempo und mit der eigenen Stimme.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir noch mehr Frauen und Mädchen erreichen, auch jene, die sonst selten gefragt oder gesehen werden. Ich wünsche mir, dass wir Barrieren abbauen, auch innerhalb der Strukturen. Dass wir neue Allianzen eingehen, mutig dazulernen und dabei immer unser gemeinsames Ziel im Blick behalten: Eine gerechte, sichere, freie Welt für alle Mädchen und Frauen weltweit.

TERRE DES FEMMES: Liebe Sanata, herzlichen Dank, dass du uns so offen und detailliert über deinen Werdegang als Ehrenamtliche erzählt hast. Wir schätzen dein vielseitiges und großes Engagement sehr und wünschen dir viel Erfolg für deine Arbeit im Vorstand sowie für all die Vorhaben, die du noch verwirklichen möchtest!

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