Ungewollt schwanger in Deutschland – eine Reise durch die Geschichte

Es sind in Deutschland jedes Jahr rund 100.000 Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Die Gründe für eine Abtreibung können vielfältig sein. Für TERRE DES FEMMES ist eines entscheidend: betroffene Frauen sollen selbst über eine Schwangerschaft und einen Abbruch entscheiden dürfen. Dieser Artikel liefert eine Übersicht über die gesetzlichen Regelungen in Deutschland.

Aktuell ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland laut Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich eine Straftat. Er bleibt unter bestimmten Voraussetzungen jedoch straffrei. Dazu muss sich die Betroffene einer Beratung einer anerkannten Beratungsstelle unterziehen und dann eine Wartefrist von 3 Tagen einhalten. Der Abbruch darf nur durchgeführt werden, wenn die Schwangerschaft noch nicht über die 12. Woche fortgeschritten ist. Außerdem muss der Abbruch bislang durch eine Ärztin oder einen Arzt erfolgen. Straflos bleibt ein Abbruch in Deutschland auch, wenn eine medizinische oder eine kriminologische Indikation vorliegt. Doch wie ist es zu dieser Regelung gekommen?

Ein historischer Exkurs

Um die aktuellen deutschen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte. Schon seit der Kaiserzeit, also vor über 150 Jahren, existieren die Paragrafen 218 bis 220 StGB. Damals gelten Abbrüche als Tötungsdelikte und werden mit Gefängnis und Zuchthaus bestraft. Seit 1927 sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland kein Verbrechen mehr, sondern ein Vergehen. Das hat zur Folge, dass Betroffene nicht mehr mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft werden können. Zu einer Verschärfung der deutschen Abtreibungsgesetze kommt es dann 1943 durch die Nationalsozialisten. Abbrüche stehen von nun an unter Todesstrafe (außer bei nicht „arischen“ Frauen oder Frauen mit Behinderung). Im gleichen Zuge wird Paragraf 219a, welcher ein striktes Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche vorsieht, ins Strafgesetzbuch aufgenommen.

Ost- und Westdeutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland zweigeteilt, wodurch auch Schwangerschaftsabbrüche in der BRD und DDR unterschiedlich geregelt werden. In der DDR sind Schwangerschaftsabbrüche legal. 1950 wird dort das „Gesetz über den Mütter- und Kinderschutz“ verabschiedet, das Frauen nun weltweit erstmals erlaubt, in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen selbst über einen Abbruch zu entscheiden. Für den Abbruch müssen keinerlei Gründe angegeben werden.

In der BRD hingegen wird 1953 die Todesstrafe abgeschafft. Ein Abbruch bleibt dort jedoch grundsätzlich strafbar.  Mit der Reform des §218 im Jahr 1969 gibt es eine Erleichterung im deutschen Rechtssystem. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen nicht mehr strafbar.

Dafür muss der Abbruch aus medizinischen Gründen durchgeführt werden, die das Leben oder die Gesundheit der Mutter bedrohten.

Schwangerschaftsabbrüche bleiben auch durch eine Gesetzänderung 1976 weiterhin verboten und sind nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Dafür muss die Abtreibung vor der 13. Schwangerschaftswoche stattfinden und die Betroffene medizinische Gründe, eine soziale Notlage oder ein Sexualdelikt angeben. Diese Regelung wird 1992 auch auf Ostdeutschland ausgeweitet. Trotz zivilem Widerstand und viel Kritik setzt sich die Politik Westdeutschlands durch und entzieht somit tausenden Frauen aus Ostdeutschland ihr bisherigen Recht auf Abtreibung. Hinzu kommt 1976, dass eine Beratungspflicht für Betroffene festgelegt wird und nach der Beratung eine Wartefrist von drei Tagen eingehalten werden muss, bevor ein Abbruch durchgeführt werden kann. Abbrüche sind nicht rechtswidrig, wenn sie aufgrund einer medizinischen Indikation oder aufgrund eines Sexualdeliktes durchgeführt werden. CDU/CSU-Abgeordnete und das Land Bayern klagen gegen diese Regelung. Ihre Klage wird später vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.

Und jetzt?

Im Juni 2022 beschließt der Bundestag die Streichung des umstrittenen §219 a StGB. Das ist bis heute ein großer Meilenstein für ÄrztInnen und ungewollt Schwangere. Dadurch dürfen Praxen nun auf ihren Websites darauf aufmerksam machen, dass sie Abbrüche durchführen. Bis 2022 machten sich durchführende ÄrztInnen strafbar, wenn sie öffentlich über Abtreibungen informierten.

Paragraf 218 wird bei dieser Reform jedoch nicht verändert. 2024 arbeitet TERRE DES FEMMES mit anderen Organisationen und Juristinnen an einem Gesetzesentwurf, der eine Streichung des §218 und somit eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches vorsieht. Der gemäß den gesetzlichen Regelungen vorgenommene Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der schwangeren Person und nach medizinischer Indikation wird danach rechtmäßig und straffrei gestellt. Die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen getragen. Die Voraussetzungen zur Durchführung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs und ärztliche Pflichtverletzungen werden nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt. Der erarbeitete Gesetzentwurf basiert auf den Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die im April 2024
ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Weitere Informationen zu unserem Gesetzesentwurf finden Sie >>>hier<<<.

Gleichzeitig legen im Oktober 2024 rund 240 Bundestagsabgeordnete einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf vor, welcher ebenfalls eine Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland fordert. Der Entwurf der Abgeordneten sieht vor, dass Abbrüche in den ersten Drei Schwangerschaftsmonaten grundsätzlich rechtmäßig sein sollen. Außerdem zielt der Entwurf darauf ab, Abbrüche künftig im Schwangerschaftskonfliktgesetz zu regeln, und nicht, wie bisher, im Strafgesetzbuch. Zu den Abgeordneten, die den Vorschlag unterzeichnen, zählen unter anderem der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz sowie der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck und sowie die damalige Außenministerin Annalena Baerbock.

Der Gesetzesentwurf wird im Rechtsausschuss des Bundestages diskutiert, indem verschiedene Sachverständige aus den Bereichen Medizin, Recht und Forschung ihre Einschätzung abgeben. Der Rechtsausschuss beschließt, den Gesetzesentwurf nicht zur Abstimmung in den Bundestag zu übergeben. Eine Reform von §218 vor der Bundestagswahl 2025 scheitert.

Doch wir geben nicht auf! Wir wollen und werden nicht akzeptieren, dass Frauen von vor allem Männern immer noch das Recht genommen wird, frei über ihren Körper entscheiden zu dürfen. TERRE DES FEMMES setzt sich weiterhin für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein, sodass Frauen eines Tages nicht mehr kriminalisiert werden, bloß weil sie eigenständig über ihren Körper entscheiden möchten.

 

Quellen:

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