Mehr Mut zum Gespräch: Eine Lehrkraft reflektiert den Umgang mit dem "Kinderkopftuch"

Wie geht man als Lehrkraft mit dem Thema "Kinderkopftuch“ im Schulalltag um? In diesem Interview spricht eine Lehrerin, die an einer Grundschule Deutsch, Sachunterricht, Mathe und Sport unterrichtet, offen über ihre Erfahrungen mit den Kindern und über Unsicherheiten im Umgang mit Eltern. Auch darüber, wie sich das Tragen oder auch das Ablegen eines "Kinderkopftuchs" auf das Verhalten von Kindern auswirken kann. Hierbei wird deutlich: Es fehlt nicht nur an klaren politischen Vorgaben, sondern auch an Unterstützung und Raum für Reflexion innerhalb des Schulsystems. Ein Gespräch über Gleichberechtigung, kindliche Selbstbestimmung und die Rolle der Schule als Schutz- und Bildungsort.

„Im Nachhinein habe ich mich ein bisschen geärgert, dass ich mit den Eltern nicht mehr ins Gespräch gegangen bin“

TDF: Haben Sie herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um mit uns über dieses wichtige Thema zu sprechen. Wir freuen uns, dass Sie uns Ihre Erfahrungen bzgl. des „Kinderkopftuchs“ mitteilen möchten.
Können Sie sich uns bitte kurz vorstellen.

Lehrerin: Ich bin seit 2018 im Schuldienst und habe als Klassenlehrerin an einer Grundschule gestartet. Studiert habe ich Deutsch und Sachunterricht mit dem Schwerpunkt Biologie sowie Sport und Mathe als Nebenfach.
 

TDF: Das ist sehr breit aufgestellt. Weshalb ist es Ihnen denn wichtig über das Thema „Kinderkopftuch“ zu sprechen?

Lehrerin: Mir ist die Gleichberechtigung von Kindern, unabhängig vom Geschlecht, sehr wichtig. Ich möchte, dass sich die Kinder frei entwickeln können und das „Kinderkopftuch“ ist durchaus ein Thema, was in diesem Bereich mitreinspielt.
 

TDF: Welche Erfahrungen haben Sie denn im Laufe ihrer Schullaufbahn mit dem Thema gemacht?

Lehrerin: Es gab jetzt zwei Mädchen, an die ich mich im Laufe meiner Schullaufbahn erinnere. Ein Kind war in der ersten Klasse, in der ich auch als Klassenlehrerin tätig war. Sie kam erst ein paar Wochen ohne Kopftuch. Dann fragten mich die Eltern, ob das Kopftuch hier an der Schule erlaubt wäre. Ich habe ihnen mitgeteilt, dass es kein Verbot gibt und dementsprechend erlaubt sei. Falls das Mädchen eins tragen möchte, kann es das auch anziehen. Ab diesem Zeitpunkt kam es dann nur noch mit „Kinderkopftuch“. Im Nachhinein habe ich mich ein bisschen geärgert, dass ich mit den Eltern nicht mehr ins Gespräch gegangen bin. Ich wollte aber natürlich keine Lügen verbreiten und ihnen sagen, dass es verboten ist. Das kann man ja auch nicht machen.
 

TDF: Wie alt war denn das Mädchen?

Lehrerin: Das Mädchen kam aus Somalia und war schon ein bisschen älter. Ich schätze mal acht Jahre.  
 

TDF: Sind Sie der Meinung, dass Sie mit den Eltern offen über das Thema hätten reden können? Wenn Sie beispielsweise gesagt hätten, dass es zwar erlaubt ist aber Sie aus folgenden Gründen davon abraten?

Lehrerin: Sie hatten leider eine große Sprachbarriere. Ich hätte das aber alleine wahrscheinlich auch nicht so kompetent rüberbringen können. Ich kam frisch aus dem Referendariat und ich war mir auch noch sehr unsicher. Ich denke, sie wären durchaus zu einem Gespräch bereit gewesen, aber letztendlich hätten sie es dennoch gemacht.
 

TDF: Haben Sie denn im Nachhinein das Gefühl, dass Sie von SchulsozialarbeiterInnen und von anderen erfahrenen KollegInnen an ihrer Schule Hilfe hätten bekommen können oder wird dieses Thema eher tabuisiert?

Lehrerin: Das Kollegium war schon recht offen, was das Thema anging. Aber wir waren generell stets im Meinungsaustausch. Ich glaube, die damalige Schulsozialarbeiterin wäre mit dem Thema ein bisschen überfordert gewesen. Die aktuelle Schulsozialarbeiterin hätte mich wohl mehr unterstützten können, da sie schon mehr Erfahrung hat.


TDF: Haben Sie persönlich denn schon irgendwelche Weiterbildungen bzw. Fortbildungen zu dem Thema besucht bzw. von diesen erfahren?

Lehrerin: Nein, das habe ich nicht. Ich kam jetzt aber auch nicht auf die Idee, speziell danach zu suchen. Ich bin allerdings auch nie über irgendwelche Fortbildungen oder Projekte gestolpert. Im Referendariat oder im Studium wurde das Thema leider auch nicht behandelt.
 

TDF: Es ist bedauerlich, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht im Studium und als Vorbereitung im Referendariat bei Ihnen vorkamen. Im Grundgesetz steht im Art. 3:Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Daher wäre es für den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag umso wichtiger das Thema Gleichberechtigung vollumfänglich zu behandeln und zukünftige Lehrkräfte gut auf den normalen Schulalltag vorzubereiten. Kommen wir nochmal auf das Kind in der 1. Klasse zurück. Konnten Sie Veränderungen in ihrem Verhalten feststellen als das Kind anfing, das „Kinderkopftuch“ zu tragen?

Lehrerin: Sie war generell ein bisschen zurückhaltender und auch separierter durch die Sprachbarriere. Sie kam gerade aus einem anderen Land und hat wahrscheinlich schon viel erlebt. Das ist natürlich generell viel für ein Kind. Ich hatte aber trotzdem das Gefühl, dass es sie, als sie noch keins getragen hat, definitiv nicht gestört hat. Sie war damit zufrieden und deswegen würde ich jetzt mal eher davon ausgehen, dass ihre Eltern sie dazu überredet haben. Aber da sie ein Monat später in die Klasse kam und sie schon vorher leicht separiert war, weiß ich nicht, ob das so einen großen Unterschied gemacht hätte.
 

TDF: Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Können Sie uns denn auch von Situationen berichten, in denen das „Kinderkopftuch“ mit Einschränkungen im Schulalltag verbunden war?

Lehrerin: Es gab Probleme bei der Teilnahme am Schwimmunterricht. Meistens sind die Mädchen dann einfach oft krank. Hier wurde aber gleich versucht, das Mädchen vom Schwimmunterricht abzumelden. Glücklicherweise hat sich die Schulleitung aber sehr für das Mädchen eingesetzt und klar Position bezogen, sodass sie am Schwimmunterricht teilnehmen konnte. Die Schulleitung teilte den Eltern mit, dass es eine Schulpflicht gibt und dazu zählt auch der Sport- und Schwimmunterricht. Zudem ist schwimmen zu lernen einfach extrem wichtig, da es auch lebensrettend sein kann.


TDF: Absolut, denn wenn die Kinder nicht in der Schule schwimmen lernen, lernen sie es meistens gar nicht mehr. Schön, dass die Schule hierbei klar Position bezog.
Möchten Sie uns denn noch von dem anderen Mädchen erzählen?

Lehrerin: Das Kind unterrichtete ich letztes Schuljahr und sie war ungefähr neun Jahre. Ich war in dieser 3. Klasse allerdings keine Klassenlehrerin. Da war es so, dass das Mädchen die ganze Zeit ein Kopftuch getragen hat. Ich weiß nicht mehr weshalb, aber ihre MitschülerInnen haben irgendwann mal ihre Haare gesehen. Ich glaube, es war im Landschulheim oder im Schwimmunterricht. Sie hat Komplimente für ihre Haare bekommen und seitdem hat sie dann keines mehr getragen. Ich finde, dass sie dadurch auch selbstbewusster und offener wurde. Auf dem Schulhof stand sie dann nicht mehr ausschließlich bei den Kindern mit Migrationshintergrund, sondern hat sich dann auch mal unter die anderen Gruppen gemischt. Daran hat man schon sehr stark gesehen, dass dadurch eine Veränderung stattgefunden hat.
 

TDF: Das hört sich so an, als wäre es eine Art von Befreiung gewesen?

Lehrerin: Ja, das kann man durchaus so sagen.
 

TDF: Sehen Sie denn in einem Verbot des „Kinderkopftuches“ in öffentlichen Bildungseinrichtungen einen Vorteil für die gleichberechtigte, freie Entwicklung von Mädchen oder würden Sie andere Wege vorschlagen?

Lehrerin: Ich denke, man müsste sich vor allem breit aufstellen. Eine Fortbildung für Lehrkräfte wäre wahrscheinlich der falsche Weg. Ich denke, das würden nicht viele annehmen, da man sowieso mit zahlreichen Themen zu tun hat. Projekte zur Aufklärung und mehr SchulsozialarbeiterInnen an den Schulen, die die Lehrkräfte dann auch gezielt unterstützen können, wären da wohl gewinnbringender. Ich würde es tatsächlich nicht schlecht finden, von politischer Seite ein Statement zu bekommen, indem man das Kinderkopftuch klar verbietet. Denn ich finde, dass sich jedes Kind, ob Mädchen oder Junge frei entwickeln und keine Ausgrenzung erfahren sollte. Wenn man Mädchen durch so ein Gesetz aufzeigt, dass sie die Freiheit haben, das auch selbst zu entscheiden oder es die Möglichkeit gibt, das auch nicht zu tragen, dann stellen sie ihr Elternhaus vielleicht auch mehr infrage und was diese ihnen über das Thema Kinderkopftuch sagen. Dabei merken sie vielleicht, dass man auch andere Ansichten haben kann. Ich glaube, es würde die freie Entwicklung eher unterstützen und ich würde es tatsächlich befürworten, da sich die Kinder in einem wichtigen Alter befinden und man ihnen noch viel mitgeben kann.
 

TDF: Haben Sie herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um uns dieses wichtige Thema aus der Perspektive der Schulpraxis näher zu erläutern. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und Freude in Ihrem Beruf.

 

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