"Religionsverbundene Konflikte sollten zunächst erstmal wahrgenommen und nicht tabuisiert und bagatellisiert werden."

Interview zu religionsverbundenen Konflikten im Berliner Schulalltag mit Dr.in Diana Schieck
Frau Dr.in phil. Diana Schieck hat an der Freien Universität Berlin promoviert und ihre Dissertation wurde im Nomos Verlag veröffentlicht[1]. Dort ist zu lesen: „Ihre Untersuchung betrachtet (Berufs-)Erfahrungen und Perspektiven von PädagogInnen und SchülerInnen mit thematischen Schwerpunkten von und Umgangsweisen mit Konflikten im Berliner Schulalltag, die mit Religion in Verbindung stehen. Religion und religiöse Identität zeigen sich dabei als Segregationsmechanismen. Sprechen über Konflikte ermöglicht Schule als Schutzraum, um auch religiöse SchülerInnen in ihrer Meinungsbildung gegen repressive Vorstellungen (außerschulischer) Dritter zu stärken. Religionsverbundene Konflikte sollten nicht als grundsätzlich negativ, sondern als relevanter Bestandteil demokratischer Aushandlungsprozesse im Schulalltag gesehen und in bildungspolitische Diskurse einbezogen werden“.
Religionsverbundene Konflikte wurden in der Untersuchung so definiert, dass Religion als Argumentationsgegenstand in einer Konfliktsituation aufgeführt wurde. Das folgende Interview, welches TERRE DES FEMMES Anfang Januar 2025 mit Frau Dr.in Schieck führte, geht insbesondere auf religiös bedingte geschlechtsspezifische Ungleichheit im Schulalltag und patriarchale Strukturen ein.
Interview mit Dr.in Diana Schieck am 09.01.2025 - Transkription
TDF: Herzlichen Dank, dass Sie heute mit uns das Interview zu Ihrer Dissertation führen. Beginnen wir mit dem Ursprung Ihres Forscherinnen-Interesse? Was war Ihre Motivation die Dissertation zu religionsverbundenen Konflikten im Berliner Schulalltag zu schreiben?
Frau Dr.in Schieck: Ja, vielen Dank, dass ich die Möglichkeit habe, heute zum Thema zu sprechen. Ich habe mich mit der Schule als einem Ort beschäftigt, an dem zumindest für einen bestimmten Zeitraum, alle zusammenkommen und Dynamiken zwischen SchülerInnen sicht- und auch messbar werden. Untersuchungen zu Segregationsmechanismen zeigen bestimmte Trennlinien zwischen den SchülerInnen, welche identitätsstiftend und auch selbstwertsteigernd sein können und wonach sich Freundschaftsnetzwerke in Schulen bilden können.
Neben Geschlecht, Ethnie und auch sozialökonomischem Hintergrund, ist religiöse Zugehörigkeit von SchülerInnen so eine Trennlinie. Religion und ideologisierte Konflikte im Schulalltag wurden bereits von Studien untersucht. Ich fand interessant, dass sich im Forschungsstand immer zwei Sachen wiederholen: Das Schulpersonal äußerte Handlungsbedarf und gleichzeitig eine Art „hilfloses Schweigen“. Weiterhin wurde bisher fast ausschließlich das pädagogische Personal befragt. Diejenigen, um die es eigentlich ging, nämlich die SchülerInnen, wurden meist nicht gefragt. Das wollte ich ändern.
TDF: Vielen Dank für Ihre Ausführung Frau Dr.in Schieck.
Sie schreiben in Ihrer Dissertation, Konflikte sind nicht ausschließlich negativ zu verstehen (S. 26 f.). Konflikte werden als notwendige Form der Gesellschaft verstanden (S. 199). Insbesondere in pluralistischen Gesellschaften, die von einer Vielzahl religiöser Zugehörigkeiten, Überzeugungen, Kulturen und Ethnie geprägt sind, stellen Religion im Schulalltag und damit verbundene Konflikte einen bedeutenden Aspekt bildungspolitischer Diskurse dar (ebd.). Sie kommen zum Schluss, dass PädagogInnen jedoch unzureichend auf Konflikte im Schulalltag vorbereitet sind (ebd.).
Können Sie uns bitte schildern, was von der Politik unternommen werden muss, um dies zu ändern?
Frau Dr.in Schieck: Aus den Untersuchungsergebnissen lassen sich Handlungsempfehlungen auf einer institutionellen und auf der bildungspolitischen Ebene ableiten, die sowohl für PädagogInnen als auch für Menschen aus der politischen Bildungsarbeit bedeutsam sein können. Dazu gehört zum Beispiel die Fähigkeit diese religionsverbundenen Konflikte und damit zusammenhängende Dynamiken präventiv erkennen und einordnen zu können. In den Ergebnissen zeigte sich, dass außerschulische pädagogische Unterstützungsangebote eine Rolle dabei spielen, weil darin zum Beispiel gezielte Gesprächs- und auch Interventionstechniken in Bezug auf das Aufführen von Religion als Argumentgegenstand in Konfliktsituationen erlernt werden kann.
Es gibt SchulpsychologInnen, die Schule als Frühwarnsystem und auch als Resilienzfaktor herausstellen und Kooperationen zwischen Schule, Jugendhilfe und anderen Unterstützungssystemen hervorheben.
Ich habe allen meinen InterviewpartnerInnen die Frage gestellt, was sie sich im Umgang mit religionsverbundenen Konflikten wünschen. PädagogInnen benannten u.a. den Wunsch nach einem demokratischen Religions- oder praktischen Demokratieunterricht. Diesbezüglich wurde auch beschrieben, dass SchülerInnen bei diesem Religionsunterricht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden dürften, um Teilhabe zu ermöglichen. Die PädagogInnen äußerten vielfach den Wunsch, religionsverbundene Konflikte in das Studium mit aufzunehmen, um früh Umgangsstrategien, Selbstreflexion, Einordnung zu lernen, diskutieren zu können, Konflikte überhaupt ansprechen zu können. Insbesondere vor dem Hintergrund steigender antisemitischer Vorfälle an Berliner Schulen sowie der damit verknüpften Unsichtbarkeit jüdischer SchülerInnen an staatlichen Schulen.
Das Phänomen sollte sowohl bildungspolitisch als auch empirisch für alle zugänglich gemacht werden und als Gegenstand bildungspolitischer Diskurse anerkannt werden. Also genau das, was wir jetzt hier mit diesem Interview machen. Die Konflikte sind in den Schulen auch präsent, wenn man versucht, sie zu tabuisieren. Das zeigt sich auch in den Interviews mit den SchülerInnen, welche teilweise in den Konfliktsituationen allein gelassen wurden, ihnen weder mit Verständnis noch mit Empathie begegnet wurde und sie, im schlimmsten Fall, für Konflikte selbst verantwortlich gemacht wurden.

TDF: Vielen Dank Frau Dr.in Schieck für Ihre Ausführungen. Hier eine kurze Zwischenbemerkung zum angesprochenen demokratischen Religions- oder praktischen Demokratieunterricht. TERRE DES FEMMES fordert ein Pflichtfach „Ethik“ anstelle des konfessionellen Religionsunterrichtes. Es erfolgt somit keine Separierung der Schülerschaft nach Konfessionen und
alle lernen gemeinsam. Dieses Pflichtfach „Ethik“ soll auch Religionskunde umfassen.
Im Diskurs zum „Kinderkopftuch“ betont TERRE DES FEMMES, dass das „Kinderkopftuch“ Ausdruck patriarchaler Strukturen und Erziehung sein kann sowie der kulturell-religiös begründeten Ungleichheit von Frau und Mann. Ihre Dissertation untersucht ebenfalls die religiös bedingte geschlechtsspezifische Ungleichheit im Schulalltag: Über die klassische Rollenverteilung bis hin zu Gewaltakzeptanz. Es wird eine weitere Studie zitiert (S. 57), dass muslimische Jugendliche mit 61,7 % den geringsten Anteil aller SchülerInnen-Gruppen ausmachen, die „gewaltakzeptierende Verhaltenskontrolle von Töchtern“ ablehnen. Im Vergleich religionsfreie SchülerInnen liegt der Anteil bei 88.3 %.
Was können PädagogInnen unternehmen, um religiös bedingte geschlechtsspezifische Ungleichheit zu adressieren und auf den Gleichheitsgrundsatz von Frau und Mann hinzuwirken?
Frau Dr.in Schieck: Religionsverbundene Konflikte sollten zunächst erstmal wahrgenommen und nicht tabuisiert und bagatellisiert werden. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit bezog sich auf Umgangsweisen, welche sich im „Sprechen über“ und im „Schweigen zu“ religionsverbundenen Konflikten zeigten. Dazu erzählten InterviewpartnerInnen perspektivenübergreifend, dass es wichtig ist, über diese Konflikte zu sprechen und überhaupt die Möglichkeit besteht, dass SchülerInnen gesehen und gehört werden.
Dazu zeigte sich auch immer wieder die Relevanz des Vertrauens in pädagogischen Interaktionen. Auch PädagogInnen selbst stellten die Bedeutung von einer vertrauensvollen Beziehung im Kollegium heraus. Dazu gehörte sich gemeinsam beraten und nach Unterstützungsangeboten schauen zu können. Bestenfalls arbeiteten die PädagogInnen bereits in ihrer Ausbildung mit kulturellen, religiös begründeten Ungleichheiten. In vielen Fällen fühlten sich die PädagogInnen jedoch eher wie ins kalte Wasser geworfen.
Ein wichtiger Punkt ist, dass SchülerInnen die Schule immer wieder als einen Schutzraum definierten, welcher einer als kontrollierend erlebten außerschulischen religiösen Gemeinschaft gegenüberstand. Wenn SchülerInnen Schule als Schutzraum wahrnehmen, in welchem Konflikte sowohl wahr- als auch ernst genommen werden, ist bereits ein erster großer und wichtiger Schritt getan.

TDF: Bei Handlungsempfehlungen und Ausblick führen Sie aus, dass insbesondere religiöse Schülerinnen, welche sich aktiv gegen repressive religiöse Vorstellungen stellen und selbst von Diskriminierungen betroffen sind, aus dem Fokus geraten (S. 196).
Können Sie dies bitte weiter ausführen? Welche Erfahrungen haben Sie im Rahmen Ihrer Dissertation dazu gemacht?
Frau Dr.in Schieck: In bisherigen Untersuchungen und auch im medialen Kontext wird oft von DEN muslimischen Schülern gesprochen, welche SchülerInnen anderer Religionen oder religionsfreie SchülerInnen unterdrücken sollen. In meiner Untersuchung zeigte sich jedoch, dass vorrangig muslimische SchülerInnen selbst unter religionsverbundenen Konflikten leiden. Dazu zählten muslimische SchülerInnen, welche ein liberales oder säkulares Religionsverständnis haben oder SchülerInnen, welche zwar auf dem Papier muslimisch sind, sich aber noch unsicher sind, ob und wo sie sich überhaupt religiös einordnen wollen. Sie beschrieben, dass KlassenkameradInnen ihnen mit Verweis auf vermeintlich religiöse Regeln erklärten, dass ihr Verhalten „Sünde“ sei oder dass sie „keine richtigen Muslime“ wären, wenn sie sich nicht an diese wahrgenommenen Regeln halten würden.
Das hat sich in den thematischen Schwerpunkten Feiertage, religiöse Rituale, Geschlecht und auch Homosexualität gezeigt. SchülerInnen, welche sich entweder nicht oder vermeintlich nicht korrekt an diese wahrgenommenen Regeln hielten, sich „freizügiger“ kleideten oder sich positiv gegenüber Homosexualität äußerten, wurden demnach als „Nicht- oder Möchtegern-Moslem“ von ihren Mitschülern bezeichnet. Muslimische Schülerinnen beschrieben, dass ihr Schulalltag von vermeintlichen religiösen Regeln und damit einhergehenden intrareligiösen Konflikten durchzogen war. In den Interviews wurde auch beschrieben, wie muslimische Schüler als homosexuell markiert wurden und so einer Intensität an Gewalttaten ausgesetzt waren, dass sie die Schule verlassen mussten.
Eine sozialpsychologische Theorie, worauf sich meine Arbeit bezieht, ist die „Social Identity Theory“ von Tajfel & Turner. Ihre Grundannahmen beinhalten die Idee von einem positivem Selbstkonzept, welches auf ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer sozialen Gruppe fußt und mit einem Gefühl von, „das sind wir“ einhergeht. Dem gegenüber stehen vorurteilsbehaftete Vergleiche anderer Gruppen. Das geht mit einem Gefühl von „das sind die anderen“ einher.
Mit Blick auf eure Frage und intrareligiöse Konflikte stellt sich mir in der Untersuchung die Anschlussfrage, wer hier eigentlich die relevante Outgroup ist? Die Ergebnisse zeigen, dass das nicht die andersreligiösen oder die religionsfreien SchülerInnen sind. Das sind muslimische SchülerInnen, welche liberal oder säkular leben wollen. Diese SchülerInnen fallen hinten runter, sie werden vergessen.
TDF: Ihre Antwort zeigt die Schwierigkeiten auf, der liberal oder säkular lebende muslimische SchülerInnen ausgesetzt sind.
Die nächste Frage schließt daran an. „SchülerInnen beschreiben, dass sich MitschülerInnen im Rahmen religionsverbundener Konflikte auf religiöse Regeln beriefen und diese als Argument in Konfliktsituationen genutzt wurde“ (S. 58). Bei den Überlegungen zur wahrgenommenen Unlösbarkeit religionsverbundener Konflikte, wurde der Satz „so ist das bei uns“ als Beispiel genutzt (S. 172). Wenn Religion als alleiniges Argument in Konfliktsituationen genutzt wird, dann fungiert Religion als Diskursblocker (S. 172). Unter dem Verweis auf Religion werden demnach Diskurse abgebrochen, „Grenzen des Verhandelbaren markier[t] und Tabuzonen definier[t] (ebd.).
Ihre Datenauswertung lässt jedoch die Annahme zu, dass Sprechen über thematische Schwerpunkte religionsverbundener Konflikte Diskurse ermöglichen kann (S. 170). Möchten Sie bitte einmal darlegen, was PädagogInnen benötigen, um religionsverbundenen Konflikte in der Schule begegnen zu können?
Frau Dr.in Schieck: An dieser Stelle hat sich gezeigt, dass das Vertrauen in pädagogische Interaktionen enorm wichtig ist. Dazu gehört auch die Situation wahrzunehmen, einordnen zu können, sich auch Unterstützung suchen zu können. InterviewpartnerInnen haben mir beschrieben, dass sich diese Unterstützung im Kollegium fand, teilweise, oder auch in externen Workshopangeboten oder auch in Exkursionen. Es ging um die Aussage „bei uns ist das so“. In einzelnen Fällen haben die Pädagoginnen gesagt, dass sie diese Aussage „bei uns ist das so“ in ihre Einzelteile zerlegt haben. Wer ist UNS? Was bedeutet SO?
Allerdings braucht es dafür zeitliche Ressourcen, welche meistens nicht vorhanden sind. Ich stelle mir auch die Frage, ob Lehrkräfte allein, auch mit den besten Fähigkeiten, das überhaupt stemmen können. In den Ergebnissen meiner Untersuchung zeigte sich, dass die thematischen Schwerpunkte an allen möglichen Schularten stattfanden, unabhängig vom Bezirk. Demnach sind religionsverbundene Konlikte kein Phänomen sogenannter Brennpunktbezirke. Daran zeigt sich auch, dass die PädagogInnen an ihrer Schule mit den Konflikten nicht alleine sind. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, darf gerne festgehalten werden, um sich darauf basierend Unterstützung zu suchen.

TDF: Ein thematischer Schwerpunkt bei religionsverbundenen Konflikten ist Geschlecht (bspw. S. 99 ff.). Religiöse Regeln, religiöses Mobbing und die Wahrnehmung weiblicher PädagogInnen werden darin u.a. thematisiert.
Ein paar Auszüge: Es gab klasseninterne Diskussionen, dass vorrangig Mädchen aus religiösen Gründen jungfräulich in die Ehe gehen sollten. Oder das muslimische Mädchen ihre Religiosität von MitschülerInnen abgesprochen wurde, weil sie kein „Kinderkopftuch“ oder bauchfreie Kleidung trug. Ein religiöser Schüler bezog sich dazu auf muslimische Klassenkameradinnen, die bauchfreie Kleidung trugen, weswegen er mit ihnen in Konflikt geriet: „Hab ich gesagt: ,Warum machst du das? Das ist doch eine Sünde`“ (S. 103). Eine Pädagogin berichtet wie sie mit Aussagen „Du bist eine schlechte Muslima, so wie du aussiehst und so. Also du hast mir gar nichts zu sagen“ konfrontiert“ wurde (S. 101).
Hatten Sie im Laufe ihrer akademischen Arbeit den Eindruck, dass die Themen wie „Kinderkopftuch“ und religiöses Mobbing sowie Akzeptanz weiblicher Lehrkräfte in Politik und Gesellschaft ausreichend adressiert werden? Schließlich sollte Schule ein Schutzraum für alle sein. Ein Raum, der das gleichberechtigtes Lernen ermöglicht und den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag umsetzt.
Frau Dr.in Schieck: Die SchülerInnen, die ich interviewt habe, waren alle 14 und älter. Die Lehrkräfte hatten teilweise Berufserfahrung in Grundschulen und beschrieben, dass diese vermeintlichen Kleiderregeln auch bei muslimischen Grundschülerinnen wahrgenommen wurden. Zukünftig wäre es sicher spannend, sich thematische Schwerpunkte religionsverbundener Konflikte an Grundschulen anzuschauen, da sich hier scheinbar ähnliche Dynamiken zeigen. Religionsverbundene Konflikte sind eine wahnsinnig sensible Thematik, welche gleichzeitig zu ihrer Relevanz auch mit Vorurteilen und Stereotypen und teilweise auch rassistischen Verhaltensweisen von Lehrkräften einhergehen können.
Man muss wahnsinnig auf der Hut sein, diese Konflikte zu adressieren und gleichzeitig nicht zu verallgemeinern oder Vorurteile zu reproduzieren. Diese Sorge Vorurteile zu reproduzieren, die kann, so angemessen und wichtig sie ist, auch lähmen. Im Laufe der akademischen Arbeit bin ich immer wieder auf diese Sorge in politischen, in akademischen, in gesellschaftlichen Debatten und auch bei mir selbst gestoßen. Gleichzeitig kann es, wie die Ergebnisse meiner Arbeit zeigen, für die muslimischen Mädchen, für die säkularen und für die atheistischen Mädchen gefährlich sein, wenn Politik und Gesellschaft dazu schweigen. Zusammenfassend, nein, die angesprochenen Themen werden noch nicht ausreichend reflektiert oder bedacht adressiert.
TDF: Wir kommen schon zur vorletzten Frage. SchülerInnen beschrieben die Diskussionen zum thematischen Schwerpunkt Geschlecht zu großen Teilen als konstruktiv und als Meinungsaustausch. Als problematisch beschrieben SchülerInnen, wenn frauenfeindliche Aussagen im Unterricht fielen und PädagogInnen diese als freie Meinungsäußerung markierten: „Solche Frauenfeindlichkeit, sowas wird auch von den Lehrern legitimiert. Einfach unter Meinungsfreiheit geschubst und abgeschossen“ (S. 102). Mit Bezug auf Homophobie lässt sich eine Bagatellisierung bei den Lehrkräften beobachten, die religionsverbundene Konflikte als nicht bedeutend genug betrachten. Hier beschreiben SchülerInnen wie religiös begründete Homophobie als Meinungsfreiheit verortet wurde (S. 129).
Können Sie bitte eruieren, inwieweit dieses Verhalten sich weiter auf religionsverbundene Konflikte an Schulen auswirken kann?
Frau Dr.in Schieck: Ich habe in meiner Untersuchung von Bagatellisierung gesprochen. Das zeigte sich zum Beispiel, wenn frauenfeindliche oder homophobe Äußerungen als Meinungsfreiheit eingeordnet wurde. Es zeigte sich auch in Situationen, in denen antisemitische Gewalt von Lehrkräften als Kinderstreit beurteilt wurde. Daran lässt sich erkennen, dass Antisemitismus vom pädagogischen Personal unerkannt bleibt und/oder bagatellisiert wird. Gleiche Phänomene ließen sich bei homophoben Verhaltensweisen identifizieren. Bagatellisierung kann auch Hinweise auf massive Überforderungsgefühle des pädagogischen Personals liefern. Hierbei ist es mir wichtig nochmal festzuhalten, dass es nicht darum geht, mit dem Finger auf falsche Umgangsweisen von PädagogInnen zu zeigen. Stattdessen verdeutlicht sich die Dringlichkeit thematische Schwerpunkte religionsverbundener Konflikte weiter zu untersuchen um SchülerInnen zu schützen, die messbarer Gewalt ausgesetzt sind.

TDF: Vielen Dank Frau Dr.in Schieck für Ihre Einordnung. Wir kommen somit auch zur letzten Frage des Interviews. Zum Abschluss, was ist Ihnen besonders wichtig in Bezug auf religionsverbundene Konflikte im Berliner Schulalltag? Was haben wir noch nicht thematisiert?
Frau Dr.in Schieck: In den Fragen wurde es bereits adressiert, die Frage danach, wer hier die relevante Outgroup ist. Das sind nicht die nicht- oder andersreligiösen SchülerInnen, sondern die religiösen SchülerInnen, welche sich nicht an die vermeintlichen Regeln halten wollen oder atheistisch sind oder säkular sein wollen. Die teilweise von diesen Regelungen geflohen sind, nur um hier in der Schule diesen wieder ausgesetzt zu sein. Da benötigt es mehr Untersuchungen.
Ich möchte auch nochmal betonen, dass meine Untersuchung nicht repräsentativ ist, weil es eine Doktorarbeit mit einem eng bemessenen Rahmen ist. Sie hat aber eine sich verdeutlichende Tendenz aufgezeigt, welche sich in den bestehenden Forschungsstand gut eingliedert und verdeutlicht, dass wir weitere Daten dazu brauchen.
Meine Untersuchung lieferte Einblicke in wahrgenommene thematische Schwerpunkte und Umgangsweisen mit religionsverbundenen Konflikten – aus der Perspektive von PädagogInnen UND SchülerInnen. Aber das reicht natürlich noch lange nicht. Die Ergebnisse meiner Untersuchung legen nahe, dass religionsverbundene Konflikte als handlungsrelevante Variable im Schulalltag anerkannt werden sollten. Dass wir Konflikte nicht als etwas grunsätzlich Negatives betrachten sollten, sie nicht vermeiden oder tabuisieren. Wir sollten dazu streiten. Wichtig ist dazu nicht zu schweigen.
TDF: Herzlichen Dank Frau Dr.in Schieck, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um mit TERRE DES FEMMES dieses Interview zu führen.