Bericht von einer Schulsozialarbeiterin einer Grundschule in Berlin Kreuzberg

Wir haben von einer Schulsozialarbeiterin und Theaterpädagogin ein schriftliches Statement bekommen, indem sie über ihre Arbeit an einer Berliner Grundschule berichtet. Seit einigen Jahren beobachte sie eine Entwicklung bei muslimischen SchülerInnen, wobei sie auf eigene Erfahungen in der Schule eingeht.

Meine Erfahrungen zum Thema „Kinderkopftuch“

Ich arbeite seit vielen Jahren an einer Kreuzberger Grundschule als Schulsozialarbeiterin und Theaterpädagogin und erlebe seit einigen Jahren eine Entwicklung bei den muslimischen Schüler*innen, die mich oft sehr nachdenklich macht. Dies zeigt sich insbesondere in der Interaktion Jungen und Mädchen und bei den Mädchen in deren Vorbereitung auf die Sekundarstufe. Ich möchte betonen, dass sich meine Erfahrungen auf einzelne Schüler*innen beziehen, jedoch beobachte ich eine Veränderung in Bezug auf die Wichtigkeit religiöser Werte im Leben muslimischer Kinder, die auch in der Grundschule sichtbar ist.

Im Moment gibt es bei uns erfreulicherweise keine Mädchen mit Kopfbedeckung, in meiner Berufszeit gab es jedoch vereinzelt Mädchen, die schon in der ersten Klasse bedeckt waren oder das „Kinderkopftuch“ und bedeckende Kleidung ab der 5. / 6. Klasse trugen. Diese Mädchen durften auch oft bei den Klassenfahrten nicht teilnehmen. Dies wurde trotz intensiver Gespräche von den Eltern nicht gewünscht. Meistens betonten die Eltern, dass das Kind nicht mitwolle.

Das Ablegen des „Kinderkopftuchs“ wäre eine Sünde

In einzelnen Gesprächen mit Mädchen in der 5./6. Klasse – Mädchen, die ich schon sehr gut kannte und eine vertrauensvolle Beziehung zu ihnen hatte– sprachen und sprechen wir auch über das Thema Bedeckung nach dem Schulwechsel. Ich spürte bei den Mädchen sehr oft eine Mischung aus Stolz, aber auch Ambivalenz. „Ich muss das Kopftuch ja immer tragen. Wenn ich es wieder absetze, ist das Haram – eine große Sünde.“ Ich spürte auch immer die Loyalität zur Religion „Das ist in unserer Religion so.“, manchmal auch die starke, Einfluss nehmende Haltung älterer Brüder, die zum Teil eine große Kontrolle auf die Schwester ausübten. Viele Mädchen betonten auch den Schutzfaktor von Bedeckung „Dann schauen die Jungs mich nicht so komisch an“, gleichzeitig erkannte ich in ihrer Art sich zu kleiden auch die Lust, sich körperbetont zu stylen, sich zu schminken etc. . Einige Mädchen meinten, sie hätten nicht wirklich Lust sich zu bedecken, wollten aber auch keinen Stress zuhause. Die Befürchtung, das „Kinderkopftuch“ bzw. die neue Kleidungsordnung nicht für immer tragen zu können, zog sich bei den Mädchen durch. Ich konnte an einigen Konflikten zwischen muslimischen Jungen und Mädchen sehr deutlich sehen, dass manche Jungen schon in der 5. Klasse eine kontrollierende und beleidigende Haltung zur Kleidung von Mädchen zeigten. Es kamen Bemerkungen wie z.B. „Du kleidest dich wie eine Schlampe“, „Das ist Haram wie du dich kleidest.“ Diese Konflikte wurden von der Schulsozialarbeit auch immer aufgegriffen, wenn die Mädchen sich beschwerten bzw. die Erwachsenen diese direkt beobachteten.

Für mich gibt es bei den Mädchen in diesem Alter keine freie selbstbestimmte Entscheidung zur Bedeckung! Das ist ein von den Erwachsenen geschaffener Mythos! Die Loyalität zur Familie und zur muslimischen community ist bei den Mädchen sehr stark, das Abhängigkeitsverhältnis natürlich zentral. Für mich ist das „Kinderkopftuch“ ein klarer Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz von Mann und Frau. Dieser Grundsatz muss auch für Mädchen und Jungen gelten! Hier wird mit Hilfe der Religion eine große Ungleichheit/Unterdrückung und Rollenfestlegung schon im Kindesalter verankert: Muslimische Jungen können sehr frei und wenig kontrolliert die Pubertät erleben, sogar Erfahrungen mit Mädchen sammeln, Mädchen werden jedoch mit der Periode in die Rolle der erwachsenen Frau gedrängt und eingeengt. Hierbei spielt die Bedeckung eine sehr zentrale, nicht zu unterschätzende Rolle in der Ungleichheit zwischen Mann und Frau. Da ich sehr oft in den Iran gereist bin, konnte ich dort erleben, wie gnadenlos die Bedeckung schon bei kleinen Mädchen in der Grundschule erzwungen wurde und wie lange schon dort Frauen (muslimisch und nicht-muslimisch!) gegen diese Ungleichheit / Unterdrückung kämpfen.

Abschließend möchte ich betonen, dass ich Religion immer dann wertschätze, wenn sie NICHT die Ungleichheit zwischen Mann und Frau zementiert.

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