TERRE DES FEMMES fordert mehr Präventionsarbeit an Berliner Schulen und niedrigschwellige Angebote für Betroffene
Am Mittwoch, den 02. März, begann am Berliner Landgericht der Mordprozess gegen zwei Brüder. Die 27 und 23 Jahre alten Männer sind angeklagt, ihre Schwester Maryam H. aufgrund ihres „Lebenswandels“ ermordet zu haben. Die 34-jährige Mutter von zwei Kindern (10 und 14 Jahre alt) wurde in Afghanistan mit 16 Jahren zwangsverheiratet und konnte sich schließlich aus der gewaltsamen Ehe befreien.
Die Brüder wollten nicht akzeptieren, dass ihre Schwester selbstbestimmt und frei lebte und kontrollierten sie gewaltsam bis zu ihrem Tod. Am 13. Juli 2021 sollen sie ihre Schwester ermordet und die Leiche im Koffer von Berlin nach Bayern transportiert haben, wo sie den Koffer vergruben. Die beiden Männer sitzen seit August in Untersuchungshaft.
Keine Aussagen der Angeklagten
Die Rechtsanwälte der beiden Brüder erklärten zu Beginn des Prozesses, dass beide sich nicht zu den Vorwürfen äußern werden. Die beiden Angeklagten verfolgten mit regungsloser Miene das Verlesen der Anklageschrift sowie den gesamten ersten Prozesstag.
Der Ex-Ehemann von Maryam, der während der Ehe massive Gewalt ausgeübt hat, trat, für TERRE DES FEMMES schockierend und aufgrund der Vorgeschichte nicht nachvollziehbar, als gesetzlicher Vertreter der Kinder auf und saß neben dem Anwalt der Nebenklage.
Insgesamt sind 35 Prozesstage bis August 2022 geplant, TERRE DES FEMMES wird den Prozess teilweise vor Ort beobachten.
Dieser Fall ist kein Einzelfall
TERRE DES FEMMES macht darauf aufmerksam, dass dieser Fall kein Einzelfall ist. Nach Recherchen von TDF wurden in den letzten zwei Jahren 25 Personen Opfer von versuchter oder vollzogener „Ehrverbrechen“. Diese Zahl der „Ehren“- Morde bzw. -versuche spiegelt jedoch nur die Spitze des Eisberges wider. Viele Mädchen und Frauen haben bereits vorher einer solchen Tat massiv unter patriarchalischer Gewalt, Zwangsverheiratung und Frühehen zu leiden. Allein in Berlin waren 2017 nach einer Umfrage des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung 570 Personen von einer Zwangsverheiratung in Berlin bedroht oder betroffen – darunter vor allem weibliche Minderjährige und junge Erwachsene unter 21 Jahre, die teils massiver Gewalt bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt waren. Die Dunkelziffer wird viel höher eingeschätzt, weil die Betroffenen sich oft aus Angst oder Unkenntnis der Hilfsangebote niemandem anvertrauen.
Forderungen von TERRE DES FEMMES:
- Bundesweite Präventionsarbeit an Schulen
- Verstärkung der niedrigschwelligen Hilfs- und Unterstützungsangebote für geflüchtete Frauen (z. B. sofortige und umfassende Beratung in der Herkunftssprache, psychologische Unterstützung und ggf. konkrete Hilfe bei der Flucht vor gewalttätigen Familienmitgliedern/Anonymisierung)
- Dauerhafte Finanzierung von spezialisierten Beratungsstellen/Schutzeinrichtungen und Schaffung weiterer Einrichtungen
- Personelle Aufstockung der MitarbeiterInnen in Schule und Jugendamt
- Schulungen aller Berufsgruppen, die mit potentiell Betroffenen arbeiten
- Verbesserung der Schutzmaßnahmen für Betroffene von Zwangsverheiratung und Gewalt im Namen (z. B. Hilfen bei der Anonymisierung und Namensänderung)
- Bundesweite Studie zum Ausmaß von Zwangsverheiratungen und Frühehen
TERRE DES FEMMES geht aktuell mit dem Schultheaterprojekt „Mein Herz gehört mir!- Gegen Zwangsverheiratung und Frühehen“ an Berliner Schulen, leistet Präventionsarbeit, Aufklärung und konkrete Hilfe
Stand: 3/2020