• 16.09.2025

Bewertung der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes durch TERRE DES FEMMES

Bewertung der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes durch TERRE DES FEMMES zum Download

Berlin, 30. September 2025 

Die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) (vorgesehen in §38 ProstSchG) wurde vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend in Auftrag gegeben. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) führte die Studie gemeinsam mit drei Unterauftragnehmern zwischen Juli 2022 und April 2025 durch. Die Evaluation umfasst einen Abschlussbericht sowie zwei Begutachtungen: „Freiwilligkeit in der Prostitution“ und „Prostituier-tenschutzgesetz und Baurecht“. Ziel der Evaluation war es, die Wirksamkeit des ProstSchG rückblickend zu prüfen. Sie wurde bereits von zahlreichen Seiten kritisch bewertet. Kritisiert werden unter anderem mangelnde Repräsentation besonders betroffener Gruppen, fehlende Einbindung erfahrener Fachkräfte sowie eine als wissenschaftlich fragwürdig empfundene Herangehensweise. Auch TERRE DES FEMMES (TDF) schließt sich dieser Kritik an und legt in der vorliegenden Bewertung zentrale Kritikpunkte an der Evaluation dar.

1. Methodik der Evaluation

Stark verzehrte Stichprobe
Rund 44,6 % der befragten Prostituierten besitzen (auch) die deutsche Staats-angehörigkeit, etwa 48 % stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Nur rund 8 % verfügen (auch) über eine Staatsangehörigkeit eines Nicht-EU-Landes. Das Medianalter beträgt 32 Jahre, die Mehrheit ist gut oder hoch gebildet (über 50 %), 57,7 % arbeiten im Nebenerwerb und 83,8 % sind krankenversichert. Das steht im starken Gegensatz zur Realität: selbst unter den angemeldeten Prostituierten hatten 2024 nur 17 % die deutsche Staatsangehörigkeit; im Dunkelfeld ist der Anteil der deutschen Staatsangehörigen vermutlich noch geringer. Besonders betroffene Gruppen – etwa migrantische Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus oder Frauen in Armuts-, Zwangs- oder Beschaffungsprostitution – sind in der Befragung kaum repräsentiert. Schon während der laufenden Studie hatten erfahrene Fachberatungsstellen auf diese Problematik hingewiesen. Viele dieser Frauen konnten oder wollten trotz Unterstützung durch BeraterInnen die standardisierten Fragebögen nicht vollständig ausfüllen, z.B. aufgrund sprachlicher oder psychosozialer Hürden. Sexkäufer wurden nur über Online-Befragung und nur auf Deutsch befragt, was die Stichprobe dieser Personengruppe ebenfalls verzerrt. Das KFN räumt selbst ein, dass die Studie „keinen Anspruch auf Repräsentativität im allgemeinen Sinn“ (S. 580) erhebt, da zentrale methodische Anforderungen wie eine zufällige Stichprobenziehung oder ausreichende Kenntnisse über die Grundgesamtheit nicht erfüllt wurden. Das ist eine starke Limitierung, die bei der Interpretation der Ergebnisse unbedingt berücksichtigt werden muss und die die Aussagekraft der Evaluation einschränkt. 

Unkontrollierbares Risiko der Manipulation
42,5 % der Fragebögen wurden über Prostitutionsplattformen und Betriebe verteilt, was ein erhebliches Risiko der Beeinflussung durch ProfiteurInnen der Prostitution birgt. Die Online-Befragung erfolgte überwiegend über Bordellbetreibende und einschlägige Plattformen, ohne dass eine Identitätsprüfung der Teilnehmenden stattfand. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Fragebögen von Dritten ausgefüllt wurden. Der hohe Rücklauf könnte auf Selbstselektion und interessengeleitete Verzerrung hindeuten. Zudem erlaubte die Online-Befragung keine Face-to-Face-Sicherung und keine Kontrolle gegen Manipulation.

Dominanz von Selbstauskünften vs. objektive Daten
Die Ergebnisse basieren fast ausschließlich auf Angaben von Gruppen mit Eigeninteressen, wie Sexkäufer, Bordellbetreibende und (überwiegend rechtlich und sozial abgesicherte) Prostituierte. Objektive Daten wie Gewaltstatistiken oder Gesundheitsdaten fehlen. ProfiteurInnen des Prostitutionssystems erhalten dadurch unverhältnismäßig viel Einfluss auf die Empfehlungen.

Nicht-Erwähnung von Aussteigerinnen
Interviews mit Aussteigerinnen-Netzwerken tauchen nicht namentlich in der Auswertung auf, obwohl Gespräche geführt wurden. Dagegen werden die Aussagen von Organisationen, die Prostitution als Erwerbsarbeit stärken wollen, mehrfach zitiert. 

2. Ergebnisse der Evaluation

Regulierung:
Die Mehrheit der Befragten bewertet die Regulierung überwiegend positiv: 55,2 % geben an, dass Betriebskonzepte dabei helfen würden, Risiken für Prostituierte zu erkennen. Diese Einschätzung ist jedoch verzerrt, da Personen ohne offizielle Erlaubnis oder aus dem illegalen Bereich kaum erreicht wurden. Befragt wurden vor allem diejenigen, die bereits am System teilnehmen und davon profitieren: positive Rückmeldungen waren daher erwartbar und spiegeln nicht zwangsläufig die Realität wider.

Registrierung:
Viele Prostituierte nehmen die Registrierung aus Angst vor Strafen wahr, berichten jedoch von Stigmatisierung, Datenschutzproblemen und Befürchtungen hinsichtlich aufenthaltsrechtlicher Konsequenzen. Eine nachweisbare Schutzwirkung gegen Gewalt konnte die Evaluation nicht feststellen. 

Erlaubnisverfahren für Bordelle:
Es wurden rund 2.000 Lizenzen erteilt, während gleichzeitig eine große Dunkelziffer illegaler Betriebe besteht. Ob die erteilten Betriebskonzepte tatsächlich die Rechte und Sicherheit der Frauen gewährleisten, bleibt unklar. 

Gesundheit & Sicherheit:
Die Befragten geben überwiegend hohe Zufriedenheit an, was den Ergebnissen internationaler Studien zu Traumatisierung, psychischer Belastung und Gewalt widerspricht. Erhebungen zur psychischen Gesundheit fehlen gänzlich. 

Sexkäufer:
Die Evaluation stellt die Sexkäufer überwiegend positiv oder neutral dar, u.a. basierend auf deren Eigenangaben. Sie weist selbst darauf hin, dass das Bild von dem Verhalten der Sexkäufer stark davon abhängt, wer befragt wird: Während Prostituierte, Bordellbetreibende und Sexkäufer das Verhalten meist positiv sehen, bewerten Behördenmitarbeitende es deutlich kritischer (Evaluation, S. 611). Dieser wichtige Befund wird im weiteren Bericht jedoch kaum berücksichtigt; stattdessen dominieren die Perspektiven derjenigen, die vom System profitieren und/oder davon abhängig sind. Gewalt und Grenzüberschreitungen werden dabei heruntergespielt. Auffällig ist zudem, dass Sexkäufer das Verhalten ihrer eigenen Gruppe häufig kritischer einschätzen als Prostituierte und Gewerbetreibende, deren Bewertungen wiederum nah beieinander liegen. 

Empfehlungen:
Die politischen Vorschläge der Evaluation sind stark bürokratisch ausgerichtet. Im Fokus stehen institutionelle Kontrolle, Datenerhebung und Zentralisierung, die Schulung von Behördenmitarbeitenden und die Entwicklung offizieller Leitlinien. Statt die strukturellen Hintergründe näher zu beleuchten, wird in vor allem auf verwaltungstechnische Lösungen zurückgegriffen. Zusätzlich legen die Empfehlungen einen Fokus auf Liberalisierung, z. B. Erleichterungen bei Bordellerlaubnissen. Insgesamt führen die vorgeschlagenen Maßnahmen zu keiner messbaren Verbesserung für Prostituierte und stärken in erster Linie die ProfiteurInnen.

3. Grundhaltung des Berichts & frauenrechtliche Einordnung

Der Bericht hinterfragt den Status quo der Prostitution nicht, sondern konzentriert sich auf die Optimierung bestehender Regelungen. TDF ist sich bewusst, dass der Evaluationsauftrag nicht darin bestand, das System Prostitution grundsätzlich infrage zu stellen, sondern die Folgen des Gesetzes zu untersuchen und mögliche Verbesserungen aufzuzeigen. Dennoch hätte die Evaluation frauenrechtliche Aspekte, z.B. Geschlechterasymmetrien, Sexismus und geschlechtsspezifische Gewalt in der Prostitution, stärker berücksichtigen müssen, denn das ProstSchG hat auch Auswirkungen auf diese Aspekte. Zwar wird das Gewaltpotenzial im System anerkannt, etwa durch die Überlegung, minderjährige Betroffene teilweise in den Anwendungsbereich des Prostituiertenschutzgesetzes aufzunehmen, um ihnen im Bedarfsfall Schutzmaßnahmen zugänglich zu machen. Auch Probleme wie ausbeuterische Mietverhältnisse werden benannt, jedoch begegnet man diesen Missständen lediglich mit Anpassungen im verwaltungsrechtlichen Rahmen. Statt strukturelle Gewaltverhältnisse zu hinterfragen, werden Maßnahmen wie die Lockerung der Trennung von Arbeits- und Wohnort empfohlen. Der Eindruck entsteht, dass Schutz durch bessere Regulierung möglich sei, ohne die gewaltfördernden Strukturen selbst zu verändern. Das System Prostitution wird als unausweichlich, aber kontrollierbar dargestellt. Fragwürdig ist ferner die Einbindung bestimmter AkteurInnen: Bordellbetreibende und Sexkäufer werden als legitime ExpertInnen in Maßnahmen gegen Menschenhandel berücksichtigt, während sie gleichzeitig ProfiteurInnen des Menschenhandels sind. Abolitionistische Positionen werden nur oberflächlich behandelt. Das ProstSchG wird grundsätzlich als wirksam dargestellt, und etwaige Schwächen sollen durch Optimierungen behoben werden. Es besteht folglich die Gefahr, dass der Bericht als Argument genutzt wird, um grundlegende Reformen zu verhindern. 

Frauenrechtliche Einordnung der Evaluation:
In der Evaluation kommt die feministische Kritik an Prostitution als misogynes und patriarchales System deutlich zu kurz. Zwar sind die Bemühungen um geschlechterneutrale Sprache grundsätzlich begrüßenswert, sie bleiben jedoch problematisch, wenn gleichzeitig patriarchale Strukturen und bestehende Geschlechterasymmetrien nicht klar benannt werden. Unabhängig von den unterschiedlichen Positionen innerhalb des feministischen Spektrums zum rechtlichen Umgang mit dem System Prostitution besteht breite Einigkeit darüber, dass das ProstSchG seinem eigenen Anspruch, insbesondere Frauen Schutz zu bieten, bislang nicht gerecht wird. 

4. Fazit

Die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes ist methodisch und inhaltlich mangelhaft. Sie erfüllt nicht das Ziel, die Schutzwirkung des Gesetzes objektiv zu prüfen, und liefert wenig verlässlichen Aussagen über die Lebenssituation der Betroffenen. Besonders vulnerable Gruppen wie Migrantinnen ohne Papiere oder Frauen in Armuts- und Zwangsprostitution werden praktisch nicht erfasst, während die Perspektiven von ProfiteurInnen des Systems (Bordellbetreibende, Sexkäufer) dominieren. Beratungsstellen und Aussteigerinnen-Netzwerke werden kaum berücksichtigt. Die Evaluation legitimiert Prostitution als normale Berufstätigkeit und unterschätzt Gewalt, strukturelle Ungleichheiten und Sexismus. Die vorgeschlagenen Optimierungen sind überwiegend bürokratisch ausgerichtet und zielen auf Liberalisierung, ohne den Schutz der Frauen systematisch zu verbessern. Daher fordert TDF einen politischen und gesellschaftlichen Wandel durch Entkriminalisierung und Ausstiegshilfen für Prostituierte, ein gesetzliches Sexkaufverbot, ein Verbot von Profitnahme aus der Prostitution sowie Aufklärung und Sensibilisierung der Gesellschaft. Hier finden Sie unsere Forderungen im Überblick, für eine Welt frei von Prostitution und sexueller Ausbeutung. 


Christa Stolle 
Bundesgeschäftsführerin 
TERRE DES FEMMES

 

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