Burkina Faso – die am meisten vernachlässigte Krise weltweit – kommt nicht zur Ruhe: Projektbericht 2023
Die Sicherheitslage verschlechtert sich
Noch immer befindet sich das Land in einer tiefen Staatskrise. Durch die bereits seit 2015 zunehmenden terroristischen Angriffe islamistischer Gruppen auf sowohl staatliche Einrichtungen als auch zivile Ziele verschlechtert sich die Sicherheitslage kontinuierlich.
Burkina Faso belegt mittlerweile Platz zwei auf dem Global Terrorism Index, nur hinter Afghanistan. Die Regierung hat über mehr als 40 Prozent des Staatsgebiets keine Kontrolle mehr. Rund zwei Millionen Menschen sind laut UN innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht, und 6,3 der 22 Millionen EinwohnerInnen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Neben der katastrophalen Sicherheitslage belastet zudem der Klimawandel die burkinische Bevölkerung erheblich: Wetterextreme wie Hitze, Dürren und Starkregen führen zu degradierten Böden und Ernteausfällen und bedrohen damit vor allem dieErnährungssituation der Landbevölkerung. Der kürzliche gemeinsame Austritt der drei Militärregierungen Niger, Mali und Burkina Faso aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS könnte die bereits höchst prekäre wirtschaftliche Lage noch verschärfen.
Situation der Millionen von Binnenvertriebenen ist besonders fatal
Sie leben oft unter unzumutbaren Bedingungen, es mangelt bereits an der Grundversorgung mit Nahrung, Trinkwasser und Unterkünften. Viele der Binnengeflüchteten sind gezwungen, auf der Straße oder in provisorischen, notdürftigen Behausungen zu schlafen; andere kommen bei Verwandten oder FreundInnen unter, was jedoch die ohnehin sehr begrenzten Ressourcen der aufnehmenden Gemeinden belastet und weiteres Konfliktpotential schürt. Vor allem binnengeflüchtete Frauen und Mädchen sind einem massiven Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt.
Unterstützung für Gewaltbetroffene
Inmitten dieser herausfordernden Umstände spielt die TDF Partnerorganisation Association Bangr Nooma (ABN) eine zentrale Rolle bei der Unterstützung von der allgegenwärtigen Gewalt oft besonders stark betroffener burkinischer Frauen und Mädchen. Seit über zwei Jahrzehnten kämpft ABN für ein Ende der weiblichen Genitalverstümmelung (engl. Female Genital Mutilation – FGM) in Burkina Faso, setzt sich aber gleichzeitig auch gegen sämtliche anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ein. Im Jahr 2015 hat ABN das Gewaltschutzzentrum CAECF (Centre d’Accueil, d’Ecoute et de Conseils pour les Femmes et les Filles) für hilfesuchende Mädchen und Frauen ins Leben gerufen. Dort erhalten Schutzsuchende sowohl umfassende Beratung als auch kurzfristige Unterkunftsmöglichkeiten. Angesichts der dramatischen Krise suchen auch immer mehr Binnenvertriebene beim ABN-Team Unterstützung. Im Jahr 2023 hat ABN insgesamt 158 gewaltbetroffene Frauen und Mädchen im CAECF betreut. Im Fokus der Arbeit im Gewaltschutzzentrum stehen die psychosoziale Betreuung, rechtliche Beratung und medizinische Versorgung der Klientinnen, die sexualisierte, körperliche, psychische, soziale oder ökonomische Gewalt erfahren haben.
Die Realität von Frauen hat viele Gesichter - und erschüttert:
Unter den Frauen, die sich im Jahr 2023 hilfesuchend an ABN wandten, war etwa Zalissa*, eine junge Mutter, die sowohl von ihrer Familie als auch vom Vater ihres Kindes verstoßen wurde und nun bei einem Mann lebt, der dafür sexuelle Gefälligkeiten von ihr erpresst. Hawa*, Mutter von zwei Kindern, wird von ihrem Ehemann daran gehindert, zu arbeiten. Sie ist finanziell vollkommen von ihm abhängig und kann sich nicht gegen seine Launen und Forderungen zur Wehr setzen. Bintou* hat aufgrund der Folgeschäden von FGM massive Komplikationen bei der Geburt ihres ersten Kindes erlitten und leidet seitdem unter chronischen Schmerzen. Sie und so viele andere fanden bei ABN dringend benötigte Unterstützung.
Leben sichern: mit medizinischer Versorgung und Prävention
Zusätzlich zu den Schutz- und Beratungsleistungen hat ABN im Jahr 2023 auch dringend erforderliche medizinische Notoperationen für Frauen angeboten, die unter schwerwiegenden gesundheitlichen Folgeschäden von FGM wie Wucherungen oder schlimmen Fistelbildungen leiden. Diese Eingriffe verändern das Leben dieser Frauen grundlegend, indem sie sie von chronischen Schmerzen befreien, ein positives Erleben des Sexuallebens ermöglichen und oft lebensbedrohliche Komplikationen bei Geburten verhindern. Im CAECF haben Frauen außerdem die Möglichkeit, sich einmal pro Woche gynäkologisch untersuchen und beraten zu lassen sowie eine kostenfreie Krebsvorsorge durchführen lassen, einschließlich Brustabtasten, Pap-Abstrich und HPV-Test.
Weibliche Genitalverstümmelung: Es braucht mehr Aufklärung
Obwohl weibliche Genitalverstümmelung in Burkina Faso bereits seit 1996 gesetzlich verboten ist, sind UNICEF zufolge noch immer ca. 56 Prozent aller Mädchen und Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren von der schädlichen Praktik betroffen. ABN führte deshalb auch 2023 gezielte Aufklärungskampagnen durch, um das Bewusstsein für FGM und andere Formen geschlechtsbasierter Gewalt zu stärken und Prävention zu unterstützen. Insgesamt wurden über öffentliche Diskussionsrunden, Hausbesuche, Radiosendungen sowie Workshops und Theateraufführungen an Schulen rund 3.085 Menschen erreicht.
Dienstreise nach Burkina Faso
Im Februar 2023 reiste Birgitta Hahn, Referatsleiterin für Internationale
Zusammenarbeit bei TDF, nach Burkina Faso, tauschte sich mit dem ABN-Team aus und erhielt umfassende Einblicke in die vielfältigen Aktivitäten unserer Partnerorganisation. Unter anderem führte Birgitta Hahn Gespräche mit Frau Morne, der psychologischen Beraterin im Gewaltschutzzentrum, und Dr. Akotionga, der zu den wenigen ÄrztInnen gehört, die Notoperationen für FGM-Betroffene in Burkina Faso durchführen. Sie hatte ebenfalls die Möglichkeit, bei einer der mobilen Sensibilisierungsaktionen dabei zu sein, bei der ABN mit Frauen und Männern in verschiedenen Stadtvierteln der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou ins Gespräch kam und über geschlechtsspezifische Gewalt aufklärte. Frauen und Mädchen sind auch in Burkina Faso die ersten Leidtragenden gewaltsamer Konflikte. ABN bietet trotz der schwierigen politischen und humanitären Lage eine sichere Anlaufstelle für hilfesuchende Frauen und Mädchen, und setzt zugleich ihren unermüdlichen Kampf gegen die Menschenrechtsverletzung FGM fort.
Wir freuen uns über die große Anteilnahme und Unterstützung – ohne sie wäre die wichtige Arbeit von ABN nicht möglich! Dafür möchten wir uns herzlich bedanken!
*Namen geändert