Die systematische Unterdrückung der Frauen in Afghanistan - Internationale juristische Reaktionen

EuGH-Urteil stärkt Schutz für geflüchtete Afghaninnen
Ein rechtlicher Meilenstein für die Anerkennung der systematischen Unterdrückung von Frauen in Afghanistan wurde am 4. Oktober 2024 mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gefällt: Zwei afghanische Frauen, deren Asylanträge in Österreich abgelehnt wurden, klagten mit der Begründung, dass bereits die allgemeine Situation von Frauen unter dem Taliban-Regime die Flüchtlingseigenschaft rechtfertige. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof stimmte dem grundsätzlich zu und legte dem EuGH die Frage vor, ob die diskriminierenden Maßnahmen der Taliban als geschlechtsspezifische Verfolgung einzustufen seien. Der EuGH bejahte dies und stellte klar, dass die systematische Unterdrückung afghanischer Frauen grundsätzlich als geschlechtsspezifische Verfolgung anzusehen ist und zur Anerkennung von Flüchtlingsschutz berechtigt.
Dem Urteil zufolge müssen afghanische Frauen im Asylverfahren keine individuelle Verfolgung nachweisen – es reicht aus, dass sie Frauen sind und die afghanische Staatsangehörigkeit besitzen. Nationale Migrationsbehörden in der EU – wie das BAMF in Deutschland – sind nach geltendem EU-Recht verpflichtet, diese Rechtsprechung zu beachten und dürfen bei afghanischen Asylantragsstellerinnen lediglich Geschlecht und Herkunft prüfen. Das Urteil stärkt somit den Schutz afghanischer Frauen in Europa und setzt ein klares internationales Zeichen gegen die geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen durch das Taliban-Regime.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit: IStGH Chefankläger beantragt internationale Haftbefehle gegen Taliban-Anführer
Am 23. Januar 2025 beantragte der IStGH-Chefankläger Karim Khan internationale Haftbefehle gegen den obersten Taliban-Anführer Haibatullah Achundsada und den obersten Richter Abdul Hakim Hakkani wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung (Art. 7 (1) (h), Römisches Statut) von Frauen und Mädchen seit dem 15. August 2021. Khan erklärte, afghanische Frauen seien „einer noch nie dagewesenen, skrupellosen und anhaltenden Verfolgung durch die Taliban“ ausgesetzt.
Die Anträge werden nun von den zuständigen Verfahrensrichtern geprüft. Da der IStGH keine eigene Vollstreckungsmacht besitzt, ist er bei internationalen Haftbefehlen auf die Kooperation der Mitgliedsstaaten angewiesen, die zur Vollstreckung auf ihrem Territorium verpflichtet sind. Eine Festnahme wäre nur möglich bei Ausreise der Angeklagten in einen Vertragsstaat, der den Haftbefehl durch seine nationalen Polizeibehörden umsetzt.
In der Vergangenheit wurden jedoch selbst amtierende Regierungschefs mit laufendem Haftbefehl zu Staatsbesuchen eingeladen, ohne festgenommen zu werden. Obwohl internationale Haftbefehle oft nicht unmittelbar vollstreckt werden, senden sie dennoch ein klares Zeichen: Menschenrechtsverbrechen sollen nicht ungestraft und folgenlos bleiben. Die Anträge gegen die Taliban-Führung sind daher ein bedeutender rechtlicher Schritt, um die internationale Gemeinschaft in die Verantwortung zu nehmen und politischen Druck zu erzeugen.
Forderung nach Anerkennung von Gender-Apartheid
Seit geraumer Zeit fordern AktivistInnen und RechtsexpertInnen weltweit, die systematische Geschlechtertrennung und Unterdrückung von Frauen in Afghanistan, aber auch im Iran, als Gender-Apartheid völkerrechtlich anzuerkennen. Im März 2023 wurde dazu von afghanischen, iranischen und internationalen AktivstInnen und JuristInnen die Kampagne „End Gender Apartheid“ ins Leben gerufen.
Die Debatte um eine Anerkennung der Gender-Apartheid als spezifisches völkerrechtliches Verbrechen fand auf internationaler Ebene zudem Auftrieb, da der Sechste Ausschuss der UN-Generalversammlungderzeit eine neue Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausarbeitet. Im Zuge der Ausarbeitung der Konvention wird von internationalen Organisationen und JuristInnen weltweit gefordert, den Begriff der Gender-Apartheid in die Konvention aufzunehmen.
Rechtliche Definition von Apartheid und Forderung der Ausweitung
Nach derzeitigen internationalen Rechtsübereinkommen, wie der Anti-Apartheidkonvention aus dem Jahr 1976und dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), wird der Begriff der Apartheid – in Anlehnung an den historischen südafrikanischen Kontext – ausschließlich auf eine systematische Unterdrückung in Form einer Politik der „Rassentrennung“ bezogen. Im Römischen Statut wird Apartheid als „eine systematische Unterdrückung und Beherrschung […] einer oder mehrerer rassischer Gruppen“ durch eine „rassische Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime“ (Römisches Statut, Art. 7, Abs. 2, lit. h) definiert.
Mit der Anerkennung des Rechtsbegriffs der Gender-Apartheid wird das Ziel verfolgt, eine Politik der systematischen Geschlechtertrennung und geschlechtsspezifischen Unterdrückung – wie vom Taliban-Regime ausgeübt – als Apartheidsverbrechen anzuerkennen und den Rechtsbegriff der Apartheid auf geschlechtsspezifische Diskriminierung auszuweiten.
TERRE DES FEMMES unterstützt die Forderung zur Aufnahme der Gender-Apartheid in die Konvention zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, um den notwendigen internationalen Rechtsrahmen für den Schutz von Frauen zu schaffen, die staatlich organisierter geschlechtsspezifischer Unterdrückung ausgesetzt sind!
Stand 05/2025