• 05.05.2025

Gemeinsames Lernen im „Ethik“-Unterricht – 7. Netzwerktreffen für Lehrkräfte und Schulsozialarbeit

Miteinander diskutieren und voneinander lernen

Miteinander diskutieren und voneinander lernen können, die eigenen Wertvorstellungen reflektieren und den Dialog mit Andersdenkenden üben: Das alles sieht TERRE DES FEMMES am besten in einem integrativen und wertevermittelnden Fach „Ethik“ umgesetzt. Seit 2020 gibt es dazu ein eigenes Positionspapier. Das 7. Netzwerktreffen für Lehrkräfte und Schulsozialarbeit hatte daher die Vorteile des „Ethik“-Unterrichts sowie aktuelle, politische Herausforderungen im Fokus.

Insgesamt nahmen rund 55 Teilnehmende unterschiedlicher Schulformen aus 15 Bundesländern sowie einige säkulare KooperationspartnerInnen an der digitalen Veranstaltung teil. Sie wurden von Frau Gesa Birkmann, Abteilungsleiterin Themen, Projekte bei TERRE DES FEMMES (TDF) begrüßt. Für TERRE DES FEMMES sind Schulen, insbesondere in der heutigen Zeit mit zunehmenden rechtspopulistischen, migrationsfeindlichen und antifeministischen Narrativen, als Orte der Integration wichtiger denn je. Im Anschluss folgten ein Vortrag zur TDF-Forderung und den aktuellen politischen Herausforderungen, sowie ein Impulsvortrag von Dr.in Diana Schieck zu religionsverbundenen Konflikten. Die Veranstaltung schloss mit einer Frage- und Diskussionsrunde sowie der Möglichkeit zum freien Austausch und zur Vernetzung ab.

Vorteile des gemeinsamen Lernens

Nach der Konfession oder dem Willen der Eltern werden SchülerInnen getrennt voneinander unterrichtet. Erst mit dem Erreichen der Religionsmündigkeit mit 14 Jahren kann auch gegen den Willen der Eltern der Unterricht gewechselt werden. In Hessen gibt es beispielsweise zwölf verschiedene Religionsunterrichte. Der konfessionelle Religionsunterricht ist ein religiöser Bekenntnisunterricht. Laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll er Glaubenssätze als bestehende Wahrheiten vermitteln und damit konfessionell positiv gebunden sein

Toleranz fördern

Ein „Ethik“-Unterricht soll Religionskunde enthalten, allerdings auf eine sachliche neutrale Wissensvermittlung ausgerichtet sein. TERRE DES FEMMES (TDF) subsumiert unter „Ethik“-Unterricht bestehende Formen, da sie aufgrund des föderalen Systems in Deutschland in fast allen Bundesländern eine andere Namensgebung und teilweise Schwerpunktsetzung haben. Im Kern fordert TDF ein integratives und wertevermittelndes Pflichtfach „Ethik“. SchülerInnen sollen gemeinsamen diskutieren und voneinander lernen können. Die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen, subjektiv für gültig erachteten Wertvorstellungen zu entwickeln sowie den Dialog mit Andersdenkenden zu üben, sieht TDF am besten in einem Pflichtfach „Ethik“ umgesetzt. Dieser Unterricht fördert damit die gelebte Toleranz, weil die erlernte Argumentations- und Kommunikationskultur als Grundlage für das Zusammenleben dient.

Trotz säkularer Zeitenwende, kaum politische Bereitschaft

Der konfessionelle Religionsunterricht befindet sich seit einigen Jahren in einer Struktur-, Legitimations- und Existenzkrise. Verfassungsrechtliche Bedenken gibt es bspw. beim Hamburger „Religionsunterricht für alle“. Laut unserer bundesweiten Umfrage stimmt die Mehrheit von 56 Prozent zu, dass es die Arbeit für pädagogisches Fachpersonal erleichtern und von Vorteil sein würde, wenn jede Schule ein neutraler Raum, frei von Religionssymbolen (Kreuz, Kippa und Kopftuch) für alle (Lehrkräfte und SchülerInnen) wäre. Hier geht es zu der Umfrage aus dem Jahr 2024 zum „Kinderkopftuch“ an Schulen. Auch eine repräsentative Umfrage des Bundes für Geistesfreiheit Bayern bestätigt, 72 Prozent sehen in einem gemeinsamen „Ethik“-Unterricht das beste Unterrichtsfach, um ein friedvolles Miteinander zu fördern. Laut der Giordano Bruno Stiftung gibt es seit April 2025 erstmal mehr Konfessionsfreie als Katholiken und Protestanten in Deutschland. Viele Gründe, damit sich die Politik mit dem Thema befasst.

Aktuelle politische Herausforderungen

Zwei Beispiele aus Nordrhein-Westfalen und aus Baden-Württemberg veranschaulichen die politische Missachtung gesellschaftlicher Realitäten sowie auch eigener politischer Bestrebungen. Seit 2011 ist die Einführung des Ethik-Unterrichts an Grundschulen in allen Koalitionsvereinbarungen in Baden-Württemberg vereinbart. In der Ausbildung für das Grundschullehramt ist das Fach Ethik jedoch nicht studierbar, und der Landtag hat die für den Ethikunterricht erforderlichen Planstellen für Lehrkräfte bisher nicht bewilligt. Das Kultusministerium teilt nicht mit, ab wann es Ethik an den Grundschulen einführen wird (aus GEW BW: Ethik in der Grundschule - Verschoben auf Sankt Nimmerlein?  Stand April 2024). An den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und an den Grundschulen gibt es somit keine Alternative zum Religionsunterricht, trotz der rasant steigenden Zahl von Kindern, die konfessionsfrei sind oder nicht der evangelischen oder katholischen Kirche angehören.

In Nordrhein-Westphalen wurden bereits 2021 mit den neuen Lehrplänen für die Grundschule auch Pläne zur Einführung des Faches Praktische Philosophie in der Primarstufe vorgestellt, mit dem Ziel, das Fach ab dem Schuljahr 2023/24 anzubieten. Doch die flächendeckende Umsetzung steht weiterhin aus. Laut der Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage zweier SDP-Politikerinnen im Februar 2025, wird das Fach Praktische Philosophie auch nicht zum Schuljahr 2025/2026 eingeführt. Besonders lesenswert ist der Legitimierungsversuch: Praktische Philosophie soll als Ersatzfach für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht ermöglicht werden. SchülerInnen ist es grundsätzlich möglich, konfessionslos oder konfessionsfremd an einem Religionsunterricht teilzunehmen. 141 885 GrundschülerInnen besuchen den katholischen oder evangelischen Konfessionsunterricht, damit sei die Werteerziehung gewährleistet.

Beide Beispiele zeigen die mangelnde politische Bereitschaft auf, die gesellschaftlich sich schon lange abzeichnende säkulare Zeitwende bildungspolitisch umzusetzen.

Schule als Safe Space und als Ort für religionsverbundene Konflikte

Frau Dr.in Diana Schieck hielt einen Impulsvortrag zu ihrer Dissertation „Religionsverbundene Konflikte im Berliner Schulalltag. Erfahrungen und Perspektiven von Pädagog:Innen und Schüler:Innen“. Sie promovierte 2024 an der Freien Universität Berlin. Ihre Dissertation schrieb sie über vier Jahre hinweg. Religionsverbundene Konflikte haben in diesem Zeitraum keinesfalls an Aktualität verloren und sind nicht nur in Berlin ein wichtiges bildungspolitisches Thema.

Dr.in Schieck stellte auszugsweise ihre theoretischen Grundlagen, zu der auch die Theorie der sozialen Identität gehört, sowie ihre Forschungsfragen, Auszüge der Ergebnisse und praktische Anschlussfähigkeit vor. Im Folgenden wird dies von TDF zusammenfassend wiedergegeben.

Schule ist ein Ort, wo Dynamiken zwischen SchülerInnen sichtbar und auch messbar werden. Eine Trennlinie zwischen SchülerInnen kann neben Ethnie oder sozioökonomischem Status auch die religiöse Zugehörigkeit sein. Die Definition von religionsverbundenen Konflikten, die in der Untersuchung genutzt wurde: „Immer dann, wenn Religion als Argumentationsgegenstand verwendet wurde“. Dabei geht es nicht um theologische Korrektheit, sondern um die verbale Aufführung von Religion als Argumentationsgegenstand in Konflikten.

Die Schule ist ein Ort, wo (religionsverbundene) Konflikte sichtbar werden, sie ist zugleich auch ein Ort, wo über sie gesprochenz und überhaupt etwas in Frage gestellt werden kann. Schule wird auch als meinungsbildender Schutzraum empfunden. Dabei wird Schule von PädagogInnen und SchülerInnen als Raum erlebt, der einer als kontrollierend erlebten außerschulischen religiösen Gemeinschaft gegenübersteht. Wie wichtig Schule für die SchülerInnen ist, zeigt sich in einem Zitat einer interviewten Schülerin: „Ich finde es wichtig, ich finde, es muss in der Schule besprochen werden. Weil einfach unsere ganze Kindheit verbringen wir (hier), dieser ganze Erziehungsprozess, da sind wir auch in der Schule. Da finde ich, muss so etwas einfach besprochen werden."

Religion als Leistung und intrareligiöse Konflikte

60 PädagogInnen und SchülerInnen wurden von Frau Dr.in Schieck insgesamt interviewt. SchülerInnen waren oftmals überfordert mit der Frage, ob sie religiös seien. Religiöse Zugehörigkeit wurde mit einer Art Leistung assoziiert, deren sie gerecht werden müssen. Intrareligiöse Konflikte sind sehr zentral in Dr.in Schiecks Arbeit. Im Datenmaterial zeigte sich, dass muslimische SchülerInnen, mit eher säkularer oder weniger konservativer Einstellung, von muslimischen Schülerinnen vorgeworfen wurde, sich nicht an wahrgenommene religiöse Regeln zu halten und sie deswegen eine Sünde begehen. Insbesondere diese intrareligiösen Konflikte spielen eine große Rolle im ausgewerteten Datenmaterial. Umso wichtiger ist für Dr.in Schieck daher, dass religionsverbundene Konflikte zunächst im Schullaltag wahrgenommen und nicht tabuisiert und bagatellisiert werden. Ein Interview mit Frau Dr.in Schieck finden Sie hier.

Wie religiöse Konflikte entstehen

Nach den beiden Vorträgen gab es zuerst eine moderierte Frage- und Diskussionsrunde und im Anschluss die Möglichkeit zum freien Austausch und zur Vernetzung. Mit großem Interesse nutzten die Anwesenden diese Möglichkeit.

EinE SchulsozialarbeiterIn an einer Gesamtschule in Hessen berichtet, dass sie viele religionsbezogene Konflikte beobachtet. EinE SchulsozialarbeiterIn einer Oberschule aus Niedersachsen berichtet, dass die Dissertation sehr repräsentativ sei. Der Schülerschaft fehle es vermehrt an Sozialkompetenz und deswegen seine religiösen Konflikte viel leichter möglich. Sie fände ein Pflichtfach „Ethik“ sehr sinnvoll, um miteinander ins Gespräch zu kommen und Toleranz zu schaffen. Das sind die Themen, die im Alltag schwimmen und es gar nicht erst möglich machen, überhaupt in den Unterricht reinzukommen. Die erst genannte Person merkt an, dass sie „Ethik“ -  mit Blick auf die Begriffsherkunft aus der Sittenlehre - zu hoch angesetzt findet. Aufgrund der fehlenden Sozialkompetenz müsste vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Religion erst eine gemeinsame Grundlage geschaffen werden. Beispielsweise könne Gesellschaftslehre ein Verständnis über das gemeinsam miteinander wecken.

Aus Hessen berichtet eine Lehrkraft für Ethik an einer Gesamtschule von einer aktuellen Entwicklung. Ethik ist in diesem Bundesland ein Wahlpflichtfach und soll aktuell in ein gemeinsames klassengebundenes Fach umgewandelt werden. Hierbei zeigen die Kirchen ein problematisches Verhalten und auch innerhalb der Schule sind vor allem die katholischen Lehrkräfte skeptisch oder lehnen das klassengebundene Fach ab. 

Aus Berlin berichtet einE SchulsozialarbeiterIn, dass es an ihrer Schule viele Fälle von Muslimfeindlichkeit gebe. Sie geht auf das Beispiel „Bei uns ist das so“ ein. Die Person, die selbst einen muslimischen Hintergrund hat, berichtet, wie sie bei SchülerInnen daraufhin nachfragt „wo eine bestimmte religiöse Regel stehen würde“. Viele Schülerinnen wüssten keine Antwort drauf. Die/der SchulsozialarbeiterIn fügt hinzu, SchülerInnen sagen – wegen des muslimischen Hintergrunds - „Sie wissen ja, dass das bei uns so ist.“- In einigen Fällen lade die Fachkraft auch die Eltern ein und biete an über diese Vorfälle zu sprechen. Die Person meint, dass es viele Unsicherheit bezüglich vermeintlicher religiöser Regeln und Verhaltensvorschriften gebe, das müsse aufgebrochen werden. Zudem sei es wichtig, die Gemeinsamkeiten der Religionen zu vermitteln und aufzuklären, in welchen historischen Kontext die religiösen Schriften niedergeschrieben wurden.

Das 7. Netzwerktreffen für Lehrkräfte und Schulsozialarbeit zeigte einerseits die Vorteile eines Pflichtfaches „Ethik“, insbesondere bei den aktuellen mannigfaltigen Herausforderungen. Anderseits zeigte sich trotz säkularer Zeitenwende und den enormen Herausforderungen vor denen Lehrkräfte und SchulsozialarbeiterInnen stehen, dass die politische Bereitschaft fehlt. Daher wird sich TERRE DES FEMMES weiterhin für eine säkulare Bildungspolitik einsetzen.

Das nächste Netzwerktreffen wartet schon

Falls Sie am nächsten Netzwerktreffen für Lehrkräfte und Schulsozialarbeit teilnehmen möchten, melden Sie sich gern unter netzwerk@frauenrechte.de , um in den Verteiler aufgenommen zu werden.

Weitere Informationen:

 

 

 

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